Roy Glashan's Library
Non sibi sed omnibus
Go to Home Page
This work is out of copyright in countries with a copyright
period of 70 years or less, after the year of the author's death.
If it is under copyright in your country of residence,
do not download or redistribute this file.
Original content added by RGL (e.g., introductions, notes,
RGL covers) is proprietary and protected by copyright.


FELIX DAHN

JULIAN DER ABTRÜNNIGE

ZWEITES BUCH. — DER CÄSAR
(355-361 nach Christus)

Cover Image

RGL e-Book Cover©
Based on an antique icon

First published by Breitkopf & Härtel, Leipzig, 1893

This e-book edition: Roy Glashan's Library, 2022
Version date: 2022-11-13

Produced by Brian Smith and Roy Glashan

All content added by RGL is proprietary and protected by copyright.

Click here for more books by this author



Cover

Breitkopf & Härtel, Leipzig, 1893



»Tapferster Führer der Heere.
Hoch als Gesetzbegründer berühmt; mit dem
Arm und dem Rate treuer Wahrer des
Vaterlands, nicht aber des Glaubens,
Abgefallen von Gott, doch getreu bis zum
Tode dem Reiche.«

—Prudentius, christlicher Dichter des V. Jahrhunderts.


INHALTSVERZEICHNIS

1. Kapitel
3. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel


Cover

Julian. An ancient Roman sculpture.


Erstes Kapitel

Wo der Rheinstrom, der gewaltige, an Breite fast einem See vergleichbar, sich oberhalb der Batavischen Insel in zwei Arme spaltet, da saßen damals auf beiden Ufern in dem von Urwald und Ursumpf durchzogenen Lande die salischen Franken, jene Bataver, die dereinst unter Claudius Civilis sich in dem Freiheitskampf gegen Rom erhoben hatten, einen Hauptbestandteil gestellt zu dieser Gruppe von Völkern, die sich seit vier, fünf Menschenaltern unter jenem Namen der »Freien« zusammengeschlossen.

Auf dem batavischen Eiland, ziemlich nahe der Abzweigung des »Rheines«, das heißt des nördlichen Armes von dem südlichen: der »Waal«, krönte, einen Pfeilschuß weit von dem Strom, den höchsten Hügel das stattliche Gehöft eines Gaukönigs.

Einige Zeit bevor der neue Cäsar auszog, in dem unbekannten Lande eine unbekannte Aufgabe zu lösen, war in der Halle dieses Königshofes eine Anzahl von Gaukönigen und Edelingen der salfränkischen Völkerschaften zur Beratung versammelt, aber auch weither gereiste Gäste — aus anderen Germanenstämmen — waren erschienen.

Den Hochsitz nahm der Herr des Hauses ein, der greise König Nebisgast, dem das in einer breiten Woge bis auf die Schultern wallende silberweiße Haar und der lange gleichfarbige Bart hochehrwürdiges Aussehen gaben. Da sein Augenlicht schwach war, half ihm sein auf der Bank gegenübersitzender Sohn, wenn der Alte mit unsicherer Hand nach dem Becher auf dem Rundtisch tastete. Liebevoll folgte des jungen Mannes Auge jeder Bewegung des Vaters.

Die andern Fürsten, die Gäste, saßen auf den halbkreisförmigen Bänken, die rings um den Trinktisch gereiht waren; die aufwartenden Knechte waren entlassen, denn wichtige Beschlüsse sollten nunmehr gefaßt werden.

Den Ehrenplatz zur Rechten des Hauswirtes erfüllte eine riesige Gestalt, ein gewaltiger Mann von etwa vierzig Jahren, von dessen Mantel, dem schwarzen Fell des Urstieres, der brandrote Rauschebart sich grell abhob. Der Eichentisch dröhnte, als der Riese den schweren, in Erz getriebenen, doppelhenkeligen Mischkrug darauf niederschlug. »Bei Tius und beim roten Donar«, rief er, »schenk wieder ein, Merowech. Zu winzig ist der Walen größter Krug für alemannischen Durst.«

Der Königssohn lächelte, wie er mit dem leergetrunkenen hohen Krug aus einem weitbauchigen Tongefäß, das auf dem Estrich stand, den stark, ja streng duftenden, tief dunkelroten Wein schöpfte: »Und doch, König Chnodomar, diente dies, dein Becherlein da, dem Imperator Constantin als gewaltigster Mischkrug. Darin ward der Wein mit Wasser gemischt für neun Gäste.«

»Bah, waren eben Walen, wenige Wichte, leibarme Lotter«, rief der Alemanne, den mächtigen Krug wieder mit beiden Händen zu dem bärtigen Munde führend. »Aber guten Haustrunk führst du, Bataver! Wo hast ihn her?« — »Der Imperator Constantius sandte ihn dem Vater — zugleich mit mir, als er mich freigab.« — »Wie lange«, fragte der Gast, der neben Chnodomar saß — der suebische auf dem Oberhaupt zusammengeknotete Haarwirbel bezeichnete auch ihn als Alemannen —, »wie lange, Merowech, warst du gefangen bei den Römern?« — »Nicht doch gefangen, König Ur«, erwiderte da der Vater des Gefragten unwillig. »Von freien Stücken gab ich den Knaben — fünfzehn Jahre zählte er — dem großen Constantinus hin als Unterpfand des Friedens. Dieser Friede allein rettete mein Volk. Allbezwingend stand der Augustus in meinem Gau; jeder Widerstand war unmöglich, ausmorden hätten uns die Legionen können in wenigen Tagen. Der Friede ward uns gewährt gegen Vergeiselung von einigen Söhnen der Edlen und — von des Königs Sohn. Ich gab ihn hin, den blondgelockten. Ich entbehrte seither des Sonnenstrahls in der Halle. Meine Augen wurden trüb, und die Mutter hat ihn nicht mehr wieder hereinhüpfen sehen über die Schwelle. Aber dieser Preis hat meinem Volke den Frieden erkauft, den unentbehrlichen, für fast zwanzig Jahre. Wir Bataver hatten Ruhe, während all unsere Nachbarn, die zur Unzeit wider den großen Imperator sich erhoben, unter den Schwertern der Übermacht bluteten. All diese Jahre hab ich den einzigen Sohn vermißt, wie einen Toten. Erst seit kurzem hab ich ihn wieder.« Und er weidete die müden Augen an dem Anblick der jungen Heldengestalt.

»Nun«, lachte Chnodomar, tief in den Mischkrug blickend, »er ist ihm aber gut bekommen, dieser römische Tod, dem Buben. Der schlaue Fuchs, Constantius, den du den großen Imperator nennst — möge er zwischen Schwertern und Schlangen im Eisstrom Hels sich wälzen —, hat ihn erziehen lassen mit vornehmsten Edelingen seines Reichs. Latein und Griechisch hat er gelernt und die Bücher von dem gekreuzigten Sohn Allvaters und, wie man sagt, alle Geheimlehren der Zauberer Ägyptens. Zum Priester eines ägyptischen Gottes ward er geweiht, und einen ägyptischen Namen hat er deshalb geführt; wie klang's doch noch?« — »Serapio heiß ich den Römern, nach Serapis, dem größten Gotte der Ägypter.« — »Ja, er lernte auch dessen Weihen und Geheimnisse«, sprach der Vater mit Stolz. »Aber ein batavischer, ein salischer Held ist er geblieben«, rief ein Graubart, der neben dem Königssohne saß, und schlug ihn auf die Schulter. »›Merowech‹ haben wir dich nach einem großen Ahnen, nach des Claudius Civilis Sohn, genannt bei der Wasserweihe, der Namensgebung. Nach jenem Merowech, der, des sterbenden Vaters Auftrag gemäß, die zersplitterten Gaue unserer Völkerschaften zusammenschloß unter dem großen Namen der ›Franken‹, anfangs geheim, den lauernden Römern verborgen, bis endlich — vor einem Großhundert von Wintern etwa — der fünfte Sproß von jenem Merowech der Franken Namen laut verkündete; und hell wie Donnerkrach fuhr er bis Rom!« — »Ja, 's ist richtig«, bestätigte der alte König, nachrechnend. »Ich bin im achten Glied, mein Merowech im neunten verenkelt jenem Claudius Civilis.« — »Wir Sugambern«, fuhr der Graubärtige fort, und sein blaues Auge blitzte mit noch jugendlichem Feuer, »wir vor allen Söhnen Wodans haben den ältesten Span mit Rom: Unsere Ahnen zuerst hat Rom auseinandergerissen, einen Teil vertrieben, den andern hierher verpflanzt, mit Gewalt, aus der alten Heimat und verknechtet; aber die Rache verjährt nicht. Und darum sage ich: Ihr Könige der Franken, tut nach dem Vorschlag der eberkühnen Alemannen! Seht diesen König Chnodomar: dem Donnergotte gleicht er, seinem Ahn. Schon haben sie halb Gallien erobert. Brecht den Frieden, den Rom uns aufgezwungen, schließt Bündnis mit den Alemannen und teilt euch mit ihnen in das gallische Land. Tot liegt lange schon der Imperator Constantin, vor dem euch so bangte. Schwache Hände nahmen ihn auf, seinen goldnen Stab. An der Donau mit den Jazygen, fern in Asien mit den Persern kämpfen die Legionen. Das Land vom Rhein bis an die Loire liegt schutzlos; es gehört dem Starken. Greift zu! Siegvater will's euch schenken.« Und er hob das Wisenthorn, das, auf silbernem Fußgestell ruhend, vor ihm stand, und tat einen tiefen Zug.

»Nicht also, Mälo, Mälfrids Sohn«, begann sein Nachbar zur Linken, den Kopf mit dem schwarzbraunen kurzkrausigen Gelock schüttelnd. »Ich warne! Wie oft haben — nicht wir freilich — aber unsere Nachbarn im Norden und Osten, den Frieden gebrochen, den sie mit Rom geschlossen. Plündernd und raubend brachen sie ein, der blinden Gier folgend. Aber kurz war jedesmal die Freude! Mochten die Räuber im Anfang mit Glück geheert haben, alsbald kamen immer wieder die Legionen unter ihren Adlern, den unbezwinglichen ...« — »Die sind jetzt abgeschafft«, warf Merowech kurz dazwischen. »Und unter unbesiegbaren Feldherren.« — »Hohohohoh«, lachte Chnodomar, daß die Halle dröhnte. »Nun, schließlich sind sie doch noch immer Sieger geblieben, die Cäsaren. Und« — hier stieg ihm heiß das Blut in das Antlitz — »eins vergeßt ihr immer, ihr Ungestümen. Ihr sitzt in euren Wäldern und Sümpfen, ihr andern, ihr ...« — »Ihr Barbaren, willst du sagen«, ergänzte Merowech ruhig. »Ihr Ärmeren, darf ich sagen. Rücken die Kohorten heran, den so oft wiederholten Treuebruch zu strafen, ihr weicht in Wald und Sumpf ...« — »Wohin der Legionär nicht gern nachdringt«, lachte Mälo. »Weiber, Kinder, Vieh und die geringwertige Fahrnis nehmt ihr mit in den meilentiefen Wald. Wenig schadet's euch, wirft der Centurio die Fackel in das leere Holzgehöft. Bald zieht der Südling ab, weichend vor den kalten Regenschauern eures Herbstes schon, und derselbe Wald, dessen Versteck und Verhau euch Zuflucht geboten, bietet euch die Balken, das neue Gehöft emporzuzimmern. Wir aber, wir haben etwas zu verlieren zu Köln an unsern schönen römischen Steinhäusern, an unserer reichen Habe ...« — »Und an Wohlleben. Aber nicht an Freiheit, die habt ihr längst verloren«, lachte Chnodomar. »Freiheit!« meinte achselzuckend der Ulbier. »Ihr habt die Freiheit, zu darben und zu frieren.« — »Und zu leben, wie wir wollen«, rief Mälo. »Oder vielmehr: wie wir müssen«, sprach Merowech nachdrucksam. »Nach unseres Stammes, unserer Ahnen uns vererbter, uns unsagbar teurer Art. Freiheit ist, meine ich«, schloß er nachdenklich, »seine Eigenart ausleben zu können. Die Gallier sind zu Römern geworden. Und ihr zum Teil.« — »Ist Römerart schlechter? Meine Mutter war Römerin.« — »Meine nicht, Dank den Göttern.« — »Was will das sagen?« fuhr der Ubier hitzig auf, die Hand am Schwert. »Das soll sagen, o Spurius«, erwiderte Merowech gelassen: »Die Fehler meines Volkes sind mir lieber als die Vorzüge der Fremden. Ich habe in diesen achtzehn Jahren gar vieler Völker Söhne und Sitten gesehen zu Rom, zu Byzanz, zu Antiochia, zu Alexandria; nichts fand ich, was mir besser gefiel als Germanenart. Klüger sind manche, nicht edler und nicht stärker. Die Welt aber gehört nicht den Schlauesten: den Stärksten und den Edelsten. Und das sind wir.« — »Heilo!« rief Chnodomar und trank ihm zu. »Der kann reden wie fechten. Er führt das Wort wie den Speer.« — »Denken kann er vor allem«, meinte der Ubier. »Und das hat er von den Römern und Griechen, von ihren Philosophen gelernt. Und die Welt? — Noch gehört sie dem Imperator. Also muß der wohl der Stärkste und Edelste sein.« — »Constantius!« lächelte Merowech. »Das glaubt er selbst nicht von sich. Und wem die Welt gehört, das wird sich noch darweisen.« — »Nun«, lachte Chnodomar dröhnend, »das schöne Stück Welt zum Beispiel, das Gallien heißt, das gehört ihm schon nicht mehr, sondern zum großen Teil uns! Und bald, wenn ihr uns helfen und dann die Beute teilen wollt, was noch daran fehlt, das Ganze euch und uns.« — »Hm«, murrte der vierte der Gäste, der bisher geschwiegen, ein hagerer Mann mit finsterem Ausdruck des Gesichtes. »Euch helfen — mit euch teilen! Das ist es gerade, was wir nicht wollen, wir Chatten. Uralter Grenzstreit scheidet unsere Gaue von euch, ihr gewalttreibenden Alemannen. Und Blutrache habe ich noch zu suchen an einem eurer Königsgeschlechter; vor drei Menschenaltern fiel einer meiner Ahnen durch alemannischen Jähzorn.«

»Und wie viele deiner Gesippen, Adgandester, fielen durch das Schwert der Legionen?« fragte Merowech. »Oder verbluteten, gefangen, im Zirkus, zerrissen von wilden Tieren? Ich meine doch, unter den gefangenen Königen und Edlen, die der fromme Constantin zu Trier in der Arena von Bären zerreißen ließ, war dein eigener Vater? Hast du das vergessen?«

»In dem Eisstrom Hels will ich schwimmen«, fuhr der Chatte auf, »vergeß ich's jemals. Aber die Römer sind Fremdlinge. Bitterer trennt unter Volksverwandten der Haß; die Alemannen sind Wodans Söhne wie wir. Lieber den Uferfranken als den Alemannen, diesen schlimmen Nachbarn, neigen wir zu. Wenig freute es mich, die hier zu treffen in der Halle der Franken. Helfen? Teilen! Ich mag nicht! Kämpft es allein aus, ihr Alemannen, mit den Römern. Dem Sieger nehmen wir dann, wir Chatten und ihr Salier, das Ganze ab.« Haßvolle Blicke schoß er auf die beiden Alemannenkönige.

»Nun«, lachte Chnodomar, »aufrichtig wenigstens ist deine Staatskunst, Chatte. Geradeso aufrichtig sei meine Abwehr: Auf dem gemeinsamen Heimritt schlag ich dich tot.«

»Staatskunst!« rief Merowech, laut klagend. »Ja, das ist sie, unsere uralte Staatskunst der Torheit, des Neides, der Zwietracht, des Nachbarnhasses und des Stämmezwists! Soll's denn so fortgehn in alle Zukunft? Was hatte die Römer unbezwinglich gemacht diese Jahrhunderte lang? Der eine Wille, der sie alle lenkte. Was erschüttert jetzt ihre Macht und neigt sie zu Fall? Die Zwietracht, der Neid der Cäsaren!«

»So rätst auch du, mein lieber Sohn«, forschte bedächtig der alte König, »wir sollen den Frieden mit Rom brechen, sollen den kühnen Alemannen uns verbünden? Bedenk es wohl! Genauer als wir alle kennst ja du die Stärke Roms! Dich reißt auch nicht Raubgier und Kampfeslust dahin, wie andere Jünglinge; du bist ein junger Weiser mir zurückgekehrt. Was du sonst gelernt hast, von Bischöfen, von Priestern des Apollon, des Serapis, des Moses, ich weiß es ja nicht! Aber eines hast du nun gelernt: Rom, seine Größe und seine Krankheiten. Und dich selbst beherrschen hast du gelernt ...« — »Und andere durchschauen und dadurch auch beherrschen«, bestätigte Mälo nickend. »All das nur wenig«, sprach Merowech, die langen Locken schüttelnd. »Aber eins hab ich gelernt: Mein Volk lieben über alles mit heißer Liebe und mit ganzer Seele.« — »Seltsam«, spottete Spurius. »Stand das in den Schriftrollen der Serapispriester zu lesen?« — »Nein, Ubier. Und auch nicht in dem heiligen Buche der Christen. Da steht gar nichts von der Liebe zu dem eignen Volk. Der Sohn des Judengottes sah sein Volk doch schwer leiden unter dem Joche Roms. Nicht ein Wort hat er darüber gesagt: ›Er gab — und ließ — dem Imperator, was des Imperators war‹ — auch seine verknechteten Stammgenossen. Nein. Nicht Bücher haben mich das gelehrt, den Knaben, der, fern der Heimat, zum Jüngling, zum Manne heranwuchs; sondern die Not des Herzens. Und des Herzens Stolz. Seht, ich war so jung! Und die Verführung lockte so stark. Von allen Seiten. Ich meine nicht die Verführung zu den Lastern, den unglaublichen, die auf meine Jugend eindrangen. Nein, die Verführung zu dem Abfall von mir selbst, von meiner Eigenart. Ich sah täglich, wie andere, Römer und Barbaren, die nicht stärker, tapferer, klüger waren als ich, rasch emporstiegen. Gold, Ehren, Macht, schöne Weiber, Genuß jeder Art erlangten sie, indem sie sich selbst aufgaben, so falsch und selbstisch und tückisch und kriechend und lügend und — nach erlangtem Sieg — so tödlich grausam wurden, wie ... nun, wie der Imperator Constantius selbst und seine Bischöfe und Patricier. Und oft flüsterte es in mir: ›Mach's doch wie die, und du bringst es weiter als sie alle! Lüge! Spinne Ränke! Verführe die Weiber deiner Feinde und deiner Freunde, beider Geheimnisse zu erkunden. Schmeichle und heuchle! Nimm die Taufe — vor allem —, und du kannst alles werden, was dein Herz begehrt in diesem Reich, an diesem Hof!‹

Aber da trat das Bild der Heimat, unseres Hauses, unseres Volkes vor meine Seele, und ich schämte mich, abzufallen von meines Volkes altvererbter Edelart. Ich sah den Vater in dem Silberhaar, der in Krieg und Frieden nur für die Seinen lebte. Ich sah der Mutter gütevolles Antlitz und ihr fraulich Walten im Gehöft. Ich sah die schöne Schwester in dem Goldgelock, die Braut des Nordlandkönigs, und verglich die Keusche, rein wie der Morgentau, mit den römischen Mädchen, in der Knospe vor dem Aufblühn schon verderbt. Ich sah die Volksgenossen tagen im Thing unter der alten Esche, ein Wort fester bindend als in Rom alle Eide auf heilige Knochen und als ellenlange Vertragsurkunden. Ich dachte — nein, ich fühlte anfangs nur —, wie bei uns das alles schlicht war, treu, rein, ehrenfest, wahrhaftig, ob rauh, ja roh und zuweilen blutig wild. Und siehe da, mich ekelte des Glanzes um mich her: morsches, faules Holz, das da leuchtet vor eitel Fäulnis! Und ich sagte zu mir unter den Eunuchen zu Mailand und unter den gemalten Freundinnen der Patricier und unter den meuchelmörderischen Großen des Palastes und unter den näselnden Christenpriestern und unter den gaukelnden Magiern Ägyptens: ›Nein, Merowech, Nebisgasts Sohn‹, sprach ich zu mir, ›du wirst nicht wie diese. Du bleibst ein Franke, bleibst deines Volkes Sohn und dessen wert.‹ Siehst du, Spurius Romanus, so hat mich mein Volk — mein Volk allein — gerettet vor der Fäulnis. Soll ich's nicht lieben? Soll ich ihm nicht vergelten? Ich hab's geschworen: Auch ich rette mein Volk. Oder ich sterbe.«


Zweites Kapitel

Große Stille folgte diesen Worten.

Der alte König reckte die zitternde Hand über den Tisch und drückte schweigend die Rechte seines Sohnes. Auch der zungengewandte Ubier war verstummt. Erst nach einer Weile fand er wieder Worte. »Nun gut, ich will das nicht schelten, lieb ich doch auch meiner Mutter auf mich vererbte Römerart. Allein — vergib, o Königssohn —, ich sehe nicht die Gefahr, aus der du dein Volk erretten willst, wie du sagst. Kein Mensch bedroht euch, haltet ihr den oft beschworenen Bund mit Rom. Des Imperators Schild beschirmet seine Treuen.« — »Er braucht die Schilde dringend, mein ich, für sich selbst«, lachte Chnodomar und trank. »Du allein im Volk der Bataver«, fuhr der Kölner fort, »siehst Gefahren. Aber nur du beschwörst sie herauf. Denn nur du drängst zum Kriege. Sieben Gaue sind's der Bataver. Wo sind die Könige der andern sechs? Gewiß doch lud auch sie wie uns Nebisgast in seine Halle. Warum kamen sie nicht? Ich sehe nicht Labeo und nicht Briganticus, nicht Chramn und nicht Guntchramn, nicht Truchtbrecht noch Grimmbrand? Wo sind sie?«

Mehr traurig als zornig furchte der alte König die Stirn: »Du höhnst, ›Agrippinenser‹, so nennt ihr euch ja gern. Du höhnst mit Recht. Labeo und Briganticus, Halbrömer wie du, hassen meine nahe verwandte Sippe mit dem gleichen Hasse wie vor dreihundert Wintern ihre Ahnen Claudius Civilis, meinen Ahn, gehaßt. Aber auch die andern vier ...« — »Unvermischt Germanenblut«, meinte Spurius spöttisch. »Jawohl«, fiel Merowech ein, »und echt germanische Torheit bewahren sie. Weil meines Vaters Gau der volkreichste, hassen und beneiden sie uns.« Aber Spurius schüttelte den Kopf: »'s ist nicht nur das! Sie wissen recht gut, kommt es zum Krieg, Merowech wird auch von ihren Gauleuten zum Herzog gekoren, Merowech müssen auch sie dann folgen.« — »Jawohl«, rief Mälo schmerzlich, »das ist's!« — »Ja«, schloß Merowech: »Lieber dem Fremden, dem Römer dienen als dem Stammgenossen sich fügen auch nur ein weniges. Siehst du, Spurius, hörst du, Adgandester: Das ist die eine Gefahr, die furchtbare, die unser Volk bedroht; der uralte Neid, die Eifersucht, die trotzige Selbstgenügsamkeit, die Unbotmäßigkeit. Nicht in bald vier Jahrhunderten haben sie's gemerkt, daß diese Sinnesart sie alle miteinander zugrunde gerichtet. Nur die Not, die Not gemeinsamen Krieges, kann sie heilen von dem Erblaster der zwieträchtigen Eifersucht.« — »Und der Führer in diesem Kriege«, sprach Adgandester kalt, »heißt — das versteht sich — Merowech. Denn das ist der Weg zur Macht.« — »O Chattenfürst«, erwiderte dieser mit Schmerz, »glaubst du wirklich, dieser Weg ist ein lockender? Die Spuren wahrlich schrecken ab! Hast du vergessen den Lohn, der dem großen Cherusker geworden? Noch singen und sagen von ihm die Harfner in den Hallen. Wie Gott Paltar — früh traf ihn der Mordstrahl der eignen Gesippen — des eignen Ohms — beim Mahle. Und mein eigner hoher Ahn, Claudius Civilis, was war sein Ende? Verlassen, verraten, geächtet von dem eignen Volk, das er befreien wollte, das er schon befreit hatte, als Zwietracht und Neid sein Werk wieder zerstörten, verbannt, flüchtig im fernen Cheruskerland, am Grab Armins, hat er die große Seele ausgehaucht. Glaubst du, solche Beispiele sind verführend?« — »Nun also!« entgegnete der Kölner. »So halte Ruhe! In solche Gefahren kann einen Sehenden nur eines reißen: die Ruhmsucht.«

»Meinst du, Beklagenswerter? Da sprachst du's aus: Du hast kein Volk mehr, hast kein Vaterland. Nicht Ruhmsucht, wahrlich — die hätt ich im Dienste Roms viel großartiger befriedigen können —, die heiße Liebe zu diesem, meinem armen Volk reißt mich dahin. Ja, hört es beide, ihr Zweifler: Ich lebe gern, ich freue mich meiner Kraft, ich hoffe, noch Schönes, Großes zu gewinnen in Krieg und Frieden; ich weiß, wie tief mein Tod den greisen Vater beugen würde — vielleicht bis in den Hügel« —, er streifte den Alten mit warmem Blick: »Aber ohne Besinnen, von diesem Trinkhorn weg, spring ich in den Tod, nützt mein Sterben irgend diesem Volk der Franken.«

»Heilo, Heil dir, Held Merowech! Ein wacker Wort!« So riefen da Chnodomar, Ur und Mälo. Aber der Vater schwieg; nur sein Auge leuchtete hell auf.

Nach einer Weile begann der Ubier: »Meinst du's so gut mit diesem, deinem Volk, so treib es nicht in den Krieg mit Rom, bloß um es an Gehorsam gegen dich oder auch — ich will sagen — an Eintracht zu gewöhnen. Zu blutig ist der Kaufpreis.«

»Er wäre es nicht, denn er ist das einzige Mittel. Aber wenn du das denn wirklich gar nicht fassen kannst, so höre: Nicht nur der Wunsch, die Sehnsucht nach jenem Ziel: der Einung, wenigstens unserer paar Gaue — an mehr ist ja nicht zu denken —; bitter, mit Händen greifbar, aufdringsam wie die Überschwemmung und unvermeidbar, drängt, zwingt, stürzt uns in den Krieg gegen Rom eine ganz andere Not.«

»Ich bin begierig, dies Schreckgespenst kennenzulernen.«

»Du nennst es bei Namen: Es ist ein Schreckgespenst, es ist der Hunger. Jawohl, des Hungers fürchterliche Not! Du lächelst, denn du denkst — wie immer — nur an dich. Du sitzest in deinem schönen, säulengetragenen Marmorhaus am flutenden Rhein, hinter den sichern, hohen Mauern der Colonia Agrippina und schlürfst behaglich aus korinthischem Becher den sizilischen Wein. Deine Sklaven und Sklavinnen arbeiten für dich, verkaufen für dich und schütten den Kaufpreis vor dich hin, während du, auf weichen Polstern gebettet, der syrischen Flötenspielerin lauschest oder der Tänzerin zuschaust aus Amathus.«

»Warte nur, du Hälbling«, warf der grimmige Ur dazwischen, »wir wollen dich unsanft aufstören zwischen deinen Singerinnen und Hüpferinnen.«

»Ihr götterverhaßten Römlinge!« grollte Chnodomar. »Noch sind wir euch den Lohn dafür schuldig, daß ihr weiland Civilis Treue geschworen und damit eure falsche Stadt, die schon zur Niederreißung verurteilt war, erhalten habt. Bald darauf habt ihr eine halbe Tausendschaft der tapfersten Überrheiner des Civilis durch ein üppiges Gelage in eurer Arena in Rausch und Schlaf hinein betäubt, dann die Türen gesperrt, Feuer hineingeworfen und eure Gäste im Rauch erstickt, in den Flammen verbrannt. Aber ihr seid immer die frommen Agrippinenser, die eifrigsten Götterverehrer. Nun wartet! Wir wollen ja sehen, wer stärker, Jupiter und Mars oder Wodan und Tius.«

»Jedoch da draußen«, fuhr Merowech fort, »da drüben, rechts vom Rhein, wenige Meilen nordöstlich, im Urwald und Ursumpf, da wächst, unablässig quellend, jedes Jahr eine Menge germanischen Volks heran, das schon lange, schon seit zwei Jahrhunderten fast, nicht mehr Land genug hat, Brot daraus zu ziehen, nicht mehr Weide genug findet, sein Vieh zu erhalten! Zu schmal, viel zu schmal, schon seit vielen Menschenaltern, ist für unseres Volkes gewaltig wachsenden Leib geworden das schmale Land, wie es — vor mehr als einem halben Jahrtausend — für die damaligen Siedler genügend gefunden war. Aber dich kümmert's nicht, du hast genug und übergenug im üppigen Köln. Mögen die überm Rhein drüben verhungern.«

»Das sollen sie aber nicht, solange ich lebe!« schrie Chnodomar, »und solange sie nur auf dem Schild über den Rhein zu schwimmen haben, um im reichen, schönen Gallien alles zu finden; Wein und dunkeläugige Weiber und römischen Goldschmuck und Ruhm und Siegeslust dazu und —« »Um all das nicht, o Alemannenheld«, unterbrach Merowech, »würde ich es verantworten, das Frankenvolk über den Rhein zu führen und in den Krieg mit Rom — denn blutig wird er —, nur weil wir müssen, weil wir keine Wahl haben, nur deshalb folg ich dir, Chnodomar, falls der Vater es gestattet und das Gauthing zustimmt.«

»Heilo, wackrer Junge«, rief der riesige König. »Wenn du nur kommst und dreinschlägst, warum du's tust, das gilt mir gleich. Hier meine Hand und nieder mit den Römern!«


Drittes Kapitel

»Julianus der Cäsar wider Willen an seinen geliebten Lehrer Lysias.

Mein letzter Brief, o Lysias, berichtete dir in das ferne Land am Nil die wunderbaren Wandelungen, die der Gott, der allein alles schaut, das Künftige wie das Vergangene, und die von ihm durchsonnte (durchsonnt, von Helios gesagt, ist gut, nicht?) Gegenwart in meinen Geschicken bewirkt hat bis zu jenem Abend, da ich, statt des Todes, die Cäsarwürde, eine geliebte Braut, die Mutter, die Schwester und den Auftrag erhielt, das Unmögliche zu tun, das heißt, fast ohne Mittel Gallien den Barbaren zu entreißen.

Noch in derselben Nacht drängte mich die Dankbarkeit, dir zu schreiben. Denn wahrlich, nie werd ich's vergessen. Ohne dich wäre ich wohl in jenem Kloster verrückt geworden oder ein Christenmönch geblieben (was dasselbe ist). Am folgenden Tage ward ich aus dem Palast abgeholt von einer glänzenden Reiterschar. Einstweilen waren, durch Eilboten herbeigerufen, die Besatzungen der nächsten Festen und Städte nach Mailand zusammengeströmt. Dazu kamen die Leibwächter, die Palastwachen, die Prätorianer und die zahlreichen andern Kriegerscharen in dieser Stadt. Sie hatten ihren festlichen Waffenschmuck angelegt, und all diese vielen Tausende bildeten einen gewaltigen Halbkreis auf dem Blachfeld, das sich im Nordwesten der Stadt, von dem Kastell aus, gegen den Fluß Olonna hin erstreckt.

Wie schlug mir vor stolzer Freude, vor römischer kriegerischer Begeisterung, das Herz, als ich, zur Linken des Augustus, umringt und umrasselt von den Reitern seiner Leibwache — parthische Söldner, Kataphraktarii, ganz gepanzert, Mann und Roß in klirrenden Schuppenringen — im hellen Schein der Herbstsonne in die Mitte dieses kleinen Römerheeres sprengte! Ich ritt ein feuriges, spanisches, in Afrika gezüchtetes Weißroß (»Argos« heißt das schöne Tier). Die Imperatrix hat es mir geschenkt! Ich hatte Mühe, die kaum gelernte Reitkunst (Jovian hatte schon in Athen darauf bestanden) nicht zu vergessen, sie richtig anzuwenden bei so glühender Erregung. Am liebsten wär ich gleich von da mit diesen Reitern in die Speere der Alemannen gestürmt! Aber es kam anders, ganz anders!

Es verdroß mich, daß ich, dem Beispiel des Imperators folgend, von meinem prächtigen Renner steigen und hinter Constantius eine Art Rednerbühne oder Richterbühne (oder vielleicht am richtigsten: ›Schaubühne‹ dachte ich boshaft!) auf vielen Stufen erklettern mußte, von deren purpurbehangner Brüstung herab mein Vetter alsbald eine Rede an die Heerscharen hielt, die mir wie fast alle Reden, die ich bisher (außer den meinen!) gehört, zuwenig gerundet, dagegen (zumal von Galiläerpriestern) zu länglich schien. Er sprach von den Gefahren, die das Reich bedrohen, von der Notwendigkeit, für das Abendland, zunächst für Gallien, einen ›Cäsar‹ zu bestellen (erste Klammer: ja freilich: einen Julius Cäsar brauchte Gallien, das Land abermals einem Ariovist und seinen Germanen zu entreißen, und Julian ist kein Julius Cäsar [zweite Klammer: es ist jetzt, nach neuester Sitte, sogar in Athen und Nikomedia gestattet, solche Doppelzwischensätze zu machen], ausgenommen mein Griechisch: diesen Cäsarbrief hätte der Sieger von Pharsalus nicht so ausgediftelt griechisch schreiben können. Hat er doch nie zu des Libanius Füßen gesessen) und er frage sie, ob sie nicht die knospenden Tugenden (das gefiel mir: ›knospende Tugenden‹ ist neu!) des Neffen des großen Constantin zu diesem Zweck mit dem Purpur belohnen und zugleich anspornen wollten (aber ich bitte dich, Lysias, kann man Knospen ›spornen‹)?

Ich fühlte, daß ich über und über errötete von wegen meiner sprossenden Tugenden, und doch (Helena [die Frauen waren uns in Sänften — und in ›Sänfte‹, das heißt in Sanftmut, ist das nicht hübsch? — gefolgt] meinte später, so schön sei ich noch nie gewesen, was freilich nicht eben viel besagen will) — (um diese eingeschachtelten Zwischensätze dürfte mich Libanius selbst beneiden!) — sagte ich mir: die (mehr als) zehntausend Menschen, deren (mehr als) zwanzigtausend Augen auf mich gerichtet sind, Menschen von Atropatene bis zum Piktenwall und die plötzlich in ein ohrenzerreißendes Geschrei: ›Sieg und Heil dem Cäsar Julian!‹ ausbrachen, diese armen Toren würden auf Vorschlag des Augustus den Eunuchen Eusebius mit seinen (nun sagen wir: nicht mehr sprossenden, sondern ausgetilgten) Tugenden mit gleichem Gebrülle begrüßt haben.

Und am Schlusse der imperatorischen Rede schlugen die Tausende von Kriegern ihre ehernen Schilde gegen die Knie. Sehr unrömisch, wirst du sagen, allein du vergissest, die meisten unserer ›römischen‹ Krieger sind seit lange schon Barbaren. Und Philippus, dein Lehrer, erklärte mir später, das sei ein Zeichen ihres Beifalls. Hätten sie mit den Spitzen ihrer Speere auf die Schilde geschlagen, so wäre das der Ausdruck ihres Zorns gewesen. Und dann, meinte er, hätten die Speerspitzen auch vielleicht, wie er sich stark medizinisch ausdrückte, unsere Bäuche auf deren Inhalt untersuchen mögen. Nun, bei mir hätten sie nicht viel gefunden; am ganzen Galiläertum gefällt mir am besten das Fasten.

Wenn aber ein Imperator, der nicht sprechen kann (und Constantius kann es nicht; während Julian, sein Cäsar, es wirklich kann) einmal angefangen hat, zu sprechen, dann hört er so bald nicht wieder auf (und er hat den Vorteil, daß ihm kein Hörer widersprechen, ja nicht einmal davonlaufen kann).

Kaum hatten die Krieger ausgeschrien, da wandte sich der Augustus gegen mich Armen und hielt eine Rede — gegen mich oder an mich. Er ermahnte mich, durch Heldentaten den Namen Cäsar zu verdienen. (Ziemlich überflüssig. Ermahne du den jungen Enterich, durch eifrige Bemühung ein junger Adler zu werden; [mein Fleisch ist schwach, aber mein Geist ist noch schwächer — ein hübsches Wort der Bescheidenheit. Aber ich glaube nicht daran!]). Daran hing er einen langen Redeschweif, besetzt mit klingenden Schellen, sein Vertrauen in mich werde nie enden in Äonen (es handelt sich für ihn doch höchstens noch um vierzig Jahre!) »und durch die weitesten Entfernungen von Thule bis zum Atlas nicht abgeschwächt werden« (das hat er abgeschrieben aus einem paphlagonischen Philosophen Eugenius, den ich auch gelesen habe. Aber der Imperator hat die Redensart falsch angewendet, er hat sie von der »Sehnsucht« auf das »Vertrauen« übertragen!).

Nun ward mir von den Vestiarien der Purpurmantel umgeworfen. Da fiel mir das Wort meines göttlichen Homeros ein: »Jetzt ergriff ihn der purpurne Tod und die mächtige Moira«. Denn nun hatte mich wirklich das Schicksal des Purpurs ergriffen; der Weltgeschichte fühlt ich mich verfallen. Dabei vergehen mir Witze und Zwischensätze! Furchtbarer Ernst steigt auf in mir. Vorher war mein Name gleichgültig. Nun muß er für kommende Jahrhunderte Abscheu oder Lob — vielleicht beides? — bedeuten.

Jenes Vertrauen von Thule bis zum Atlas sollte mir gleich nach der Rückkehr in den Palast bewiesen werden.

Leider durfte ich nicht zurückreiten. Um unsere Eintracht vor Heer und Volk zur Schau zu stellen, mußte ich mit dem Imperator in einem achtspännigen Siegeswagen (fehlte nur der Sieg!) zurückfahren. Er küßte mich auf Stirn und beide Wangen (ich schauderte, des Vaters denkend und des Bruders!) und zärtlich, namentlich aber recht augenfällig, hielt er, auf der ganzen langen Fahrt, den linken Arm um meine Schultern geschlungen. Ich dachte Roms und Helenas und — trugs.

Im Palast angelangt, hoffte ich, nun werde die Vermählungsfeier beginnen. Ich irrte. Ich ward von Jovian, der herbeieilte, mir die Hand zu drücken, auf Befehl des Herrschers getrennt und von einer Ehrenwache von maurischen Söldnern, die mir recht unheimlich vorkam, und sechs Priestern, die mir die Sache nicht erfreulicher machten, viele, viele Stufen abwärts in ein gruftähnliches Gewölbe geleitet. Dunkel, abschüssig war der Weg; als führe er in den Styx. Ich mußte, um gewisse Besorgnisse zu verscheuchen, mir vorsagen, daß, falls man mich »gallisieren« wollte, das heißt behandeln wie meinen armen Bruder (hübsch, nicht? Aber doch fast herzlos? Ich will's nie wiederholen, aber einmal mußt ich's sagen), man mich nicht kurz vorher — wie das Allerheiligste in der Kirche — allen Leuten zur Anbetung gezeigt haben würde.

Ich schritt also die feuchten Stufen hinab, so fröhlich als tunlich, und befand mich alsbald in einem katakombengleichen Heiligtum, in welchem die Galiläer vor Constantin ihre verbotenen Andachten verrichtet hatten (man erwäge: welche Frechheit! Im Palast des Augustus selbst, wo oben die Todesstrafen für solche Versammlungen geschrieben wurden. Angenehme Untertanen, dachte ich).

Alsbald begannen die zahlreich hier versammelten Priester, vereint mit meinen Begleitern, einen ihrer Gesänge, die stets wie Grabeslieder tönen. Sowie sie verstummten, sprang eine schmale Mauerpforte auf, und vor mir stand der Imperator, gefolgt von den Bischöfen von Mailand und von Ravenna und allen Großen seines Hofes.

Ich mach es kurz, kürzer als die beiden Bischöfe, die mich aufforderten, Constantius den Eid unverbrüchlicher Treue zu schwören, solang er oder ich lebe. Bräche ich ihm im mindesten die Treue, so solle mich im Leben das Leiden des Naëmans des Syrers schlagen (das heißt der Aussatz), und der Fluch Datams und Abiras. Und für das Jenseits ward mir eine Reihe wenig erwünschter Badebehandlungen durch die großen Teufel und viele kleinen Teufelchen in einem Schwefelpfuhl in sichere Aussicht gestellt.

Ohne Bedenken leistete ich den Eid auf eine große Truhe; denn Helios, der mein Herz durchleuchtet, weiß: nichts liegt mir ferner als Empörung und Verrat. Nachdem ich geschworen, fragte mich der Bischof von Mailand: »Weißt du auch, wer in dieser Truhe Zeuge deines Eides war, o Cäsar?« Ich erklärte, ich könne, obwohl nun Cäsar, nicht durch Kirchentruhendeckel sehen; aber es ahne mir etwas Heiliges. »Sankt Apollinaris, dessen Zahn, und Sankt Jakobus, dessen kleiner Finger hier verwahrt werden.« Ich wußte wirklich nicht, was darauf sagen, weil mir beide Altertümer gleichgültig waren, und zwar, wenn echt, ebenso wie in dem wahrscheinlicheren Fall. So begnügte ich mich mit einer Verneigung vor Zahn und Zeh und Bischof und sagte nur: »Schön.« Darauf verschwanden die Priester mit Zahn und Zeh, und ich hoffte, nun ginge es wieder aufwärts aus der dumpfen Gruft, in der mich der Weihrauch zu ersticken drohte. Mich verlangte es sehr nach Luft, nach Helios und — Helena. Aber weit gefehlt!

Als alle Priester bis auf einen sich entfernt hatten, trat Constantius auf mich zu mit einem so unheimlich drohenden, so Grausames verkündenden Blick, daß ich erschrak. Ich leugne es nicht. Und langsam und leise begann er: »Cäsar Julian, manche deiner unbedachten Ausrufe — Schwurformeln — gestern haben mir den Verdacht geweckt (der ist ein Leiseschläfer, dacht ich), du hängst nicht so fest an dem heiligen Glauben als für dein Seelenheil notwendig. Hüte dich! Dein Seelenheil zwar ist deine Sache. Aber wehe dir, tritt je dein Zweifel an dem Alleinseligmachenden hervor für andere wahrnehmbar. Mein Cäsar glaubt oder — stirbt. Aber ich muß sichergehn. Dein Eid auf jene Heiligtümer schützt mich nicht, falls du nicht an sie glaubst. Wenig erschüttert warst du — ich sah's —, als du erfuhrst, worauf du geschworen. Deshalb sollst du mir, vor diesen Zeugen, noch schwören auf das, was allen Menschen, was dir vor andern heilig ist. Höre.«

Hier trat er nah an mich heran und grinste: »Deine Schwester, deine Mutter sind, du weißt es, meine Geiseln für dich. Nie laß ich sie aus meiner Hand. Ich weiß, du liebst deine Mutter, denn ich hab's gesehen heute, wie dein Blick auf ihren Augen ruhte. Wohlan, schwöre mir Treue bei den Augen deiner Mutter. Schwöre, sie mögen erblinden, brichst du mir dein Wort.« Ich fuhr zurück und schüttelte seine Hand ab, die auf meiner Schulter lag. »Nie! Niemals!« »So?« schrie er. »So? Also du sinnst doch auf Verrat? Denn sonst könntest du ja schwören! Du bist entlarvt zu rechter Zeit. Aber du sollst nicht vollenden, was du planst. Geht, ruft Eusebius zurück! Der Cäsar ist verhaftet.« Ich überlegte: die Pflicht gegen Rom — Gallien! — die Barbaren! — Helena! Und ich wußte ja und weiß: nie, nie, nimmermehr werde ich die Hand des Empörers ausstrecken nach dem Diadem. Helios ist mein Zeuge. Also gefährde ich die Wunderaugen nicht ... »Halt«, rief ich, »Imperator. Ich schwöre. Ich schwöre dir Treue bei den Augen meiner Mutter! Nie streck ich die Hand aus nach dem Purpur. Ich schwör's.«

»Gut«, sprach Constantius, »er hat's geschworen. Sie soll erblinden, schwur er, bricht er die Treue. Ihr alle habt's gehört. Du aber wisse«, und nun zischelte er in mein Ohr, »ich verlasse mich nicht nur auf die unsichre Rache Gottes, mehr noch auf meine eigne. Die ist sicher! Deine Mutter bleibt in meiner Faust. Brichst du die Treue und blendet sie nicht Gott — ich schwör's bei Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiligem Geist —, so blend ich sie, ich, Constantius.«

Ich hasse ihn von tiefstem Grund der Seele.


Viertes Kapitel

Nachgerade bemerke ich, daß dieser Brief an dich, o teurer Lehrer meiner Torheit (das heißt, nicht meine Torheit, deine Weisheit hast du mich gelehrt), allmählich zu einer Art von Tagebuch sich auswächst. Wohlan, es schadet nicht. Ich werde fortfahren, meine Taten (ach, bisher mehr Leiden), Eindrücke und Urteile so zusammenzustellen und dir gelegentlich die Blätter zu senden. Es wird mir, meine ich, zur heilsamen Selbstklarmachung gereichen, zu einer Beichte. Wohl wird es dabei nicht ganz abgehen ohne die Sünde der Eitelkeit in der Art der Beichte selbst. Aber du, der du mich zuerst auf diese Sünde aufmerksam gemacht, du mußt billig die Befriedigung genießen, auch hierin recht gehabt zu haben. Abtun kann ich die süße Schwäche nicht.

Am Mittag jenes Tages vermählte mich der Imperator in Gegenwart des Bischofs von Mailand der geliebten Braut in der Basilika des heiligen Apollinaris. Alle diese galiläischen Dinge muß ich über mich ergehen lassen. Freilich schilt ich mein Gewissen einen argen Heuchler. Aber was tun? Sage ich offen der Kirche ab, ist nicht nur mein Leben wieder in Gefahr und mein Glück, das heißt meine Ehe — auch der Seelenfriede meiner heißgeliebten Mutter —, ich werde, wenn nicht getötet, wieder in ein Kloster gesteckt und bekehrt. Und unterdessen geht das Reich oder doch mindestens Gallien für immer verloren! Dringend schreit der Rhein, schreit das Abendreich nach einem Retter. Constantius rettet's nicht, das weiß ich, seit ich ihn gesehen. Ob ich es rette? Das weiß nur der Gott. Aber er, der Allsehende, hat nun einmal mich an diese Arbeit gerufen. Ich darf sie nicht wegwerfen, indem ich den Galiläer offen verleugne. Und unter der Hand kann ich doch recht viel tun für jene, die den alten Göttern — deinen Göttern — treu geblieben. Freilich, o teurer Lysias, sind deine Götter durchaus nicht die meinen mehr. Aber mir näher, lieber sind sie doch tausendmal als die Heiligen.

Also ein wenig Heuchelei? Ach ja! Es beißt mich oft in die Seele. Aber es geht nicht anders! »Erst Rom«, sagt mein tapfrer Freund Jovian, »dann alles Weitere.« Er ist nicht für Wissen und Forschen angelegt, mein Jovian, aber er trifft mit seinem gesunden Verstand und wackern Herzen stets das Richtige. Das heißt: oft das an sich Unrichtige, das aber für die dringende Not das einzig Zweckmäßige ist.

Wie soll ich dir das Glück schildern, das ich in meinem geliebten jungen Weibe fand, in Helena! Mein Freund Philippus (auch dein Lehrer, wie ich höre; er ist wohl der nie genannte Freund am Hof gewesen) sagt, er habe längst in den Sternen gelesen, eine Helena werde mein Weib und mein Glück sein. Auch du hast mir einmal (vielleicht durch ihn belehrt) höchstes Glück geweissagt durch ein Weib »Helena«! Sie ist so ungleich ihrem Bruder — Dank den Göttern! — und auch so heiter! In den düstern Sorgen, die gleich nach meiner Abreise von Mailand nach Gallien über mich hereinbrachen, war ihre unverzagte Fröhlichkeit mein einziger Stern. Die holde Törin glaubt, mir könne nichts mißlingen! Und denke nur, obwohl sie — selbstverständlich — in strengster Zucht der Kirchenlehre aufgezogen ward, gelang es mir doch bereits, sie — die Schwester des Constantius — von jenen Banden leicht und leis zu lösen. Freilich, glaube ich, hat das mehr ihre Liebe zu mir als meine Überredungskunst bewirkt.

Oh, es ist mir zu gönnen, daß diese Eine Seele mich nicht auch bedrängt, das Unglaubliche zu glauben, wie ach die nach ihr Geliebteste. Auch meine schöne Schwester folgt mehr der verehrten Mutter als mir. Doch geb ich Juliana noch nicht ganz verloren; sie schwankt.

Und Freund Jovian? In allen andern Dingen hab ich an ihm eine Stütze; aber hierin — in dem mir Heiligsten — nicht. Zwar er und sein ganzes Haus ist, wie ich dir schrieb, nicht getauft. Aber der liebe Mensch! Von allem darf ich ihm reden, nur nicht von den Offenbarungen der Mystik und den Fragen der Philosophie. »Es reizt mich nicht«, so lehnt er ab. »Es ist mir gleich! Ich habe weder Fähigkeit noch Bedürfnis, das Unwißbare zu wissen. Ich bin ein Römer und ein Kriegsmann. Was ich als solcher zu tun habe, sagen mir Herz und Verstand. Mehr begehr ich nicht zu wissen.« Mit diesem prächtigen Nichtswisser, ja »Nichtswissenwoller« erörtere du Maximus gegen Aidesius!

Allein bald nach dem Aufbruch von Mailand blieb mir kaum mehr Zeit für die Liebe und Helena, geschweige für Forschen und Grübeln!

Auf die Vermählungsfeier in der Basilika folgte ein Gastmahl im Palatium, das den Fehler hatte, viel zu lang zu währen! Wie meine Mutter weinte vor Rührung auch die gütige Eusebia, der ich so viel — beinahe alles — verdanke. Endlich, endlich war ich allein mit der Geliebten, mit meiner jungen Gattin! O Lysias! Ich hatte ja nie ein Weib berührt! Fremd war mir geblieben der Gott, der unter allen am süßesten beseligt. Nun kenn ich ihn. Eros ist sein Name!

Übrigens sollte ich noch in derselben Nacht erfahren, daß ich nun zwar des Imperators Cäsar geworden, aber sein Gefangener geblieben war. Es drängte mich gegen Morgen, nachdem das holde Weib an meiner Seite sanft entschlummert war, mein von heißem Dank gegen den Gott erfülltes Herz auszuströmen unter den leuchtenden Sternen, meinen Beschirmern. Leise öffnete ich die Türe des Thalamos und wollte hinausschreiten aus der Vorhalle in den offnen Hof des Palastes. Siehe, da stieß ich auf zwei maurische Speerträger, die dicht vor der Hoftüre Wache hielten; eine »Ehrenwache« erklärten sie zu sein, die mir die Gnade des Herrschers gewährt habe. Und so ist es geblieben bis auf diesen Augenblick, da ich dir hier in Vienne schreibe. Auf Schritt und Tritt umlauern mich die Späher, die »Agentes in rebus« des Augustus; kaum daß sie mich allein in das Bad steigen lassen, und mein Tod wäre dieser Brief — denn ich bin überzeugt, alle Sendungen von mir und an mich werden geöffnet und gelesen —, könnte ich mich nicht unserer lieben Geheimschrift bedienen. Auch auf Jovian erstreckt sich jene Ehre unausgesetzter Beobachtung, und Philippus konnte nie ohne Zeugen mit mir sprechen; eher noch in seiner Ungefährlichkeit der Mönch Johannes, den du mit höchst ungerechtem Hasse verfolgst; er hängt so treu an der Mutter und mir. Ich zweifle nicht, er würde willig für uns sterben.

Man wollte mir einen ganzen Hofstaat aufnötigen. Ich dankte für eine solche Legion von Belauschern und nahm nur drei Diener, darunter einen prächtigen Germanen, der mir nachläuft wie ein zahmer Bär, und mich, glaub ich, auch wie ein solcher verteidigen würde mit seinen bärenstarken Pranken; dann einen Arzt, Oribasius, den mir Philippus aus der Zahl seiner Schüler wählte (also wird er mich nur berufsgemäß, nicht absichtlich vergiften); endlich einen Buchsklaven, den mir die Augusta schenkte, zusammen mit einer ganzen kostbaren Bücherei. Welch feine Seele hat Helios in die Hülle dieses allzuzarten Leibes gesenkt! Denke dir nur mein Erstaunen, als ich in der von ihr übersandten Sammlung alle meine Lieblingsbücher, alle diejenigen Schriftsteller fand, die ich in meinen Vorträgen zu Athen angeführt hatte. Ich erinnerte mich, sobald ich Eusebia erblickte, daß diese seelenvollen Augen in jenen Vorträgen so eindringlich, so ausdruckreich zu mir emporgeblickt hatten. Sie ist so gütig, so liebevoll besorgt um mich wie eine Schwester. Warum wohl die Götter jene duftige, anmutvolle Blüte an einen Constantius ausgeliefert haben? Nun, in ihrer Umwandlung nach dem Tode wird sie auf einem besseren Gestirn ein gerechteres Los finden!

Der Imperator geleitete mich selbst bis Pavia mit einem kleinen Heer, wohl um sich zu vergewissern, daß ich auch wirklich nach Gallien gehe! Er schrieb mir sogar die Tagesordnung vor, nach der ich zu leben habe — die Stunden des Kirchenbesuches sind nicht vergessen — Ja, selbst den Speisezettel für meine Tafel hat er verfaßt. Aber er kann nicht verhindern, daß ich in den Basiliken zu Phöbos Apollo bete und daß ich die meisten Gerichte unberührt lasse. Schon hab ich alle Köche fortgejagt und teile die einfache Speise meiner Kriegsleute.

Ebenso genau wie Fisch und Braten schrieb mir der Augustus mein Tun und Lassen in Gallien vor, wem von den Beamten ich vertrauen dürfe — es sind recht wenige und gerade die, vor denen der kluge treue Philippus mich warnt —, und die vielen, welche ich »beobachten« lassen solle, um über sie geheime »Berichte«, das heißt, Anklagen an den Hof zu senden. Mich wundert nur, daß er mir nicht in Mailand in seiner Schreibtafel vorzeichnete, wo und wann ich die Alemannen, wann und wo und wie ich die Franken anzugreifen und zu schlagen habe.


Fünftes Kapitel

Und wie sieht es aus in diesem Gallien, das ich den Barbaren wieder abnehmen soll? Ach, Helios möchte schaudernd sein Auge abwenden von dem Elend in dem Lande! Und wer hat dies Elend verschuldet? Zum größten Teile Constantius. Er hat in seiner Wut und Hast, vor allem seine persönlichen Gegner niederzuwerfen, er selbst — der Imperator — hat, um Decentius, den Bruder des Anmaßers Magnentius, zu vernichten, Könige und abenteuerische Gefolgsherren der Alemannen und der Franken in das Land gerufen. Er hat ihnen noch obendrein Geld bezahlt und andre Geschenke gespendet dafür, auf daß sie, ihrem eignen Herzenswunsch folgend, den Rhein überschritten, ja, er hat ihnen sogar (sagt man) urkundlich das Recht eingeräumt, alles Land in Gallien, das sie besetzen könnten, für immer zu behalten, wenn sie nur Decentius beseitigt hätten. Auf diese Urkunde beruft sich, hör ich, der wildeste dieser Könige, der ungestüme Chnodomar. Aber daran kann ich doch nicht glauben! Alsbald behandelten die Barbaren, nachdem des Constantius Anhänger sie selbst über den Rhein geführt, alle Römer ohne Unterschied, auch die zu Constantius hielten, als Feinde. Und unaufhaltsam, wie die See nach durchbrochenem Deich, ergossen sich diese Germanen weithin über alles Land. Fünfundvierzig starke Festen — nicht vier oder fünf, wie man mir vorgetäuscht hatte — deren wehrhafte Mauern zugleich blühende Städte umschlossen, sind von ihnen erobert und, sofern römische Steinhäuser zu verbrennen sind, niedergebrannt. Von Rhein, Maas und Mosel landeinwärts haben sie über siebzehn Stunden weit das Land besetzt und mehr als dreimal so viel — vierundfünfzig — Stunden weit erstrecken sich ihre Streifzüge über das schutzlose Land! Die reichen Grundherren zuerst flohen von ihren Villen in die festen Städte, bald folgten Colonen und Sklaven mit dem noch geretteten Vieh. Schon zwei Jahre lang vermag die in den engen Stadtfestungen zusammengedrängte Bevölkerung nur noch von jenem Getreide zu leben, das sie innerhalb der Wälle baut auf den Stätten niedergerissener Häuser. Die spärlichen Besatzungen aber, seit Jahren ohne Sold, ohne Vorräte, ohne Erneuerung von Waffen und Ausrüstung, weigern ihren Befehlshabern offen den Gehorsam, wollen diese sie vors Tor hinausführen gegen die Barbaren, bei deren Nähe, ja bei deren Namen schon sie zittern. Und all das soll ich bessern — ich Flavius Claudius Julianus — unter den Götterfreunden zwar der erste, unter den Philosophen und Dialektikern nicht der letzte, aber unter den Feldherren und Staatsmännern der unauffindlichste (ist hübsch, »unauffindlichste«, nicht?).

Hier unterbrach mich der treue Jovian. Allzulange schon, meint er, mühe ich mit Schreiben. Aber die Mühe ist süß. Ich diktiere meinem holden Weibe, das unsere Geheimschrift rasch erlernt hat, ein Stück dieser Briefe, während ich ein andres selbst schreibe. Ist es Eitelkeit, daß ich selbst das mitteile? Wahrscheinlich. Ach, der wirkliche Cäsar beschäftigte lesend und schreibend drei Schreiber zugleich! Ob ich es wohl auch hierin noch ihm gleichtun werde wie in der befohlnen Eroberung des Rheins? Ich habe Jovian zu meinem Präfectus Prätorio für Gallien ernannt. Freilich müssen wir's erst haben. Er rief mich ab in den Hof des Palatiums zu Vienne, in dessen Lesegemach ich dies schreibe. Er behauptet, in den andern Leibesübungen, zu denen er mich, den oft Widerstrebenden, schon in Athen herangezogen, gehe es so leidlich; aber meine Beine seien noch allzu ungelenk im Springen! (Allerdings ist meine Zunge viel gelenker im Reden.) Und so zwingt er denn seinen Herrn und Cäsar täglich, mit der Sprungstange weiter und weiter zu hüpfen. Im Schloßhof liegt weicher Schnee (es ist Januar); das ist ein Glück. Denn eben fiel ich sausend auf meine sehr uncäsarische spitze Nase. O Plato, Plato, welche Beschäftigung für einen Philosophen!

Aber zurück zu Gallien und meinen unlösbaren Aufgaben.

Schon auf dem Wege hierher, in der Tat am ersten Tag nach meinem Aufbruch von Pavia, zu Turin — am zweiten Dezember — erfuhr ich durch eilende Boten, welche die verzagenden Städte Galliens Hilfe heischend an den Hof gesandt, daß auch Köln, das alte stolze Hauptbollwerk unserer Macht am Rhein, gefallen war! Ein wahrer Donnerschlag von einer Nachricht! Mein Herr, der Imperator, hatte das, wie sich nun ergab, genau gewußt. Allein er hatte es nicht für nötig erachtet, mir diese Kleinigkeit mitzuteilen; wahrscheinlich aus gütiger mitleidiger Schonung. Ja, er trieb die — (wie soll ich sagen?) — christliche Selbstverleugnung so weit, daß er mich ganz ruhig anhörte, als ich ihm auseinandersetzte, unerachtet des Verlustes so vieler fester Plätze an die Barbaren sei ich entschlossen, den Auftrag der Befreiung Galliens anzunehmen, da ja Köln noch unser sei. Und er lächelte beifällig, als ich ihm tags darauf nun meinen Feldzugsplan entwickelte. (Ja, meinen; allein, ohne Jovian, hatte ich ihn entworfen. Jovian hat ihn nachträglich voll gebilligt. ›Es ist wieder Eitelkeit‹, denkst du jetzt, o Lysias, ›daß er mir beides schreibt!‹) — Der stützte sich ganz auf jene Feste; von dort aus konnte ich zugleich die Franken im Norden und die Alemannen im Süden beobachten, bedrohen, ihre etwa geplante Vereinigung auseinanderhalten, sie vereinzelt angreifen und schlagen. Die Art seines Lächelns hierbei fiel mir zwar ein wenig auf; es war so listig überlegen; aber errötend sagte ich mir, der soviel Reifere mache sich ein wenig lustig über die junge Feldherrnschaft seines Cäsars. Jetzt freilich weiß ich, was das imperatorische Lächeln bedeutet: Es verlachte die Leichtgläubigkeit des Harmlosen, der an Worte glaubt, die er am Hofe hört.

Mein Augustus wußte genau, daß Alemannen und Franken sich vereint hatten, daß Chnodomar, ein König der Alemannen, und ein batavischer Königssohn, miteinander Köln belagert, erstürmt und halb verbrannt hatten, zur Strafe dafür, daß die doch germanische — ubische — Bevölkerung neben der römischen Besatzung auf den Wällen gegen die Stammgenossen gefochten hatte. Der Führer der römisch Gesinnten, Spurius Romanus, fiel in dem erbrochnen Tor, durch das Schwert des Alemannen.

Der Verlust Kölns war der Zusammensturz all meiner Pläne, fast auch meiner Hoffnungen. In dem ersten Schmerz — (und vielleicht auch Zorn!) — wollte ich meinem klugen Herrn den Feldherrnauftrag und die Cäsarenschaft vor die Füße werfen. Hatte ich doch nichts dadurch erreicht, als den sichern Untergang in einem Unternehmen, das — jetzt — von jedem Verständigen mir als Tat der Eitelkeit, der Torheit angerechnet werden muß.

Zwar sagte ich mir, daß ich rühmlicher durch den Speer der Germanen falle als — wie Gallus — vom Henker erdrosselt. Und in dem Abschiedsblicke meines Herrn lag so was wie der Gedanke: ›Der muß mir Gallien schaffen, oder ich schicke ihn zu Gallus in den Hades!‹

O Lysias! Wenn du einen leibschwachen, ungeübten Jüngling, der in gebundener Zurückgezogenheit bisher sein Haus nicht verlassen, plötzlich auf den Kampfplatz der Olympischen Spiele stellst, ihm zurufend: »Nun zeige dich in allen Wettkämpfen dem versammelten Volke, vor allem deinen Landsleuten, für welche du wettstreiten sollst, zugleich aber auch den Barbaren, die du in Schreck und Furcht vor dir versetzen sollst«; würdest du dessen Seele nicht völlig niederschlagen und vor dem Kampf kampfunfähig machen? Dies war meine Lage. Aber eine große Seele verzagt nicht und beugt sich nicht; und nicht klein gab mir Helios die Seele!

Ich widerstrebte bald dem Verzweifeln. Und auch Jovianus kam zu Hilfe. »Ich bin kein Philosoph«, sprach der in seiner schlichten, nüchternen Weise, »und kein Sterndeuter und kein Schwärmer für deinen Homeros; ich bin durchaus prosaisch und hausbacken.« (Helios weiß, daß Jovian nie lügt, also auch nicht in diesen Worten!) »Aber aus deinem Homer hab ich mir einen Spruch gemerkt: »Ein Wahrzeichen nur gilt: Für die Heimat kämpfen und sterben.« Du mußt nach Gallien gehen. Wahrscheinlich bist du dann verloren. Aber gehst du nicht, ist Gallien gewiß verloren. Rom ruft. Du mußt. Ich sah es ein, zerriß den heftigen Brief, den ich an den Augustus geschrieben (schade darum, er war ein kleines Meisterstück mehr noch des Zornes als des Stils), und setzte die Reise fort nach Gallien und — in den Untergang.

Denn was soll ich, der ich die vierundzwanzig Jahre meines Lebens fast nur in Klöstern, Schulen, Büchereien zugebracht, in Theologie, Mystik, Philosophie, Rhetorik, Dialektik, der ich nie das geringste Amt bekleidet, nie eine Zehntelkohorte befehligt, erst seit einem Jahre fechten und reiten gelernt und allerdings viel Kriegsgeschichte und Kriegskunst getrieben habe — in Büchern —, was soll ich ausrichten als Feldherr und als Staatsmann? Es ist, als sagt man einem Mann: »Spring in diese verdeckte Grube, dann sollst du Cäsar heißen.« In der Grube aber harren des Waffenlosen ungezählte Bären. Und man wußte recht wohl, in welche Grube man mich springen hieß.


Sechstes Kapitel

Richte ich aber — durch der Götter unverdiente Gnade — etwas aus, so wird es erst recht sicher mein Verderben. Die Spuren schrecken.

Da war mein Vorgänger in Gallien, Silvanus, trotz seines römischen Namens ein Franke, der sich bis zum Befehlshaber unsres Fußvolks emporgeschwungen. Er verteidigte erfolgreich den Niederrhein gegen seine eigenen Landsleute, treu, tapfer, klug. Aber seine Neider am Hofe, Eusebius und die andern Eunuchen, ertrugen nicht seine Tüchtigkeit und seine Erfolge. Sie fälschten Briefe von Silvanus — nur die Unterschrift war echt. Den hochverräterischen Inhalt hatten sie auf die leeren Blätter geschrieben. Sein Untergang ward am Hof beschlossen. Er erfuhr es. Nun, da er seine Verurteilung — ohne Gehör — vernahm, wollte er zunächst entfliehen; aber er sah sich rings umgarnt, die Wege bewacht. Jetzt erst ließ sich der treue Mann, der nie gestrauchelt war, nur um sein Leben zu retten, zu der Tat fortreißen, an die er nie gedacht: zur Empörung! Fünf Tage vorher hatte er noch gehorsam den Sold an die Truppen bezahlt und sie aufs neue für Constantius vereidigt. Jetzt erst, aus Verzweiflung, griff der Arme nach dem Diadem; denn ein Mann, der bei Constantius auch nur einmal verdächtigt worden, ist ja verloren. Nur der Purpur konnte ihn retten. Seine Legionen riefen ihn in dem damals noch römischen Köln zum Imperator aus; er duldete es! Tief verwerfe ich das, mit Abscheu! Nie, nie werde ich, nur um mein Leben zu schützen, die Treue brechen! Erst Rom, dann alles andre. Was gilt ein Julian — aber freilich auch, was gilt ein Constantius — gegen Rom!

Ich verurteile ihn also aufs schärfste; aber ich beklage ihn doch. In Ermangelung eines Purpurmantels wurden die Purpurwinkel und Fahnentücher von den Drachen der Reitergeschwader, den Standarten und Vexilla herabgerissen, zusammengenäht und ihm über die Schultern geworfen. Wie barbarisch, wie unrömisch! Wie bezeichnend für diese ganze unrömische Hast und Not! Unheilvoller Drachenpurpur, nicht erretten, verderben solltest du den Armen! Mit derselben Tücke, mit welcher der Augustus vor kurzem meinen unseligen Bruder umgarnt und vernichtet hat, entsandte er, zuerst Unkenntnis des Geschehenen, dann Vergebung heuchelnd, an Silvanus einen Vertrauten, der die Tücke so weit trieb, sich selbst scheinbar der Empörung anzuschließen, bis er nach achtundzwanzig Tagen einen Haufen sarmatischer Söldner bestochen hatte, vor Sonnenaufgang in den Palast zu Köln zu dringen, die fränkischen Gefolgen des Silvanus niederzuhauen und diesen selbst in einer Galiläerkapelle, wo er die allen Galiläern heilige Zuflucht gewonnen hatte, mit vielen Streichen zu ermorden. Auf die Beschwerde des Priesters erwiderte der fromme Imperator: Erstens seien jene Söldner nicht getauft und zweitens sei die Kapelle vorher entweiht, also nicht mehr Zufluchtsort gewesen, da einmal ketzerischer Gottesdienst der Sabellianer darin gehalten worden sei. O Lysias, was alles muß der große reine Helios schauen! Nie, niemals, nie würde ich den Frevel des Eidbruchs — selbst gegen einen Constantius — auf meine reine Seele laden, auch wenn es das einzige Mittel wäre, mein Leben zu retten. Lieber dreimal sterben!

Aber die Tücke des Augustus und seines Werkzeugs ist doch noch ärger als die Verzweiflungstat des Germanen. Und das Allerschlimmste ist: Jene Falschheit findet Billigung auch bei Männern, die ich zu unsern besten zählen muß, so tief ist Manneswackerheit bei uns gesunken!

Da ist ein tüchtiger Grieche aus Antiochia, Ammianus Marcellinus. Ich lernte ihn nahe kennen zu Athen und zu Byzanz; er ist ein trefflicher Kriegstribun, schreibt aber in seinen Mußestunden an einer Geschichte nicht bloß der Vergangenheit Roms, auch unserer Tage; ein beklagenswerter Schriftsteller! Der Mann gefällt mir durchaus, ist kein Schmeichler — (derb hielt er mir, fast wie du, meine Eitelkeit vor); der erzählt mir zu Turin haarklein jene Ränke des Imperators, jene Verstellung des vertrauten Sendlings — (Ursicinus heißt er und ist auch ein tüchtiger Kriegsmann) — und nicht ein Wort der Mißbilligung fügt er bei! Nicht aus Feigheit oder Klugheit; er schalt sehr offen vor mir über den Augustus; nein, offenbar, weil er verlernt hat, schlechte Mittel zu verwerfen, wenn sie nur fruchten. Und er dient gerade unter Ursicinus weiter. Und das ist der Besten einer! O wehe dem, der gezwungen ist, über solche Römer und Griechen zu herrschen! Dank allen Göttern, daß ich nicht ein Sohn des großen Constantinus bin und nie dazu verdammt sein kann, Imperator dieses gesunkenen Römerreichs zu heißen!

In der Verwirrung, die nach der Ermordung des Silvanus unter unsern Truppen zu Köln einriß, gelang es den Germanen, diese Hauptfeste zu bezwingen. Früher gab der Germanen Zwietracht uns den Sieg; soll sich das umkehren? Haben die Germanen von den Römern gelernt? Verhüte es Zeus, der Erretter, und die städtebeschirmende Pallas!


Siebentes Kapitel

Von Turin brach ich nun also weiter auf, Gallien zu erobern, mit dreihundertundsechzig Kriegern.

Du siehst, kaum für ein Jahr ist die Zahl berechnet, falls ich täglich einen verliere! Doch sind es tüchtige Leute. Leider muß ich sagen: meist Germanen, deren Dienstfrist abgelaufen war und die gern die Gelegenheit ergriffen, über die Alpen in die Nähe ihrer Heimat zu gelangen. Viele gewann mir Berung, mein alemannischer Bär. Auf meine zweifelnde Frage erwiderte er: »Herr, solange ihr Schwerteid währt (sie schwören auf ihre Schwerter, die sie, die Spitze nach oben, in die Erde stoßen), sind sie dir treu bis zum Tod; am Tage darauf fechten sie vielleicht neben ihren Gaugenossen wider dich.«

»Und du?« fragte ich. »Wie lange währt dein Schwerteid?« — »Ich habe dir den Bluteid geschworen. Ich diene dir, solange das Leben währt, das ich dir danke.« (Ich hab ihn vom Tod durch Henkershand gerettet; er war ein wenig zu freimütig für den Hof.) Aus dieser verlässigen Schar will ich mir eine Leibwache bilden, so eine Art Gefolgschaft, wie sie bei den Germanen vorkommt, durch Tapferkeit, Ehre und Treue ausgezeichnet. Man muß auch von seinen Feinden lernen. Und man muß sie kennen, um sie mit Erfolg zu bekämpfen.

Ich lese nun zum erstenmal und gar eifrig in des Tacitus Büchlein von den Germanen. Es gefällt mir aber nicht. Ich glaube, er überschätzt sie, diese ungeschlachten Barbaren. Nicht ihr Dreinschlagen, aber die Möglichkeit, daß sie etwas schaffen, zumal einen Staat. Der Mann, der da schreiben konnte, »da die Geschicke des Römerreichs schon drohend heranschreiten, kann uns nur noch die Zwietracht dieser Völker retten«, schaute zu trüb in seine Gegenwart und in Roms Zukunft. Zweihundertfünfzig Jahre sind seitdem hingegangen über unser Reich: Es steht immer noch! Ja, wenn es gelänge, die alten Götter wieder auf die alten Altäre zu stellen, und so den alten Römergeist wieder zu beleben, ich glaube, unser Reich erhielte ewigen Bestand. Weissagend scheint mir jenes schöne Wort des venusinischen Sängers: Auch Rom wird — wie sein Lied — nur leben:


»Solange noch
Schreitet hinauf zu dem Kapitol
Der Pontifex mit der schweigenden Jungfrau.«


Nicht die Barbaren werden Rom zerstören, nur die Römer. Die entrömerten Römer! Entrömert aber sind die Quiriten, die nicht mehr in Latium, nicht in der von ihnen beherrschten Welt, sondern in dem Christenhimmel ihre wahre Heimat erblicken zu müssen, nicht überzeugt, nur überpredigt worden sind. (»Überpredigt« ist ... nun du weißt schon, was ich meine. [Oder weißt du's nicht?] Nicht ganz übel!)

Diese Germanen mögen Schlachten gewinnen und Beute, aber sie suchen ja bei uns nur Ruhm und Raub, und eilen mit beiden, wann gewonnen, in ihre Waldsümpfe zurück, untereinander selbst um beide zu raufen. Ja, wenn sie einmal denken lernten, sich einen, und uns — dauernd — näherrücken, in unsrem Lande bleibend, dann ...! So aber, wie sie sind, acht ich sie nur ihren Bären gleich und ...

Eben kommt ein Eilbote mit einem Schreiben vom Augustus. Er fragt, ob ich denn noch immer nicht gesiegt, nicht wenigstens Köln wiedergewonnen habe? O ihr Götter! Und ich sitze noch in Vienne, überlegend, wie viele Helme ich in ganz Gallien zähle? Und wo überall sie verstreut sein mögen? Constantius hielt einstweilen einen Triumpheinzug in Rom. Wahrscheinlich wegen der Siege, die ich noch erfechten soll. Philippus schreibt, der Triumphator saß allein in einem prachtvollen Siegeswagen, erstrahlend von Gold und Edelgestein. Regungslos, wie eine Bildsäule saß er, keine Bewegung der Hand machte, keine Miene verzog er. Das Volk hielt ihn für einen leblosen Götzen, wie sie im Morgenland umhergefahren werden. Seine zarte Gemahlin mußte ihm nachfahren; aber auch meine Mutter und Schwester führt er überall mit sich als seine »Gäste«; als seine Geiseln! Je näher er sie bei sich hat, um so mehr scheint sein Mißtrauen besänftigt.

Zum Andenken an seinen Besuch ließ er einen einhundertfünfzehn Fuß hohen Obelisk aus Granit vom Nil, in den Tiber geschleppt, aufrichten im Zirkus. Mit der Kraftanstrengung, die hierzu vergeudet ward, konnte man alle Sturmböcke vernichten, mit denen der Perserkönig Sapor die Mauern unserer Grenzfesten in Asien erschüttert. Denn — o Schmach und Schande dem römischen Namen —, der Perser dringt ungestraft in unser Land im Osten, wie der Germane im Westen. Neun Schlachten hat Constantius, seit er herrscht, Sapor, »dem König der Könige, der Sonne und des Mondes Bruder«, geliefert; alle neun sind römische Niederlagen! Und was ist die Rache des frommen Imperators? Eine scheußliche Nachricht geht mir zu! In einem Reitergefecht ward Artasan, ein Sohn des Königs Sapor, gefangen von unserer Übermacht nach tapferster Gegenwehr. Constantius, der gottselige Galiläer, befahl — wider alles Völkerrecht —, den verwundeten Königssohn, einen herrlichen Jüngling, nackt vor dem ganzen Heer zu geißeln, zu foltern, dann an einem Galgen aufzuhängen! Das heißt die Rache der Götter herabbeschwören! Ich fürchte sehr, sie wird nicht ausbleiben. Oh, warum kann ich nicht dahin fliegen, wo die Gefahr am größten? Drei unsrer wichtigsten Burgen: Amida — für den Tigris, was Köln für den Rhein —, Singara und Bezabde sind schwer bedroht.

Constantius hat mich zum Konsul für dies kommende Jahr ernannt und mir die konsularischen Abzeichen übersandt. O wär ich ein Konsul wie die Scipionen!

Allmählich lerne ich die Feldherren und die Beamten kennen, über die ich in Gallien zu verfügen habe. Ich beschied sie der Reihe nach hierher, das heißt diejenigen, die ihre von den Barbaren bedrohten Städte verlassen können oder verlassen mußten.

O Lysias! Was für Menschen!

Ein paar Haudegen ohne Gedanken; alle, die denken können, denken nur an sich. Und ich entdecke bei jeder Gelegenheit, daß der Imperator in seinem Mißtrauen gegen mich sie alle angewiesen hat, bei jedem meiner Befehle nach ihrem Gutdünken zunächst Berufung an den fernen Herrscher einzulegen. Zum siebentenmal ward mir eine solche Vollmacht vorgelegt. Und ich Ohnmächtiger, also Gebundener, ich heiße »Cäsar«!

Eine große Freude — mehr, einen weissagenden Gruß der Götter habe ich erlebt! Bei dem Antritt des Konsulats hielt ich feierlichen Umzug in der Stadt, Gold- und Silbermünzen ausstreuend unter das Volk. (Es gelang mir, den Gottesdienst in der Basilika zu vermeiden; sie ist baufällig, und ich schützte Besorgnis vor. Ach, wieviel Lügen wird mir Helios noch verzeihen müssen, weil ich sie in seinem Dienste log! Aber das Lügen, das Heucheln frißt zerstörend an der Manneswackerheit.)

In dem Gedränge fiel eine alte Frau zu Boden. Ich sah's, sprang aus dem Wagen, hob sie auf. Sie war blind, nahm ich nun wahr. »Dank, lieber Herr, danke dir, Phöbos Apollo, den ich nicht mehr schauen kann«, sprach die Greisin. »Sage mir, du Gütiger — denn deine Stimme ist freundlich und gütewarm —, was ist heut für ein Fest in der Stadt der allobrogischen Juno? Ach, ich weiß nicht mehr, was in der Welt geschieht! Mein Mann war Priester des Apollo in einem Weihtum bei Paris; er ward uns entrissen — verschwand mir —, weil er sich der Schließung und Entweihung durch den Bischof widersetzte, damals ward auch mein Sohn von dem Centurio erschlagen. Mich haben sie hierher verbannt, weil ich dabei auf den Imperator schalt. Sprich, warum drängt sich das Volk?« — »Höre nur, Mütterchen«, antwortete ich, »was sie rufen.« — »Heil Julianus, dem Konsul, dem Cäsar.« Da fuhr die Alte in die Höhe und sprach wie verzückt, wie eine Pythia: »Cäsar Julian? Cäsar Julian? Meine Mutter hat geweissagt: Ein Cäsar Julian, ein zweiter Julius Cäsar, wird die Barbaren schlagen. Und er wird die Altäre der Götter herstellen. Cäsar Julian; ich hab ihn erlebt. Nun will ich gerne sterben.« — »Sie ist verrückt seit Jahren«, sprach, höflich entschuldigend, ein Diakon zu mir. »Vergib ihr die Gotteslästerung, o Herr!« Damit drängten sie mich wieder in meinen Wagen. Ich sandte ihr durch Berung einige Goldstücke. Aus den Wahnsinnigen aber sprechen höhere Mächte.

O wie heiß verlangt mein Herz, die Barbaren zu schlagen! Dieses Omen nehm ich an. Und das andere? Nun, solange ich Cäsar heiße, sollen in meinem Gallien wenigstens die Götter und ihre Verehrer nicht verfolgt werden. Ich seh's voraus: Deshalb allein schon werd ich nicht lange Cäsar heißen. Aber schützen, dulden darf ich doch. Verfolgen um des Glaubens willen würd ich nie, hätt ich die Macht eines wahren Cäsars. Wie scheußlich ist doch solche Verfolgung; ich hab's zu tief gefühlt, um selbst dieser Schuld jemals fähig zu sein.

Oh, ich Tor! Ich bangte um Amida im fernen Asien — und ach! »Schon brannte einstweilen mein nächster Nachbar Ukalegon«, singt der Sänger von Mantua — ich meine, Autun ganz nah in »meinem« (!) Gallien.

Ein Schwarm von Germanen, Alemannen, geführt von Chnodomar, dem »roten Stier« — so nennen ihn die zitternden Provinzialen —, drang mitten im Winter (diese Bären scheinen nie zu frieren!) ohne Widerstand zu finden, vom Rhein, von Basel her über Besançon und Dijon bis Autun. Die Stadt hat nur eine verfallene Mauer und eine zaghafte Besatzung. Man sagt, sie verhandelt schon! Und ich! Ich sitze hier in Vienne, ratlos, hilflos, heerlos! Kein Geld, keine Vorräte, keine Waffen! Mit dreihundertsechzig Hellenen, die ich mitgebracht, und tausend, die ich vorgefunden. Ach, die Götter haben Rom aufgegeben, weil Rom die Götter aufgegeben hat!

Nein! Nein! Die Götter des Sieges haben denen noch nicht den Rücken gewandt, die treu an ihnen hangen. Ein Eilbote aus dem geretteten Autun! Chnodomar der Gefürchtete hatte, des Falles der Stadt gewiß, die Belagerer verlassen mit seiner Gefolgschaft, weiter ins Land hinein zu stoßen. Wirklich wollte der Befehlshaber die Tore öffnen. Aber alte ausgediente Krieger, die in ziemlicher Menge dort angesiedelt sind, tapfere Latiner und zähe Illyrier, widersetzten sich dem feigen Entschluß. Ein grauhaariger Centurio — Marcus Cornelius heißt der Wackere — ergriff den Befehl, brachte dem Mars Repulsor ein Opfer in dem lange versperrt gewesenen Kapitol der Stadt, befragte die Götterzeichen und, da sie günstig ausfielen, brach er in der Nacht aus den Toren und schlug die überraschten Barbaren in die Flucht. Mars Repulsor sei gepriesen!

Ich bringe ihm morgen — heimlich — ein Dankesopfer, sobald ich aus dem öffentlichen Sonntagsgottesdienst in der Basilika zurück bin.

Nur meine holde Helena habe ich bisher zu den Göttern bekehrt: Sie hilft mir den Altar bekränzen und tut dies so feierlich und pietätvoll, als wäre sie bei Priestern in die Schule gegangen. Jovian ist gleichgültig.


Achtes Kapitel

Wie leicht wäre es, wie verlockend leicht für einen Freund der Götter, die junge Herrschaft der Kirche wieder zu stürzen, die ja fast nur aus allerlei äußeren Gründen von Constantin vorbereitet, von seinen Söhnen rasch emporgezimmert ist! Die ehrlich Überzeugten — gewiß gibt es deren viele — wiegen nicht schwer, denn es sind meist ungebildete Leute.

Es wäre gar nicht notwendig, mit Gewaltmitteln vorzugehen, was ich verabscheue. Nein! Es würde schon genügen, die zahllosen Spaltungen geschickt zu benutzen, die innerhalb des neuen Glaubens ausgebrochen sind. Auf das grimmigste befehden sich die frommen Leutchen untereinander als »Häretiker«, als Schismatiker und verfluchen sich gegenseitig um die Wette als vom Satan und den Dämonen Besessene.

Ich bin nun selbst in diesen Streit hineingezogen — ich! Du kannst dir denken, mit welcher Wollust des verhaltenen Hohnes ich mir alle die Haarspaltereien der Lehren vortragen lasse, von denen die ewige Seligkeit abhängt, und wie ich bald mehr der einen, bald der andern Richtung zuzuneigen mich anstelle.

In Mailand schon ward ich hineingezwungen in diese Dinge; aus Pflicht der Dankbarkeit. Der Imperator, lange schwankend, ist nun entschieden auf die Seite der arianischen Lehre getreten, die sich von der rechtgläubigen buchstäblich nur durch »ein Jota« unterscheidet; an diesem Buchstaben hängt wieder einmal für uns alle das ewige Heil. Die Arianer lehren, Christus ist nur wesensähnlich Gott dem Vater — homoi-ousios, die Katholischen: Er ist ihm wesenseins — homo-ousios. Darüber ist nun ein Kampf entbrannt, der in allen drei Erdteilen mit allen Mitteln (auch mit Mord, so heißt es) geführt wird. Im Morgenland soll ein ausgezeichneter Mann, ein hervorragender Vorkämpfer der Katholischen, Athanasius, hart verfolgt werden unter Zulassung, ja auf Befehl des Augustus. Ich möchte wohl mehr von diesem Athanasius erfahren. Was man mir von ihm — schon zu Mailand und Turin — erzählt, reizt mich. Ich möchte mich mit diesem Geist und Mannesmut im Kampfe messen.

Hei, wär ich nur Imperator! (Neulich hab ich's mit Unrecht von mir weggewünscht.) Nur deshalb möcht ich's sein. Ich wollte ihn schon bezwingen, diesen Athanasius, den sie den dreizehnten Apostel nennen und einen zweiten Paulus, den gewaltigsten Geisteshelden, der bisher dem Galiläer erstanden. Nicht mit roher Gewalt, wie Constantius und seine arianischen Bischöfe — nein, nur mit den Waffen der Gedanken möcht ich ihn überwinden — ihn und alle katholischen Lehrer wie seine häretischen Widersacher. In Mailand war mein alter Beschützer Johannes bei dem Augustus schwer verklagt, er habe kühnlich für Athanasius gesprochen und den Mahnungen des arianischen Bischofs zu Alexandria, des Verdrängers des Athanasius, getrotzt. Constantius wollte den mutigen Mönch in irgendeinem Kloster verschwinden lassen. Ich erfuhr es durch unsern gemeinsamen Freund Philippus, und meine und der Augusta Fürbitte retteten den tapfern Schwärmer (wie unrecht tust du ihm!) noch einmal. Doch war er von uns allen dreien nicht zu dem Versprechen zu bewegen, künftig zu schweigen. Ganz heldenhaft sprach der schwächliche Alte: »Ich werde nie schweigen, wenn es gilt, Zeugnis abzulegen für Christus den Herrn.« So was gefällt mir! Aber recht eigensinnig ist er doch schon, Freund Johannes. Hier nun in Vienne, wo man wirklich lieber an Alemannen und Franken denken sollte als an Arianer, Ebioniten und Sabellianer (das sind andre christliche Sekten), hier bestürmen mich die Bischöfe und Priester der streitenden Bekenntnisse, ich möge doch die reine Lehre schützen. Und das heißt jedesmal, die Andersgläubigen verfolgen. »Denn«, sprach der katholische Bischof von Arles zu mir, »die wahre Religion darf und kann nicht eine falsche neben sich dulden.«

Ein scheußlicher Satz. Er riecht nach Blut. Mir graute. Zum Glücke fiel mir der schöne Spruch eines ihrer Besten ein, des Tertullian, der lautet: »Die Religion darf nicht aufgezwungen, freiwillig muß sie angenommen werden.« Aber das strenge Haupt schüttelnd erwiderte der Bischof: »Die Irrgläubigen müssen von Staats wegen bestraft werden, daß entweder sie selbst gebessert oder doch andre abgeschreckt werden durch dies Beispiel.«

»Abgeschreckt vielleicht von der Wahrheit hinweg«, wagte ich zu erwidern. »Und wer sagt, was Wahrheit, was Irrtum?« — »Die Kirche.« — »Es gibt viele nebeneinander; welches ist die rechte?« — »Es gibt nur eine!« — »Welche?« — »Natürlich die meine.«

Heiliger Aristoteles! Welche Logik! Das beste ist, während ich den Auseinandersetzungen zuhöre, ob der Heilige Geist nur vom Vater ausgehe oder auch vom Sohne, und ob die »Perichoresis«, die »circum in cessio«, das heißt, die alle drei Personen der Dreieinigkeit durchdringende Geisteseinheit nur die Eigenschaften oder auch das Wesen der drei göttlichen Personen umfasse, und bald dem einen, bald dem andern Recht gebend zunicke, habe ich Zeit zu überlegen, wie wohl die Stelle in Plotin über den ersten Ursprung aller Dinge (II. 3) richtig auszulegen oder ob der neue Sturmbock, den ich erfunden habe, nicht zu schwer beweglich, oder ob mein Quästor Florentius nur ein Dummkopf oder ein Schurke, endlich, ob die sehnlich erwartete Getreidezufuhr aus Britannien für meine Festen noch immer nicht unterwegs ist? Freilich begegnete mir gestern, weil ich nicht genug achtgegeben, daß ich die Lehre der Semi-Arianer billigte, die ich vorgestern verworfen hatte.

Eben geht mir ein Gesetz des Imperators zu, das kurz und deutlich befiehlt: Alle Tempel allerorten sind sofort zu verschließen und sorgfältig zu bewahren, daß niemand Eintritt finde; jedes den Göttern dargebrachte Opfer ist mit Todesstrafe und Vermögenseinziehung bedroht. Und in Rom ist bereits eine solche Hinrichtung vollstreckt worden. Freilich hatte der Opferer in den Eingeweiden des Tieres die Zukunft des Reiches erforschen wollen. Das ist Hochverrat! Ja die gleiche Strafe — der Tod! — bedroht ausdrücklich jeden Statthalter einer Provinz, der jene Taten ungeahndet läßt. Und ich muß das verkünden! Aber die Furcht des Tyrannen vor den Göttern, die er leugnet, verrät sich darin, daß er ihnen das Reden verbietet. Allen Orakeln ist Schweigen auferlegt, und niemand darf sie mehr befragen.

Wochen und Monate sind verstrichen, seit ich diese letzten Zeilen schrieb.

Der Winter, das Frühjahr verging mir in unablässiger Arbeit »um die Trümmer der Provinz zu sammeln« (wie ich neulich [ich glaube nicht übel] meinem neuen Freund Ammianus Marcellinus schrieb [du begreifst: Ein Cäsar muß sich gutstellen mit einem Manne, der die Geschichte der Gegenwart schreibt. Aber dieser Grieche ist ehrlich bis zur Grobheit. Er wird mich nie zuviel, eher zuwenig loben, gerade, weil er mich ein wenig liebt. Das merke ich denn doch]), die Beamten für Krieg und Frieden prüfen, schlechte durch gute ersetzen, die Steuerlast mildern, unter der die Provinzialen wie überbürdete Lasttiere erliegen (sie flüchten aus unsern Städten zu den Barbaren, sie fürchten weniger Chnodomar als den römischen Steuerboten), die ganze, ins Stocken geratene Verwaltung wieder in Bewegung setzen, zugleich Nachricht von den Feinden und ihren Absichten erkunden, die schwachen Besatzungen der bedrohten Städte verstärken, die überall verzettelten, ach oft durch die Flucht verschlagenen Truppenteile zusammenziehen, ermutigen, mit Römergeist wieder erfüllen, Waffen, Vorräte beischaffen, einen neuen Feldzugsplan entwerfen — all das nahm diese Monate in Anspruch.

Endlich war ich fertig. Das heißt vielmehr, wie der nüchterne und wahrhaftige Jovian trocken bemerkte: »Du hältst es nicht mehr aus, seitdem die Wege wieder gangbar und die Barbaren auf diesen Wegen sind. Fertig! Du bist es so wenig wie vor sechs Monaten, wenn man darunter versteht: dem Feind gewachsen, ausreichend gerüstet. Aber gleichviel: fertig in solchem Sinne wirst du nie, solange des Imperators Geiz und Mißtrauen dir alle Unterstützung von außerhalb Galliens verweigert. Du sollst das halbverlorene Gallien mit Galliens Mitteln allein wiedergewinnen. Also drauflos! Es ist gleichgültig, wann man das Unmögliche beginnt.« Er hat recht, wie immer. Er ist der gesunde Menschenverstand, und ich? Vielleicht Höheres — aber verständig gewiß nicht. Wohl, die Götter helfen edler Torheit gern.

So nahm ich denn schmerzlich Abschied von meiner holden Helena! Sie muß in dem sichern Vienne zurückbleiben. Denn mein Helmbusch verschwindet jetzt unter einem Gewölk von Gefahren jeder Art. Ich weiß nicht, ob und wann und wo er noch mal auftaucht. Bange beschleicht mir oft das Herz die Ahnung, ich sehe die »Holdanlächelnde« — denn sie lächelt so oft und so lieblich! — niemals wieder. Ach, auch sie geht ja einer schweren Stunde entgegen. Mit welcher Seligkeit erwarte ich ihr Kind! Noch ungeboren hab ich es schon dem höchsten Gott geweiht, der es mir gab! »Heliodoros« oder »Heliodora« — wird es heißen. (Oh, ich fürchte, die Heiterkeit, die Helena in mein kämpfedunkles Leben wirft, wird das einzige Helle darin bleiben.) Sie zeigte der Imperatrix ihre holde Hoffnung an. Constantius schickte einen seiner eignen Ärzte, leider nicht Philippus! Aber ich lasse auch den bewährten Oribasius bei ihr. Und so nahm ich schmerzlich Abschied von Helena und von Vienne. In einer Stunde breche ich auf. Es geht gegen die Barbaren! Endlich! Welche Wonne!


Neuntes Kapitel

Ich schreibe dies am Tage meiner Ankunft in Autun: Der wackern Stadt, die sich der Belagerer aus Kraft ihrer eignen Bürger erwehrt, hatte ich längst die Aufmunterung (die Ehre, wie die Schmeichler sagen würden, aber ich habe keine) meines Besuches zugedacht. Außer meinen dreihundertsechzig Gefährten — ich habe sie alle beritten gemacht — habe ich an Fußvolk nur eine schwache Legion Ballistarier. Denn ach! Wir führen Ballisten mit, Festen und Städte zu belagern, die vier Jahrhunderte hindurch römisch gewesen sind.

Mein Weg ging die Rhone aufwärts, auf unserer alten Legionenstraße, über Lyon, Mâcon, bis Châlons, dann über die Saône nach Autun, wo ich heute — am 23. Juni — eintraf.

Hier war vor den Toren der Feste — um mich besonders zu erfreuen — die ganze Geistlichkeit aufgestellt. Dahinter die Kurialen der Stadt, die Kollegien und dann erst die Gewaffneten. Ich sprang vom Pferd, schob den süß lächelnden Presbyter zur Seite, drang durch die Decurionen und rief: »Wo ist Marcus Cornelius, der Erretter, daß ich ihn umarme?« Tiefe Stille, sichtbare Verlegenheit. Man weicht vor meinem Blick zurück. Endlich tritt, mit glänzenden Ehrenscheiben die Rüstung bedeckt, an mich heran ein Kriegstribun (wie ich später erfuhr, der elende Befehlshaber, der sich und die Stadt hatte den Barbaren ergeben wollen) und hüstelte: »Jener freche Alte, meinst du, großer Cäsar, der gegen die kriegermäßige Unterordnung in seiner Oberen Zuständigkeit eingriff und — ohne meine Ermächtigung — gegen die Belagerer einen Ausfall machte? Der höchst heilige Presbyter dort hat ihn bei dem Augustus angezeigt, daß er den auf hohen Befehl geschlossenen Tempel des Mars wieder geöffnet, ein Opfer darin dargebracht, aus den Eingeweiden des Opfertieres den Sieg geweissagt und diesen Sieg — offenbar durch Hilfe der Dämonen — ohne jede Vollmacht frecherweise dann auch wirklich erfochten hat. In Ketten ward der Frevler abgeführt und vor den Imperator gestellt, der ihn zu lebenslänglicher Arbeit in den Bergwerken von Sardinien begnadigt hat.« O wie gern hätt ich dem Elenden die Reitgerte über das aufgeblasene Gesicht gezogen! Jovianus fiel mir in den schon erhobnen Arm. Ich entsetzte den Tribun und schickte ihn gefangen an Constantius unter der Anklage der Feigheit vor dem Feind.

Ein glücklich Zeichen traf mich (du wirst gleich sehen, wie fein das ausgedrückt ist, denn das Zeichen traf mich, nicht ich das Zeichen!), als ich einritt in die Stadt. Die Bewohner hatten das Südtor, mich ehrend zu begrüßen, mit allerlei Laubgewinden geschmückt. Gerade wie ich unter das Tor ritt, fiel der schönste Kranz — ein Lorbeerkranz — hinab und traf meinen Helm, mich schön umrahmend. Freudig riefen sie mir zu: »So von dem Himmel fällt dir der Sieg!« Ich hütete mich wohl, den Kranz zu entfernen. Denn frommer Sinn weiß: ja, unverdient von den Göttern geschenkt, fallen auf unser Haupt Glück und Ruhm!

Hier wird nun aber guter Rat teuer. Ich, angehender Feldherr, habe keine genauen Straßenkarten auftreiben können von Gallien, das heißt von dem nordöstlichen. Und die Landeskundigen streiten vor mir über den nächsten und zugleich sichersten Weg, der mich nach Norden zu den Barbaren führt. Ich soll entscheiden! Und ich weiß davon so wenig wie von den zehn verlornen Stämmen der Hebräer! Die einen wollen, wir sollen über Arbor ziehen, die andern, über Sedelaucus und Cora. Ich werd's überlegen.

Ich wandle gern unerkannt, nur von Jovian begleitet, durch die Straßen der Stadt oder meines Lagers. Das Sagum, der Kriegsmantel, mit der bis an die Augen gezogenen Kapuze, macht mich unkenntlich. Dann lausche ich im Schatten der Häuser oder der Zelte den Gesprächen der Leute an dem Wachtfeuer. Viel hör ich so, was ich als Cäsar nie erführe. Auch manche nicht schmeichelhafte Wahrheit. Die Eitelkeit könnte man sich dabei abgewöhnen, litte man an ihr (du lächelst — daher füg ich bei: »oder wäre diese Krankheit heilbar«; in mir wohl nicht!). Die Krieger lachen über mich; über mein häufiges Redenhalten, über mein mangelhaftes Reiten (wartet nur, ihr sollt nicht mehr lachen, reite ich euch allen voran, in die Keilhaufen der Alemannen), über meine lauten Selbstgespräche. Große Götter, ich bin doch ohne Zweifel der gebildetste Mensch meines Umgangs. Soll ich mich nicht gern mit mir selbst unterhalten — schon zur Erholung von den Predigten der Priester? Aber sie loben mich auch — um manches. (Es ist Selbstüberwindung, daß ich hiervon schweige!) Gestern abend nun hört ich einen unter dem Helm ergrauten Adlerträger am qualmenden Wachtfeuer sagen — sie sahen mich nicht hinter der Statue der Diana Epona:

»Bah, ich habe schon unter dem großen Constantin hier gefochten, ich kenne die Waldwege, der junge Cäsar kennt sie nicht. Die beiden großen Legionenstraßen sind — ganz gewiß — von den Alemannen gesperrt; sowohl die über Arbor, als die über Cora. Wir sind viel zu schwach, sie im Stirnangriff aus den Verhacken zu vertreiben, mit welchen sie diese Wege unterbunden haben werden. Das verstehen sie, die Racker. Haushohe Mauern von lauter gefällten Stämmen, mit Zapfen in Löchern verbunden. Dazwischen durch und von oben herunter sausen Pfeile und Wurflanzen! Ich stürme lieber eine persische Felsenburg! Also da kommen wir nicht durch. Aber vor kurzem hat Silvanus — ich diente unter dem Tapfern und rühme mich dessen — den Weg durch die Wälder zur Linken von hier nach Auxerre mit acht Kohorten zurückgelegt. Der Pfad ist viel kürzer, viel! Freilich ist man verloren, gerät man in den Waldsumpf. Aber Silvanus der Franke sprach: ›Ich wag's. Mir weist die Wege der wegwaltende Wodan.‹ Und wirklich drang er mit uns durch, überraschte die Feinde und siegte! Aber was der kriegserprobte Franke wagen durfte unter seinem alten Siegesgott, das wagt — der Gott des Kreuzes ist kein Gott des Schwertes — der junge Cäsar nicht.« »Du irrst«, rief ich und trat hervor. »Ich wage es. Denn auch mich führt hoch in den Sternen ein Gott des Siegs. Und du, Aquilifer, sollst mich auf Erden führen.« Ich ergriff den Erstaunten, nahm ihn mit in meine Wohnung auf dem kleinen Kapitol der Stadt (es ist doch herrlich, daß wir in unsern guten Tagen in jeder Barbarenstadt das Kapitol von Rom wiederholt haben), ließ mir die Richtung des Wegs genau erklären, und morgen mit Sonnenaufgang geht es in die Wälder. Ob wohl Germanen darin schweifen? O schicke sie mir bald, unbesiegter Sonnengott!


Zehntes Kapitel

Sieg! Sieg! Er hat sie mir geschickt, der große Gott! Mein erstes Gefecht — zugleich mein erster Sieg!

Meine Seele frohlockt! Wie glücklich bin ich! Ein Pfeil hat meine Wange gestreift. Ich habe selbst das Schwert geschwungen! Ich habe einen Germanen im offnen Kampf erlegt! O Mars und Jupiter und all ihr Götter! O Lysias, dürft ich dich jetzt umarmen. Oder — lieber noch — Helena! An die ein Eilbote noch von der blutigen Waldwiese aus abflog. Aber so wird kein Bericht daraus! Also hübsch ruhig. »Mit klarer Gliederung des Stoffes«, befahl Libanius seinen Schülern.

Ich zog also Ende Juni mit meiner schwachen Schar von Autun durch die Wälder, geführt von meinem Freunde, dem Fahnenträger Voconius. Ja, ich darf ihn Freund nennen, den echten Latiner, den Sohn der samnitischen Berge! Auf meine Frage — nach unserem ersten Gespräch über die Wege —, ob er die alten Götter vorziehe oder den neuen, erwiderte er: »Ich verstehe das nicht, o Cäsar. Es ist mir auch ziemlich gleichgültig. Ich weiß nur, solange ich den Adler trug, pflegten wir die andern zu hauen, seit ich das Labarum tragen muß, pflegen wir gehauen zu werden. Das erstere gefiel mir besser.« Ich drückte ihm die Hand; ein Geldgeschenk lehnte er ab. Da sagte ich: »Wir wollen fortab Freunde sein, Aulus Voconius.« Und wir sind es geworden.

Mein Freund Voconius leitete also unseren kleinen Zug durch Wälder und Sümpfe gegen Nordwesten auf Auxerre. Sowie wir in die tiefen Waldungen einbogen, die nur schmale Pfade durchschnitten, spürten wir alsbald vor uns und auf beiden Flanken die Nähe der Barbaren — wir wußten zunächst nicht, ob Alemannen oder Franken —, die uns vorsichtig umkreisten, gelegentlich aus dem Dickicht ihre Pfeile und Wurfspeere auf unsern dicht geschlossenen Zug entsendend. Denn ich hielt meine schwache Schar in tiefen Gliedern dicht zusammen, gedeckt auf allen vier Seiten durch leichte Reiter, die, bei jedem Anfall zu uns zurücksprengend, uns vor Überraschung schützen mußten und im Kampf dann eine willkommene Verstärkung sein sollten.

Aber heute mittag hätten sie uns doch beinahe überrumpelt! Wir zogen in wildverwachsenem Gestrüpp dahin. Rechts Sumpf, links eine Kette mittelhoher, dunkel bewaldeter Hügel. Auf einmal ward es da links lebendig. So rasch, wie ich noch nie habe Menschen laufen oder reiten sehen, warfen sich von jenen Hügeln herab auf unsere linke Flankendeckung zahllose Barbaren. Nicht sie erhoben den Schlacht-, meine überraschten Reiter erhoben den Schreckensruf.

Im nächsten Augenblick waren die Bestürzten auch schon mitten in dem Zug unseres Fußvolkes, Verwirrung in unsere Reihen tragend, sie durchbrechend. Und gleich darauf waren die Barbaren da! Auf Speerwurfweite! Auch ihre Fußkämpfer schon! Diese Schnelligkeit erklärt sich nur dadurch, daß erlesene Jünglinge, lange hierin geübt, die linke Hand in die Mähne des Rosses gekrallt, neben dem Reiter herlaufen, so rasch wie dieser vorwärts fliegt. Es war ein prachtvoller Anblick!

Ich hatte wahrlich anderes zu denken als an die Schönheit solcher Bewegung. Aber den unverbesserlichen »Theoretiker« — so schilt mich Jovian — fesselte das nie gesehene Schauspiel und (ich schäme mich solch abgrundtiefer Eitelkeit) es freute mich unbändig, daß ich sofort auswendig, wörtlich, die Stelle des Tacitus hersagen konnte — Germania, Abschnitt 6 steht sie (auch das weiß ich auswendig), in der er diese Mischung von Reitern und Fußkämpfern bei den Germanen schildert!

Aber blitzschnell war der Einfall, und kurz die Freude! Denn schon waren sie dicht vor mir, diese Gegenstände meiner Freuden! Ein Pfeil ritzte mir die linke Wange. Ich spürte es nicht am Schmerz, nur am Blut, das niederströmte. Und neben mir sah ich bereits meine Ballistarier vor dem ungestümen Anprall von links her ausweichend nach rechts, das heißt in den Sumpf, in dem wir alle sicher verloren waren! »Zangengleich«; dieser treffliche Ausdruck Frontins fiel mir ein in diesem bedenklichen Augenblick. Ich befahl unserem Zug, Halt zu machen (die kleine Lücke in der Mitte überließ ich einstweilen den Göttern), mit dem vorderen und dem hinteren Teil unserer Linie nach links einzuschwenken, so die Barbaren »zangengleich« von beiden Seiten fassend.

Gott des Sieges! Es half! Mein erster Einfall — aus einem Schulbuch gelernt —, er glückte! Die Barbaren, plötzlich zugleich von Norden und von Süden angegriffen — von West nach Ost hatten sie uns auf unserem Zuge nach Norden angefallen —, glaubten wohl, wir hätten, ihnen unvermerkt, Verstärkungen herangezogen und begannen zu weichen. Aber nicht das Häuflein, das jenen ersten Stoß erfolgreich geführt hatte; hartnäckig hielten die stand und wehrten sich mit sturer Verbissenheit.

Ich sah Jovians Roß neben mir stürzen, ein Fußkämpfer, angeklammert an eines Reiters Hengst, hatte dem Gaul das Kurzschwert in den Bug gestoßen. Der Freund lag hilflos unter seinem Tier. Der germanische Reiter wollte ihn mit dem Speere durchbohren. »Halt«, schrie ich auf lateinisch, den Stoß mit dem Schild auffangend. »Halt, Germane. Kämpfen, nicht Wehrlose morden.« Augenblicklich wandte der Gescholtene sich und sein Roß gegen mich (sie haben leider Zeit genug gehabt, Latein, in unserem Land, auf unsere Kosten, zu lernen) und holte mit dem langen Speere gegen mich aus. Aber mein kurzes Römerschwert kam ihm zuvor. Ich stieß es ihm in die Achselhöhle des erhobenen Armes. Er schrie und stürzte nach links herab. Da schwang sich der Fußkämpfer auf das leere sattellose Roß und floh. Jovian hatte sich einstweilen unter seinem toten Gaul herausgearbeitet und reichte mir die Hand: »Siehst du, wie gut du reiten und fechten gelernt hast? Der Philosoph hat den Kriegsmann gerettet; umgekehrt war's wahrscheinlicher.«

Der Gefallene war ein Führer gewesen. Entmutigt wichen die Seinen. Wir machten fünf verwundete Gefangene. Von ihnen erfuhren wir, es waren gemischt Alemannen und Franken — Bataver — gewesen, was also das sehr Unerfreuliche beweist, daß wenigstens Teile der so lange treuen Bataver sich unseren Feinden angeschlossen haben. Das ist schlimm. Sie gelten — durch alte römische Schulung — als die gefährlichsten der Franken.

Prachtvolle Menschen sind es, diese Germanen! Ich habe solche Kraft und Riesengröße, freilich auch solche Wildheit, nie getroffen. Sie hatten zwanzig Tote. Es sind die ersten Toten, die mein Auge sah. Feierlich ernst ist der Eindruck — der der Vernichtung! Man könnte fast an der Unsterblichkeit zweifeln, sieht man sie so liegen, mit den gebrochenen Augen, wäre sie nicht so haarscharf von Maximus bewiesen. Wie könnte doch ein Teil der Weltseele sterben!

Jovian hat eine leichte Quetschung der Hüfte davongetragen. Es freut mich, ihn pflegen zu dürfen.

Merkwürdige Menschen, diese Germanen! Ich stelle sie im ganzen nicht viel über die tapfern und stolzen Ungetüme ihrer Wälder: Bär, Elch, Eber, Edelhirsch, Wisent. Aber zuweilen überraschen sie durch ein Feingefühl, das ich ihnen nicht zugetraut hätte. Dieser Berung da hängt an mir mit der Treue eines klugen, starken Hundes. Ich weiß, er läßt sich totschlagen für mich, blindlings! Ich meinte nun, er würde ebenso blindlings für mich alles totschlagen, was ich wünsche. Aber ich irrte. Als wir neulich zuerst aufbrachen gegen die Feinde, rief ich ihm scherzend zu: »Nun, den ersten Alemannenkopf liefert Berung ein. Er ist der Nächstberufene.«

Der Treue sah mich an mit vorwurfsvollem Blick; aber er schwieg vor den andern. Über eine Weile spornte er sein Rößlein an das meine und flüsterte: »Herr, lieber Herr, das war nur ein Scherz — ein recht grausamer dazu — von dir, das mit dem Alemannenkopf?« Und so ausdrucksvoll trafen mich die treuherzigen grauen Augen. Ich schämte mich sofort meiner Herzlosigkeit, doch verstellte ich mich noch und sprach: »Ei, warum? Seit Jahrhunderten kämpfen unter unsern Fahnen Germanen gegen Germanen und wahrlich nicht am schlechtesten. Warum soll's auf einmal anders sein?« Verlegen schwieg er eine Weile, denn mein Satz war unanfechtbar. Dann begann er leise, halb mit sich selbst redend. »Weiß nicht, weiß nicht woher, aber ich kann nicht. Sieh, in den langen Jahren, da ich in der Fremde unter Fremden diente — es ging mir nicht schlecht, ich hatte die Fülle von allem, des ich begehrte —, aber es verlangte mich oft in der Nacht, wenn ich einsam auf Wache stand in Asien oder in Afrika oder in Mailand, nach den Meinen; nach dem Klang unserer Sprache. Ich trug den Sternen da oben Neid, daß sie zu dieser Stund auf den stillen Neckarwald herabschauen durften, wo unter den uralten Eichen unser schlicht Gehöft von dunkelbraunem Holze liegt. Ich hätte meinen Monatssold gegeben, wieder einmal einem Mann meines Volkes in die Augen sehen zu dürfen. Und nun, da ich sie wiedersehe, nun soll ich ihr Blut vergießen? Nein! Mögen's andre tun. Ich tu's nicht mehr. Und immer mehrere von uns verspüren doch, daß wir zusammengehören, wir Alemannen. Schon mehrere haben sich ausbedungen, gegen jeden Feind Roms zu fechten, nur nicht gegen den eigenen Stamm. Soll ich vielleicht die Fackel werfen in meiner Sippe uralten Erbhof?

Soll ich die Söhne meines eignen Volkes schlagen und ermorden?

Gegen Franken und Sachsen wie gegen Perser und Mauren will ich für dich fechten, Herr, aber nicht gegen die Meinen, die Alemannen! Gern will ich auch gegen sie dein Leben decken, mit der eigenen Brust; gern will ich dir auch gegen sie folgen in die Schlacht, aber nur, dich zu schützen, nicht, das Blut der Meinen zu vergießen. Bitte, Herr!« Ich schüttelte ihm die Hand und nickte. Der Barbar fühlt feiner als ich. Weh uns, erstarkte dieses Gefühl in ihnen! Aber es hat keine Not! Und den Franken, den Sachsen streckt er ja noch frohgemut nieder. Er hat sein Wort gehalten, mich mit dem eigenen Leib zu decken. Ich sah es nicht, aber Jovian, wie er zwei Wurfspeere dicht vor meiner Brust auffing mit seinem Schilde. Keine Trutzwaffe trug er mit in den Kampf.


Elftes Kapitel

Ich schrieb das Vorstehende noch auf dem Gefechtsfeld. Jetzt berichte ich aus Troyes. Denke nur, welche Schmach! Als ich vor den Toren dieser Feste ankam — es dunkelte die Nacht herauf —, wollten sie mich durchaus nicht einlassen, diese Tapfern. Die Furcht vor den Barbaren hat seit Jahren alles so erfüllt, daß die Leutchen an römische Scharen, die im freien Feld erscheinen, gar nicht mehr glauben wollen. Und als ich von einem römischen Siege sprach, hielten sie es erst recht für gelogen! Wir seien verkappte, in römische Rüstungen gekleidete Barbaren. Zuletzt erkannten sie den alten Vovonius und ließen endlich den Cäsar, nachdem er eine Stunde im Regen zu ihnen die Wälle hinauf gescholten, in ihre bange Stadt. Der Bischof wollte mich vor allem in die Basilika führen, Gott für den Sieg zu danken. Ich sagte, ich hätte schon gedankt und verlange mehr nach einem Bade.

Die starke Feste zitterte vor den Barbaren! Und doch barg sie das Hauptheer, mit welchem ich ganz Gallien zurückerobern soll: den Magister Militum Marcellus und fast zehntausend Helme! Ich nahm sie am folgenden Tage für mich in Pflicht. Bei den Rippen des heiligen Marcus und einem Eckzahn der heiligen Magdalena ließ sie den Bischof schwören — (man darf nicht mehr schwören bei dem Genius des Constantius; er hat wohl auch keinen! 's ist gleich, wenn sie's nur halten!). — ›O Phöbos Apollon‹, dachte ich während der langen Schwurformel. Ich schämte mich vor ›dem Gott mit dem silbernen Bogen‹!

(Übrigens: Wie viele Eckzähne hat denn der Mensch höchstens, auch im Zustande der Heiligkeit? Ich habe von der heiligen Magdalena schon etwa sieben bewundert.)

Sehr viel für meine Aussichten in Gallien kommt nun selbstverständlich auf diesen Marcellus an, meinen ersten Heerführer. Bis jetzt hab ich nur Feigheit, Frömmigkeit und Kriecherei an ihm entdeckt.

Heute endlich wieder einmal Briefe von Helena, von Mutter, Schwester und von Philippus. Helena, die Holde, die Heitere, erträgt auch ihr dermaliges, nicht leichtes Los mit liebenswürdiger Freudigkeit. Allein, nach so wenigen Monaten des süßesten Glückes, nur von Dienerinnen nach des Imperators Wahl umgeben — (streng hat er die Bitten seiner Gattin, meiner Mutter und Schwester abgewiesen, zu der Einsamen reisen zu dürfen) —, mich in allerlei Fährnissen wissend, einer schweren Stunde entgegenbangend, verzagt sie noch keinen Augenblick. Im Gegenteil, sie tröstet mich mit fröhlichen Scherzen. Sie schildert mir, wie unser Heliodor aussehen wird. Denn es steht ihr fest: Es ist ein Knabe. Geliebtes Geschöpf! Wie gern eilte ich an ihr Lager. Aber mich rufen Chnodomar und andere Ungetüme.

Meine Mutter! Wie zärtlich, aber auch wie eindringlich ermahnt sie mich, täglich soundso oft zu Christus zu beten, um des Heiles meiner Seele willen. Sie bete Tag und Nacht für mich. Ach, es ist gut für sie, daß ich heucheln muß, solang Constantius lebt. Wie würde die innig Verehrte leiden, erführe sie meinen Haß gegen den Galiläer! Die Schwester schreibt auch gar so fromm! Seltsam! Jovian begnügt sich, die Briefe der andern nur vorgelesen zu hören; als ich ihm aber sagte, Juliana sende ihm einen Gruß, griff er hastig nach dem Papyrus und mußte es selbst lesen!

Philippus schreibt Wichtiges vom Hof, vom Staat. Der Gute meint, das Bedeutsamste sei, was mich betreffe: Er irrt, erst der Staat, dann Julian. Er meldet ganz bestürzt, hätte ich jemals die Aussicht gehabt, falls Constantius söhnelos vor mir sterbe, den Thron zu besteigen — (der Allschauende Helios sah nie einen solchen Gedanken in dem geheimsten Winkel meiner Seele!) —, meine Unvorsichtigkeit in Beschützung der Verehrer der Götter habe sie für immer zerstört. Und worin bestand diese Unvorsichtigkeit?

In jeder größeren Stadt Galliens, in der ich auf der Reise längeren Aufenthalt nahm, so in Grenoble, in Valence, in Vienne, brachten die Behörden und die Galiläerpriester vor mein Tribunal Anklagen wider allerlei Verbrecher, die in den Wirren der letzten Zeit unverfolgt geblieben waren: Mörder, Räuber, Diebe in Menge. Ich ließ sie verhaften, die Untersuchung einleiten. Aber der Diakon zu Grenoble verklagte eine junge Mutter, daß sie kurz vor ihrer Entbindung der Juno Luciana Milch und Mehl geopfert; der Presbyter von Valence verlangte, ich solle einen Greis in Ketten legen, der dem Hermes dem Seelengleitenden, einen Hahn gelobt, falls der Gott ihm leichten Tod gewähre, und der Bischof von Vienne heischte die schärfste Bestrafung eines jungen Bildhauers aus Korinth — (ach, sie haben keine Arbeit mehr, die Hände, die dereinst die schönen Götter gebildet!) —, der nachts in den von dem Bischof längst verschlossenen und versiegelten Tempel der Venus drang und hier die wunderschöne Statue der Göttin — (es soll ein Werk des Praxiteles sein!) — bekränzte und zeichnete. Der Schein seiner Fackel verriet ihn. Er ward ergriffen und gefangengesetzt. Unter dem Vorwand, Augenschein nehmen zu müssen, ließ ich mir das sofort wieder verriegelte und versiegelte Fanum öffnen. O Lysias, welche Reinheit, welche Heiligkeit ist doch dem Schönen eigen! Tief erschüttert stand ich vor der herrlichen Göttin. Der Bischof, der mich scharf beobachtete, merkte wohl etwas! Er verlangte dringend Bestrafung des jungen Artemidor und beschwor mich, das dämonische Bild, das ja sogar mich zu verwirren scheine, zerschlagen zu lassen. Ich wies das zurück; aber ich versprach ihm, seine Stadt von der gefährlichen »Dämonin« zu befreien, und ließ die schöne Göttin nach Arles bringen, wo ein Freund Jovians ein Landhaus eignet. Möge fortab die »Venus von Arles« der Stadt Segen bringen! Artemidor führte ich verhaftet — zu seiner Sicherheit — ein paar Tagesmärsche mit mir fort, erfreute mich herzlich des liebenswürdigen Jünglings und entließ ihn reich beschenkt nach Marseille zur beneidenswerten Einschiffung in seine schöne Heimat. Ob ich je das edle Antlitz wieder schaue?

Auch die Anklageschriften gegen die beiden andern ließ ich verschwinden in den Fluten der Rhone. Aber die drei Priester ruhten nicht. Sie verklagten mich bei dem Augustus wegen Beschützung der Götzendiener. Er hat noch nicht beschlossen, gegen mich einzuschreiten, aber sein Argwohn ist schwer gereizt. Grimmig fuhr er Philippus an: »Siehst du, dein Schützling, wie er sich anläßt? Ihr habt wohl schon Träume geträumt, die ihn auf dem Thron sahen? Aber wartet nur! Nie, nie wird er den Purpur tragen, dafür ist gesorgt! Ich habe meinen Nachfolger bereits gewählt; da Eusebia mir keinen gönnen will. Demnächst laß ich Senat und Heer auf einen Mann vereidigen, der sich nicht bedenken wird, am Tage meiner Thronbesteigung jenen Freund der Götter zu den Dämonen der Hölle zu senden. Da mag dein Philosoph Imperator über die Teufel werden.« Es beunruhigte mich; ich weiß es ja, daß ich sterben muß, um emporzusteigen zu dem Vater des ewigen Lichtes. Und bald wird es sein. Die Lieblinge der Götter — (zu denen zähl ich, das fühl ich täglich mehr, je klarer ich sie erkenne) — sterben früh.

Das Wichtigste aus des Philippus Briefen ist die Rückberufung des Eusebius, der glücklich in den Hintergrund gedrängt schien. Die Freude hat nicht lange gewährt. Und warum zurückgerufen? Wie geht es her in diesem Reich der Römer!

Ein Feldherr, Macer, der in Rhätien am Inn die eingedrungenen Juthungen abwehrt, erhält einen Brief von seiner Frau aus Florenz, ein Bienenschwarm habe sich an seinem Haus angesetzt. Das bedeutet etwas Großes: den Purpur. Und das unselige, unsinnige Weib fleht nun den Gemahl an, er möge sie doch ja nicht, nachdem er Constantius getötet, um der schönen Imperatrix Eusebia willen verstoßen. Die Sklavin, die das schreibt, verkauft eine Abschrift an Eusebius, den Präpositus. Dieser erwirbt sich das hohe Verdienst, dem Augustus die »gefährliche Verschwörung« aufzudecken, Macer und dessen Gattin werden enthauptet, zahlreiche völlig Unschuldige gefoltert, und der Obereunuch, der wieder einmal dem Imperator Leben und Thron gerettet hat, wird in höchsten Ehren zurückgerufen.

Philippus schreibt am Schluß eine mir noch unverständliche Zeile: »Lies Horaz, Satiren, erstes Buch, vierte Satire, Vers 85, und handle danach.«

Der Buchsklave bringt eben meinen Horaz, das Geschenk Eusebias ... ich schlage nach: Hic Niger est — hunc tu, Romane, caveto (»Freund, ein solcher ist schwarz [niger]: Vor solchem hüte dich, Römer.«). Was kann er meinen? All ihr Götter! Niger ist der Name des Arztes, den Constantius gesandt. Philippus warnt sichtlich vor ihm. Und mein Weib, mein Kind hilflos, schutzlos in dieses Arztes Hand! Ich ... ich fliege zurück, sie zu behüten ...

Nein, ich darf ja nicht! Darf auch nicht scheinbar weichen vor den Barbaren, und seh ich Helena niemals wieder! Jovian hat recht: »Ein Wahrzeichen nur gilt: Für dies Reich der Römer zu kämpfen.« Aber einen Eilboten entsende ich mit Warnung in Geheimschrift. Ach, und welch grausam Geschick! Ich darf nicht einmal hierbleiben, Antwort erwartend; weiter und weiter ab von der Geliebten führt mich die Pflicht des Krieges. Wohin zunächst? Das ist mein wohlgehütetes Geheimnis. Morgen breche ich auf von hier nach Reims, und ...

Ein Brief von ihr: O Weh und Schmerz und bittrer Gram der Seele! Mein Bote an Helena kreuzte sich mit der schwarzen Nachricht, die eben von ihr eintrifft. Unser Heliodor — diese holde Hoffnung — ist zerstört. Meine Geliebte war frisch und gesund gewesen, schreibt sie, bis Niger sie in Behandlung nahm, obwohl ihr gar nichts fehlte. Viele, viele Tränke mußte sie nehmen wider Willen, auf Nigers, das heißt auf des Imperators Befehl. Nun ist das Ende der »Behandlung« da! Zu früh, nur um gleich zu sterben, ward unser Heliodor geboren. Ach, nur wenige Augenblicke sah er den Strahl des Gottes, der ihn uns geschenkt. Niger ist spurlos verschwunden, sobald der Knabe starb. Nun, Constantius wird wissen, wohin. Tief gebeugt von eigenem Weh sucht das herrliche Geschöpf, mich aufzurichten. O mein Heliodor! Wie hatte ich dich erziehen wollen, den Göttern und dem Römerreich zum Dienst! Ah, die Barbaren sollen mir's entgelten!


Zwölftes Kapitel

Ich fand im Heere den Glauben verbreitet, unser Zug gelte zunächst den Franken, den Sugambern und dem empörten Gau der Bataver, waren doch von dort, vom Niederrhein her, die jüngsten Vorstöße erfolgt. Ich bestärkte diesen Glauben. Allein, sowie das Heer marschfertig, befahl ich, statt nach Norden — gegen den Kohlenwald —, vielmehr gen Nordosten auf Metz zu ziehen. Überraschung, Täuschung über sein wahres Ziel war ein großes Stück der Feldherrnschaft des einzig wahren Cäsars. Nicht den Franken, den Alemannen am Oberrhein galt mein nächster Angriff, und er gelang vollkommen, dank eben der Überraschung. Von Metz drang ich in Eilmärschen — ach, immer weiter weg von Helena — gen Osten über Dieuze nach Saarburg.

Heiß brannte die Mittagsstunde des Julitags. Nur mit Mühe brachte ich den stockenden Zug vorwärts; äußerste Stille hatte ich eingeschärft und Jovian mit leichtberittenen Bogenschützen vorausgeschickt auf Spähe. Bald jagten diese zurück und meldeten, daß die Alemannen, in der erschlaffenden Hitze des Mittags, alle Vorsicht, jeden Gedanken einer Gefahr aufgegeben hatten. Ihre Waffen im Lager zurücklassend, lagerten sie am Flüßlein Saar. Viele badeten und plätscherten in den Fluten; andere tranken den erbeuteten Wein aus ihren Sturmhauben; manche auch strählten ihr langes gelbes Haar und färbten es rötlicher — (das scheinen sie zu lieben) —, mit einer scharfen Seife aus Talg und Buchenasche. Welcher Anblick, diese Sorglosigkeit, für einen römischen Feldherrn! Ich gab das Angriffszeichen durch die Reitertrompeten. »Zangengleich« wieder faßte ich sie, meine Scharen teilend, zugleich von Nordost einschwenkend und von Nordwest. Vereint warfen wir die Überraschten von Norden nach Süden in ihr Lager hinein und sofort — nach Süden — wieder hinaus. Sie hatten gar nicht Zeit gehabt, zu ihren Waffen zu gelangen, geschweige sich zu scharen; nur Flüche, Verwünschungen, nicht Speere hatten sie uns entgegenzuschleudern. Groß war das Blutbad: Gerächt ist Heliodor!

Aber Vorsicht tut not in diesem Lande, dessen Festen: Speier, Selz, Straßburg, Brumat, nicht mehr unser, vom Feinde besetzt, oder doch der Mauern entkleidet sind. Mein Heer wie die Barbaren glaubten, ich würde um den erlangten Vorteil in der gleichen Richtung gegen Straßburg hin verfolgen Aber das Verfahren von Troyes wiederholend, ließ ich die Alemannen los und befahl nun, ebenso plötzlich die Franken anzufallen. Ich zog auf Köln. Da ritt Jovian an mich heran und schüttelte mir die Hand. Er lobt mich nicht oft, nicht stark — (ich kann viel davon vertragen) —, und sprach: »Philosöphchen, du bist ein geborener Feldherr.« — »Wäre erfreulich«, erwiderte ich. »Ein geborener Reiter bin ich offenbar — (immer noch) — nicht; zweimal fiel ich gestern vom Gaul.« Dieser Zug gegen den Niederrhein ist so gefährlich wie der vorige gegen die Alemannen. Auf dem ganzen Weg von Straßburg bis Köln blieb in unsern Händen nur noch Remagen bei Koblenz.

Die erste Schlappe! Empfindlich genug! Gerade im letzten Augenblick noch abgehalten, Dank sei Mars Stator und Jovian, eine Niederlage zu werden. Das Wetter ist umgeschlagen. Regengüsse fluten Tag und Nacht hernieder, dichte Nebel steigen auf aus den sumpfigen Altwassern dieses mächtigen Stromes. Man sieht kaum den nächsten Mann im Glied. Gegen Abend ging's. Ich hoffte, vor Einbruch der Nacht noch Köln zu erreichen, das, wie meine Späher berichteten, unglaublicherweise nicht besetzt ist. ›Eine barbarische Feldherrnschlacht‹, dachte ich in meinem jungen Siegesstolz, an der Spitze des Zuges reitend. Ich vermißte schwer das Gespräch Jovians, der gebeten hatte, die Mitte führen zu dürfen. »Fürchtest du«, lächelte ich, »die Franken mehr als die Alemannen?« — »Am meisten fürchte ich deine Leichtherzigkeit, Griechlein«, erwiderte er derb, aber nicht mit Unrecht, und ritt zurück. Sonderbar! Dasselbe Wort »Leichtherzig« hat mir neulich der wackere Ammian geschrieben. So dachte ich noch, als plötzlich von unserer Nachhut her ein schreckliches Geschrei sich erhob, das alles eher als ein Siegesgeschrei war. Ich hatte Marcellus die Nachhut — zwei Legionen — überwiesen, weil ich Widerstand nur vorn oder von der linken Flanke her vermutete; rechts deckte uns der Rhein, an dessen Ufer hart hin die alte Legionenstraße zieht. Aber die Franken — (denn diese waren es) — hatten uns umgangen und brachen nun vom Rücken her, durch den Nebel verschleiert bis zum Anprall, in unsern Zug. Marcellus floh sogleich nach vorn; schon wurden seine Schwerbewaffneten in großer Zahl von der steilen Böschung herab in den Strom gestoßen. Nicht viel fehlte und wenigstens die Nachhut war verloren. Da — im rechten Augenblick — erschien Jovian mit Verstärkungen aus der Mitte und stellte die Schlacht. Die Nacht brach ein; die Barbaren wichen, aber wir haben viele Leute in dem Fluß verloren und nur einen — verwundeten — Gefangenen gemacht. Er sagte aus, es waren die Bataver, geführt von einem ihrer Königssöhne. Der Angriff war meisterhaft geplant.

Köln war wirklich unbesetzt. Begreif's, wer kann!

Zaghaft, mit sichtlich geringem Vertrauen auf unser Verbleiben in ihren halbzerstörten Mauern, krochen die Bürger von Köln aus ihren Häusern, aus ihren Kellern hervor.

All ihr Götter, welch ein Anblick, diese verwüstete Stadt! Und also aus eitel Mutwillen haben die Barbaren Köln genommen und dann verlassen? Ich versicherte den Kurialen, solang ich lebe in Gallien, werde Köln nicht wieder erobert werden, und befahl sofort meinem ganzen Heer, noch in der Nacht, während die Kohorten Wein und Speise erhielten, bei Fackelschein die nur oberflächlich abgebrochnen Wälle wiederherzustellen. Die Leute murrten; denn Marcellus hatte schlaffe Mannszucht gehalten. Da ergriff ich selbst einen Spaten und sprach: »Den ersten Spatenstich tue ich, euer Cäsar, und dem ersten, der sich weigert, spalte ich mit diesem Spaten den Schädel.« Sie stutzten, aber sie gehorchten alle sofort. Mir scheint, auch das Befehlenkönnen ist eine Gabe der Götter.

Nachträglich erfahre ich Näheres von dem Angriff jenes Batavers. Er hatte es sehr, sehr schlimm gemeint. Gleichzeitig mit seinem Stoß in unsern Rücken sollten vier andere Könige der batavischen Gaue uns von der Stirn und von der linken Flanke fassen. Jene vier waren von ihm — (Merowech heißt er; man muß den Namen merken!) — nach langem Verhandeln gewonnen gewesen, neben ihm gegen uns loszuschlagen. Aber im letzten Augenblick blieben sie aus — ohne ihm abzusagen. Alle vier. Warum? Auch ihre Scharen hatten Merowech zum »Herzog«, das heißt zum Oberanführer verlangt. Da erwachte die alte Eifersucht, und die vier Könige traten zu uns zurück. Nur ein Sugambernkönig hielt Wort und stieß zu Merowechs Schar. Der Graukopf griff grimmig immer und immer wieder an, bis sie ihn endlich mit vielen Wunden davontrugen. Jovian hätte ihn gefangen, hieb ihn nicht Merowech heraus. Jene vier schickten jetzt Gesandte nach Köln und erbaten Frieden und Verzeihung. Beides gewährte ich von Herzen gern! Denn in diesem barbarisch rauhen Lande — es regnet und stürmt ohne Unterlaß — noch einen Herbstfeldzug bis an das germanische Meer, das mute ich zwar mir, aber nicht meinem Heere zu.

So verbrachte ich denn diese Monate mit der Wiederbefestigung Kölns und andrer verödeter Städte und ging über Trier zurück nach Sens an der Yonne, wo ich die Winterquartiere beziehen will, und wohin ich mein geliebtes Weib von Vienne her entboten habe. Welch ein Wiedersehen! Welche Freuden! Welche Liebe! Und welches Weh!

Aber will das Bittre in mir überwiegen, dann ruf ich mir das Bild der trauernden Roma vor Augen, der ich doch ein wenig von langjähriger Not und Schmach abgenommen habe von den Schultern. Freilich, es war nur ein Anfang; viel ist noch zu tun. Der unbesiegte Sonnengott führe mich weiter. Stammen wir Constantier doch von dem großen Germanenbesieger Claudius. Vielleicht hat sich von seinem Geist, von seinem Glück etwas auf mich vererbt.

Erst hier — im tiefsten Winter — erhalte ich endlich eine Antwort von dir, daß du meine Brief-, ja Tagebuchsendungen erhalten hast.

Allerdings, ich sandte sie anfangs nach Nikomedia. Nicht könnt ich ahnen, daß du dich aus Besorgnis für deine Sicherheit fern in dein geliebtes Wunderland Ägypten zurückgezogen; und gewiß, wenn Eusebius, wie dir (nach deinem Briefe) Philippus und der edle Johannes — (der deinen Haß mit Liebe vergilt) — heimlich mitgeteilt haben, Verdacht geschöpft hat, deinem Galiläerpriestertum nicht recht traut und die Wahrheit ahnt; dann konntest du nicht rasch genug in die Verborgenheit verschwinden, dein mir so teures Haupt zu retten.

Aber, o geliebter Lehrer, deine kurzen Zeilen kann ich nicht eine Antwort nennen auf die so umfangreichen nicht nur, auch — sollte ich meinen — so inhaltreichen Ergüsse meines heißen, jungen, vertrauensvollen Herzens. Wem sollte ich rückhaltlos vertrauen, wenn nicht dir? So habe ich dir denn auch das süße Glück, das ich in meinem geliebten Weibe gefunden, fast verschämt, aber jubelnd verkündet, und die Hoffnung auf unser Kind und das bittre Weh um unsern Heliodor! Und vorgenommen hatte ich mir, dir auch weiter zu berichten, von dem Glück meiner Liebe, meiner Ehe, nachdem ich — nach so vielen Monden — das süße Weib hier wieder an die Brust schließen durfte. (Ach, sie hat sich nicht erholt, ich meine, die Gesundheit nicht wieder erlangt; nur den rührend heitern Sinn, mit dem sie mich tröstet!) Aber ich kann dir, Lysias, nach deinen Äußerungen nicht mehr schreiben über Helena. Es steht etwas Fremdes, mir Unverständliches, zwischen meinem verehrten Meister und mir. Du beglückwünschest mich zu meiner Errettung, zu meiner Erhebung zum Cäsar, aber mit keinem Wort zu meinem höchsten Glück: zu Helena.

Ja, du schreibst rätselhaft: »Deine Vermählung ist vielleicht geschehen gegen den Willen der Götter und den Gang der Sterne.« O Lysias, ist das denkbar? Und von unsrem Kinde schreibst du grausam: »Fälschlich hast du den Knaben Heliodor genannt. Nicht Helios hat ihn dir gegeben, noch die andern Götter, sonst lebte er dir noch. Die Götter schützen ihre Gaben. Constantius und der blinde Zufall haben dich zum Vater jenes Kindes gemacht.« Lysias, es gehört die ganze Dankbarkeit meines Geistes gegen dich dazu, daß ich dir das verzeihe. Aber die Galiläer sollen sich nicht berühmen, daß sie allein den Grundsatz aufstellen, Böses mit Gutem zu vergelten:

Laß adlermutig schweifen deine Liebe Bis dicht hinan an die Unmöglichkeit: Kannst du des Freundes Tun nicht mehr begreifen, so fängt der Freundschaft frommer Glaube an!

Am liebsten beriefe ich dich hierher zu mir; sähen wir uns Auge in Auge, das Gespenst, das zwischen uns aufgetaucht, würde rasch verschwinden. Allein, wenn nicht schon auf der Reise hierher, würdest du sicher in meinem Lager den Spähern des Eusebius in die Hände fallen; sie wimmeln hier.


Dreizehntes Kapitel

Ich bin nun mit den Vorbereitungen für den nächsten Feldzug eifrig beschäftigt: Ich arbeite Tag und Nacht, ich schlafe nur zwei Stunden. Denn die geliebten Bücher verlangen nun auch wieder ihr Recht. Und immer und überall, auf dem Marsch, in den Sümpfen des Rheinlandes, während der Berechnung der Vorräte, die ich brauche, der Mannschaften, die ich neu ausheben muß, auf dem Tribunal, während ich Rechtsfälle entscheide, drängen sich mir in die Gedanken die großen Fragen über das Verhältnis der Götter — (nicht der sogenannten, der Volksgötter. Vergib, ich weiß, das verletzt dich, aber volle Offenheit muß unter uns walten) — zu der großen Weltseele, dem obersten, dem — dem Wesen nach — einzigen Gott.

Inwiefern ist es mehr als blöder Aberglaube des Volkes, daß so viele Götter, Dämonen verehrt werden? Sind sie nicht bloß Symbole? Oder sind sie doch Erscheinungen, Darlebungen, Betätigungen jenes obersten Gottes? Ich habe viel darüber geschrieben. Ich ringe danach, meine allmählich sich klärenden Anschauungen in ein abgeschlossenes Lehrsystem zu bringen. Zunächst für mich selbst, dann aber — wie gern möcht ich als Schriftsteller mir den Lorbeer verdienen! —, höher als den meiner Schlachten würd ich ihn anschlagen. Ach, wenn in Athen bei den Buchhändlern zur Ansicht offen läge: »Das neue Werk des Claudius Julianus über das Wesen der Götter!« Aber mein erster Käufer würde sein — Constantius; und mein letzter, denn die Abschriften würden sofort verbrannt, und der Cäsar wanderte wohl wieder in ein Kloster.

Helena sagt, auch in den zwei Stunden meines Schlafes spreche ich unaufhörlich von der Weltseele, von Helios und von Phöbos Apollo. (Sind diese beiden eins oder zu scheiden?)

Seit dreißig Tagen hab ich nicht eine Zeile an diesem Tagebuch schreiben können. Unsanft genug ward ich in der Nacht, nachdem ich gerad das letzte aufgezeichnet, aus meinen philosophischen Träumen aufgeweckt. Der treue Berung pochte mit dem Schwertknauf an die Tür unseres Schlafgemaches und rief: »Auf, Herr, zu den Waffen! Der Feind steht vor den Toren.«

Ich fuhr auf, ich ergriff das Schwert, ich wollte Helm und Schild fassen; aber da schlug schon solcher Kampflärm von dem nahen Wall her an mein Ohr, daß ich mit einem Scheidewort an Helena davonstürmte. Ich wollte es nicht glauben, aber es war so! Die Franken stürmten gegen die morschen Mauern!

Ich eilte auf den Eckturm des Osttors, wo der Lärm am wildesten toste. In Menge kletterten die halbnackten Barbaren auf gefällten Bäumen, denen die Äste belassen waren und die schräg an der Mauer lehnten — (eine einfache Art von Sturmleitern) —, gegen die Zinnen hinauf. Mancher erstieg die Mauerkrone. Mit den Schildstacheln stießen sie die Unsern hinab. Dabei schlug um mich her ein wahrer Hagel von Geschossen ein. Viele meiner Leute sanken neben mir. Da auf einmal fühlte ich von hinten her den Helm auf mein Haupt gedrückt. Hinter mir — von unsern Pechfackeln grellrot beleuchtet — stand lächelnd Helena. Sie reichte mir auch den Schild. O welche Wonne durchströmte da mein Herz! Vor aller Augen umarmte ich die Errötende und drängte sie die schmale Mauertreppe hinab aus dem Bereich der Geschosse.

Mit alleräußerster Anstrengung nur ward der Überfall abgeschlagen. Aber die Barbaren wichen nicht; sie blieben! Dreißig Tage belagerten sie uns, mitten im schärfsten Winter, aber, wie gesagt, diese Bären frieren nicht! Jeden Tag stürmten sie. Nicht einen Augenblick kam ich von den Mauern all diese Zeit. Ich schlief, vom Mantel bedeckt, hinter den Zacken der Zinnen. Und keine Möglichkeit, durch einen zornigen Ausfall die Frechen zu verscheuchen! Dazu war ich viel zu schwach. Ich knirschte vor Zorn, auf die Abwehr beschränkt zu sein. Um der Verpflegung willen hatte ich die Schildner und die fremden Hilfsvölker in andere Orte verlegen müssen. Das hatten die Franken erkundschaftet; so hofften sie, die Stadt zu bewältigen, den Cäsar selbst zu fangen. Merowech hat den Streich ersonnen und den Befehl geführt. Am dreißigsten Tag soll er verwundet worden sein; da trugen ihn, den Widerstrebenden, die Seinigen entmutigt mit sich davon und zogen ab.

Mich aber haben diese dreißig Tage gelehrt, was der Wille, der Geist auch schwächlichem Leib abzuzwingen vermag. Das ist nur möglich, weil dieser Geist ein Funke der großen Weltensonne, ein Stück der ewigen Weltseele selbst ist.

Allein, wie war es geschehen, daß die Kecklinge über die gefrornen Flüsse unbemerkt, ohne daß ich eine Warnung erhielt, so weit von Rhein und Mosel nach Westen vordringen konnten? Mehr noch: daß in dreißig Tagen, da die Kunde von dieser Belagerung ganz Gallien durchdrang, nicht ein Versuch gemacht wurde, mir Entsatz zu bringen? Das war nur möglich durch niederträchtigen Verrat des Marcellus, der mit starker Macht ganz nahe in Estissac liegt; jedoch er hielt sich diese dreißig Tage still in seinen sichern Mauern! Er soll gesagt haben: »Der Imperator wird sein Sens gern verlieren, verliert er dabei auch seinen Cäsar.« Aber das ist mir zu stark! Ich verlange von Constantius die Absetzung des Elenden. Marcellus ist, meiner Anklage durch Verleumdung zuvorzukommen, bereits an den Hof geeilt. Jovian bat, ihn in dieser Sache nach Mailand zu entsenden. Ich will's gewähren. Sobald wird es hier nun noch nichts zu fechten geben. Und ich weiß: Er geht gern dorthin, wo er meine Mutter und meine Schwester wieder sieht, die schöne, schlanke, dunkeläugige. Längst habe ich die zarte Neigung entdeckt, die Juliana und der Wackere — schon in Mailand — noch vor sich selbst scheu und schamhaft zu verbergen suchen. Arme Herzen! Nie erfüllt sich euer Wunsch! Constantius wird nie einem so tüchtigen Kriegsmann die Hand einer Constantierin gewähren. Solches Verdienst und eine solche Verbindung zusammen, würden — nach des Augustus Denkweise von den Menschen — eine unwiderstehliche Versuchung bilden, nach dem Purpur zu greifen. Aber ich gönne ihnen gern die Freude des Wiedersehens.

Ach, wie wenig habe ich doch durch meinen vorjährigen Feldzug erreicht! Schon im Februar ergossen, und jetzt im März ergießen sich abermals Scharen von Germanen über das zitternde Land! Ich weiß gar nicht, was ihnen den Mut zu dieser Unverschämtheit geben kann?

Sollten sie den wahnsinnigen Gedanken gefaßt haben, wir würden sie jemals dauernd in Gallien dulden? Der soll ihnen ausgetrieben werden, so wahr ich Cäsar heiße! Jetzt, nach vierhundert Jahren, sollten wir wieder soweit sein, wie da der echte Cäsar gegen jenen Ariovist auszog? Nein, schlimmer sind wir daran. Ariovist hatte Gallien nur den Galliern, Chnodomar und Genossen haben es den Römern entrissen! Sie schickten mir Gesandte, die mich drohend aufforderten, das durch ihre Schwerter gewonnene Gebiet in Gallien nicht anzutasten! Aber wartet! Bei Mars, dem Rächer, hab ich es geschworen: Ruft mich nicht vorher der Imperator ab oder der Tod, ich weiche nicht aus diesem Lande, bis kein Germane unbezwungen mehr darinnen lebt!

Ich schreibe dies aus Reims. Zu meinem Erstaunen hat der Augustus meinen Feldzugsplan für das nächste Frühjahr gebilligt, der — wieder einmal — die Feinde »zangengleich« umfassen will. Ja, er hat versprochen, fünfundzwanzigtausend Mann unter dem Magister peditum Barbatio von Basel her den Alemannen in ihre Südflanke zu schicken, während ich (nach einem ruhe- und rastlos zu Sens verbrachten Winter) von hier aus sie in der Stirn fassen will. In dem nun durch neue Schanzen gesicherten Sens ließ ich Helena, die immer Mutige, zurück.

Gesichert! Was ist noch sicher in diesem Reich der Römer! Während zwei römische Heere wider die Alemannen ziehen, hat eine Schar von Räubern die Keckheit, mitten zwischen beiden durchzubrechen und vom Rheine her bis Lyon vorzustoßen, zwölf Stunden weit, ohne Widerstand zu finden! Gerade noch gelang es, die Tore von Lyon ihnen vor der Nase zuzuwerfen und die starke Feste zu behaupten. Aber das ganze Flachland plünderten sie aus. Ich knirschte vor Zorn. Auf allen drei möglichen Straßen ihres Rückzugs eilte ich von Reims hinweg nach Südosten, ihnen zuvorzukommen, ihnen den Rückweg abzuschneiden. Es gelang mir und dem zurückgekehrten Jovian, auf beiden Wegen, die Räuber abzufangen und zu töten. Barbatio jedoch ließ die dritte Schar entkommen, die den Weg durch sein Gebiet nahm. Er rief den Tribun, den ich ihn dorthin zu entsenden aufgefordert hatte, sofort wieder ab! Bosheit oder Dummheit?

Und diese Räuber, wer waren sie? Das ist das traurigste an der Sache! Nicht Germanen: Römer, römische Untertanen wenigstens, Colonen, kleine Bauern, arme Kerle, welche zu vielen, vielen Tausenden die römischen Steuerheischer von Haus und Hof, in die Wälder, in die Sümpfe, zu den Barbaren vertrieben haben seit Jahrzehnten, und die nun in der Verzweiflung der Not mit unsern Feinden gemeinsame Sache machen! Das muß anders werden, oder dies reiche, schöne Land entvölkert sich von Römern, bevölkert sich mit Germanen. Sobald ich mit den Barbaren fertig bin, zieh ich gegen unsere Beamten zu Felde. Blutsauger sind sie, erbarmungslose. Quos ego!


Vierzehntes Kapitel

Ende Juli, im Lager am Rhein, zwischen Basel und Straßburg.

Die Zeiten sind dahin, da eine römische Flotte diesen Strom beherrschte! Nicht einmal ein paar Schiffe hab ich, den Alemannen in den zahlreichen Rheinauen ihren Übermut heimzuzahlen. Da drüben stecken sie, auf den dichtbewachsenen schmalen Eilanden, verhöhnen mich und die Meinigen, zeigen wir uns nah am Ufer, durch wüstes Schimpfgeschrei, das ich zum Glück nicht verstehe, und durch höchst unflätige Gebärden, die so deutlich sind, daß ich sie wohl verstehen muß: Sie drehen dem Liebling der Götter, dem Cäsar und Konsul, den alleruntersten Teil ihres Rückens zu — den Mantel werfen sie vorher ab — und patschen darauf mit beiden Händen! Nun wartet, ich will euch patschen helfen! Ich habe von Barbatio wenigstens sieben aus den zahlreichen Schiffen erbeten, die er zum Zweck des Flußübergangs bei Basel versammelt hält.

Ja, jetzt wissen wir's: Barbatio handelt nicht aus Dummheit, nein: aus Bosheit, Verrat, aus Liebedienerei bei dem Imperator, der immer Angst hat, ich könne zu stark, zu rasch, zuviel siegen. Verbrannt hat er die Schiffe lieber, als daß er sie mir gegeben, unter dem Vorwand, sie nicht in die Hand der Feinde fallen lassen zu wollen, verbrannt auch die Vorräte, die ich mir hatte nachkommen lassen, soweit er sie nicht für sich nahm. Marcellus, Barbatio ..., wie wird der dritte Schurke heißen?

Aber den ungezognen Eiland-Leuten hab ich doch vergolten!

Ein Bataver in unserm Dienst — (die Germanen sind schon bald unsere besten Kräfte, den Göttern sei's geklagt) —, Bainobaud, Tribun der Cornuti, fand eine Furt — (diese Bataver sind ein Wassergeschlecht) —, und in mondloser Nacht, teils durchwatend, teils auf den untergebundnen Schilden schwimmend, erreichte er mit den Seinen die nächste Au, schlachtete hier alles Leben, das er fand, auch Kinder, Weiber, Greise, wie man das Vieh abschlachtet, fand kleine Nachen angebunden, fuhr in diesen auf die andern Eilande, löschte auch hier jede Spur von Leben aus und kehrte mit reicher Beute zurück.

Anfangs graute mir, wie das Geschrei der Geschlachteten durch die Nacht herüberscholl und ihre Schilfhütten so grellrot emporflackerten; aber der Krieg erzieht rasch dazu, das Notwendige zu tun. Sie haben mich geärgert — (meine Eitelkeit verletzt, wirst du sagen) — mit ihrem Hohn. Sie patschen nicht mehr. Es gefällt mir nicht, was ich da geschrieben habe. Es ist grausam; und kleinlich. Aber es mag stehenbleiben — mir zur Warnung! Steckt auch solches in mir? Gib acht, Julian, auf dich, und reinige deine Seele vor den Göttern!

Merkwürdige Leute, diese Germanen! Als ich in Sorge war, woher — nachdem Barbatio meine Vorräte vernichtet — Getreide nehmen für die Besatzungen in den wiederhergestellten Kastellen und für meine Feldtruppen, meldeten mir die Landleute, die Alemannen hätten, soweit sie vorgedrungen, überall die Felder musterhaft bestellt, wie's fleißige Ackerbauer nur in der sichersten Heimat tun! Diese Landräuber, Landläufer, Landwüster! Ja, glauben sie denn, hier zu Hause zu sein? So holten denn nun meine Truppen das Korn, das diese pflugfleißigen Räuber bestellt: Freilich war Blut meist der Kaufpreis.

Meine Feldtruppen! Ja, denn nun geht es in das Feld zu einem großen, wie ich hoffe, entscheidenden Siege. Es gilt, den Rhein wieder römisch zu machen: Er ist durchaus nicht so grausig, wie ich einst gewähnt. Und jetzt, im August, denkt der vielhörnige Gott wahrlich nicht an Eis und an Gefrieren, wie wir in Asien ihn uns immer vorstellten. Ich wandte mich nach Zabern, nordwestlich von Straßburg, ein wichtiges Kastell, das die Alemannen wiederholt angestürmt (etwas anstürmen ist hübsch, nicht?) — es sperrt den Weg ins Innere — und endlich eingeäschert hatten. Sie ließen es leer liegen wie Köln! Rasch setzte ich die nie gründlich zerstörten Werke wieder instand und schaffte das Alemannengetreide hinein, mir für den Fall des Rückzugs (den aber Mars Gradives verhüten wird und Pallas Athene!) Zuflucht und Unterhalt zu sichern.

Von hier aus führ ich den entscheidenden Stoß auf die Feinde, die sich — aus dem innern Germanien herzugeströmt in großer Zahl, sagt man — Straßburg gegenüber auf dem rechten Rheinufer sammeln. Es sollen über dreißigtausend Mann sein. Ich zähle nicht zehntausend Helme. Gleichwohl wag ich den Abzug ins freie Feld, trifft nur von Barbatio Nachricht ein (fünf Boten sandt ich ohne Antwort nach ihm aus!), daß er endlich mit seinen fünfundzwanzigtausend Mann von Basel aufgebrochen ist und auf Straßburg zieht, dem Feind in den Rücken. So fassen wir sie zusammen in Übermacht, von zwei Seiten, und dann wehe den Barbaren!

Heute habe ich meine persisch-parthischen Eisenreiter, die ich aus allen Besatzungen an mich zog, gemustert. Prachtvoll sehen sie aus! Vom Kopf bis zur Sohle stecken die Leute in einem enggefügten Erzgeschuppe, das den Kopf als Sturmhaube, den Hals, den Nacken, die Brust als Panzer, Arme und Beine wie Arm- und Beinschienen deckt; die Zehen sogar stecken darin wie in einem Strumpf. Und ganz ebenso schützt das Roß von den Ohren bis zu den Fesseln ein solches Schuppenhemd. Decken sie nun mit dem langen schmalen Schild die Zügelseite und führen in der Rechten den eisenbeschlagenen Speer, so sehen sie in der Tat unverwundbar aus, wie eherne Reiterstandbilder. Ihr Führer, ein vertriebener persischer Fürst, schon lang in unserm Dienst, bemerkte, mit welchem Staunen ich seine Leute betrachtete. »Ja«, rief er mir zu, »du magst wohl schmunzeln, o Cäsar! Solange Darandanes an der Spitze dieser seiner Erzklumpen steht, wirft alle Wut Germaniens deine Schlachtreihe nicht um.« Und in der Tat — er und die Seinen sehen danach aus.

Constantius schickt mir einen neuen Magister Militum, Severus. Das ist ein alter Haudegen, graubärtig, grob, aber ehrlich dabei — wie es scheint. Es gibt freilich auch eine Grobheit, die als Maske vor das Antlitz der Falschheit gebunden wird. Aber Jovian urteilt günstig über ihn; das wiegt schwer. Ah, auch die häßlichste der Göttinnen, auch Eris, kann Zeus zu seiner Söhne Heil verwenden. Meine Macht war doch eigentlich allzu winzig, mit ihr was andres vorzunehmen, als sie zu verstecken, dazu freilich machte sie eben ihre Niedlichkeit recht geschickt. Auf einmal wird mir, ganz unerwartet, starker Zuzug gebracht: Eris ward meine Helferin. Sie flog zu den Batavern auf der großen Insel des Rheins und erbitterte die Herzen von vier Gaukönigen dieser Völkerschaft mit so leidenschaftlichem Eifersuchtshaß gegen jenen Merowech und seinen Ruhm bei Alemannen wie bei Franken, daß sie freiwillig — denn ich konnte sie wahrlich nicht zwingen! — mir die Mannschaften ihrer Gaue zuführen: über viertausend Speere, ausgezeichnete Krieger, germanische Kraftfrische mit langjähriger römischer Waffenübung verbindend. Es ist eine Freude, die Kerle zu sehen.

Die Bataver gelten von je (bereits bald vier Jahrhunderte lang) als die allervorzüglichsten unter den germanischen Söldnern. Schon seit Drusus haben sie gar manchen Strom in allen drei Erdteilen in unserem Dienst durchschwömmen, gar manches römische Siegesfeld mit ihrem Blute gerötet. Es ist eine allgefürchtete Schar. Sie haben untereinander ein Gelübde, jeden Waffengenossen ihres Stammes aus äußerster Todesgefahr zu retten mit Wagung des eigenen Lebens. Ich werde sie womöglich gerade auf jenen Merowech loslassen. »Immer Germanen gegen Germanen«, lehrte Tiberius. »Diamant schneidet Diamant, und wer immer fällt: Rom gewinnt dabei.« Diese dummdreisten Helden haben nur einen starken Fehler: Es gibt ihrer zu viele.

Die Namen aber meiner vier neuen Freunde klingen so barbarisch, wie ihre Bären- und Wisent- und Büffelfelle aussehen. Man zerbricht sich den Mund damit: »Chramn« und »Guntchramn«, »Truchtbrecht« und »Grimmbrand«. Gräßlich! Wie Gekrächz der Sumpfvögel. So! Geschrieben habe ich's — auszusprechen brauch ich's nicht. Ich nenne sie kurzweg, Bär, Wolf, Eber, Wisent. Sie lachen dazu, sie hören's gern. Sie fühlen sich offenbar geschmeichelt. Eben baten sie mich, sie doch ja ihrem Stammgenossen gegenüberzustellen. Ich gewährte es als besondere Belohnung! (Ich bin nicht feige. Aber daß ich alsdann nicht dieser Merowech bin, ist mir doch eine behagliche Empfindung.) »Warum eigentlich«, fragte ich sie, »hasset ihr ihn so lebhaft, diesen Königssohn?« Lange fanden sie vor Staunen über diesen Einfall gar keine Antwort. Endlich rief das Wisenttier unwirsch: »Welche Frage! Ist er doch unser Landsmann!«

Merkwürdige Menschen, ich muß es immer wieder sagen, sind es, diese Germanen. Es ist nicht klug aus ihnen zu werden. Oft mein ich fast, es stecke etwas Zukunftvolles in ihnen, denn es ist doch nicht bloß bärenhafte Kraft und tolldreister Mut, es ist auch eine sonderbare Art von Klugheit und Findigkeit in ihnen, was mich oft ebenso überrascht, als finge ein edles Roß, ein kluger Jagdhund plötzlich zu reden an. Es könnte einem Römer zuweilen bange werden. Wenn wirklich diese ungezählten Waldmenschen sich einmal zu etwas anderem erheben würden als zum Raufen (ersten Ranges!), Saufen (ebenso), Singen (greulich, wie Geheul der Wölfe)? Aber bald beruhige ich mich wieder. Sie bringen's nie und nimmer zu etwas anderem als zu jenen beiden Dingen (die sie allerdings unübertrefflich leisten)! Kinder sind es! Kinder von sieben Schuh mit den Kräften von Giganten — aber Kinder! Vorab unfähig für alle Zukunft jedes methodischen Denkens, jeder Philosophie! Hahaha! Ein philosophierender Germane! Das ist ein Gedanke, wie wenn ein Auerstier auf Lerchenflügeln zur Sonne fliegen sollte!


Fünfzehntes Kapitel

Nun hab ich sie also wirklich mit Augen sehen müssen, die römische Schmach (nein, eine Schande nur des Constantius!), an die ich immer noch nicht hatte glauben wollen: Chnodomar und seine Raubbrüder schicken mir — in der Urschrift! — die Briefe des Imperators, in denen er ihnen als seinen Bundesgenossen im Kampfe gegen Decentius feierlich, mit dem Siegel des Reiches, alles Land auf dem linken Rheinufer abtritt, das sie zu besetzen vermögen würden. Darauf gestützt verlangen sie von mir Räumung des ganzen, von mir wiedergewonnenen Gebiets und Rückzug bis hinter die Seine. Nicht mehr Rom sei, sie seien rechtmäßige, durch Vertrag anerkannte Herren des ganzen linken Rheinufers: andernfalls Krieg bis zur Vernichtung! Ich bat die Gesandten (diese Barbaren sprechen Latein!), mir die drei Briefe, die sie mir vorgelesen, in die Hand zu geben. Ich konnte es wirklich nicht glauben. Als ich es aber nun las, da durchzuckte mich Zorn, Scham und (von den Göttern gesandt) ein Blitz der Klugheit zugleich: Ich zerriß alle drei — die gefährlichen Beweismittel ihres Rechts und unserer Schande.

Hei, fuhren sie auf, die Ungetüme des Schwarzwalds! Einer riß das Kurzschwert heraus und brüllte: »Du brichst das Recht der Völker!« — »Ihr seid keine Völker — Räuberhorden seid ihr«, entgegnete ich. Er hätte mich um ein kleines erschlagen, aber meine Wachen entwaffneten den Wilden und seine zwei Genossen. Ich behalte sie gefangen, wenigstens bis nach der Schlacht. Sie sollen nicht den Ihrigen die Schwäche meiner Scharen, die sie gesehen, verraten. Nach meinem Sieg mögen sie laufen, 's ist wider das Völkerrecht, 's ist wahr. Aber der große Julius tat andern Germanen dasselbe — lies nur nach, im Gallischen Krieg (Buch IV. 13) steht's —, mit gutem Erfolg. Allein auch um Zeit zu gewinnen, um den Angriff der Barbaren hinauszuzögern, behielt ich die Gesandten zurück, denn jetzt ist mir jeder Tag, ja jede Stunde des Aufschubes, Gewinn. Es gilt, die noch ganz ungenügenden Befestigungen dieses Kastells zu vervollständigen, unsrer einzigen Zuflucht im Fall eines Unglücks. Und ich halte sie auch wirklich nur für Räuber, nicht für einen kriegführenden Staat. Die Germanen sind des Staates unfähig.

O all ihr Götter! Welcher Donnerschlag! Welches Unglück! Mein letzter Bote floh zurück — die andern sind gefangen. Barbados Heer steht nicht mehr im Feld! Er hat sich am gallischen Wall nördlich von Kolmar überfallen und schlagen und weit bis über Augst hinaus jagen lassen. Gepäck, Lasttiere, Troßknechte, viele Tausende Krieger sind verloren. Und die römische Ehre! Und was hat er zuletzt getan? Die immer noch zwanzigtausend Mann, die ihm geblieben, hat er um den Genfer See herum in die »Winterquartiere« verteilt — bei dieser Augusthitze! — Er selbst eilte zum Imperator, mich der Unfähigkeit, des tolldreisten Wagemuts zu zeihen, meine Abberufung und Bestrafung zu verlangen.

Was nun tun? Mich in diesem engen, schlecht neu geflickten Nest einschließen, hier von den Barbaren mich belagern lassen? Unmöglich! Kein Entsatz ist zu hoffen. Wenn nicht dem Sturmangriff, erlieg ich dem Hunger. Zurückgehen? Wie weit? Wohin? Nach Reims im Norden? Nach Troyes im Süden? 's ist überall dasselbe! Überall werde ich von Übermacht belagert, und ehe Entsatz kommt — von Constantius! —, durch Schwert oder Mangel bezwungen. Und einstweilen all das Land wieder aufgeben, das ich schon zurückgewonnen hatte, die verzweifelnden Provinzialen abermals den Barbaren überlassen? Jede Hoffnung, die ich in ihnen entfacht, auf Rettung, auf die Wiedererhebung Roms, auslöschen auf immerdar?

Aber andrerseits mit dreizehntausend bunt zusammengewürfelten Truppen eine fast dreifache Übermacht der gefürchteten Barbaren im freien Feld aufsuchen? Falle ich, fällt Gallien. Es ist die schwerste Wahl meines Lebens.

Damals, in Mailand, hieß es nur: »Soll Julian Cäsar werden oder sterben?« Jetzt heißt es: »Soll Gallien gerettet oder verloren sein?« Das kann nur ich allein entscheiden.

Auch Jovians Rat mag ich nicht hören. Aus den Tiefen meiner eignen Brust muß ich diese Entscheidung schöpfen.

Es ist sternenklare Nacht; allein — schweigend — will ich hinauswandeln vor die Tore!

Schaut auf mich herab, o ihr Sterne, die ihr selbst ja leuchtende Götter seid! Hört mein Flehen, mein inbrünstiges Gebet, o all ihr andern Götter! Ich kann euch nicht Opfer schlachten, nicht Altäre kränzen. Arm, hilflos, verlassen steh ich hier und rufe eure Gnade an: Erleuchtet mich! Schickt mir in dieser Nacht ein Zeichen, ein Traumgesicht. Tut es um des Reiches willen, nicht für mich! Obzwar ich glaube — ich fühl es mit glühender Inbrunst —, nie hat noch auf Erden eine Seele so fromm zu dem Göttlichen emporgeschaut wie ich. Höret mich! Helfet mir! Erleuchtet mich, gnädige Götter!«


Sechzehntes Kapitel

An dem Tage, da Julian zu Zabern diese Worte in sein Brief-Tagebuch schrieb, ging es gar laut, lärmend und lustig her in dem Lager, das die Alemannen nach Vollendung ihres Rheinübergangs, südwestlich von Straßburg, an der Mündung der nach Zabern führenden Legionenstraße aufgeschlagen hatten. Es bestand zum größten Teil aus Laubhütten, wie sie die Germanen aus Zweigen und dünnen Stämmen rasch und geschickt herzustellen verstanden; nur selten waren Zelte — römische Beutestücke — verwendet.

In der stattlichsten dieser Leinwandüberspannungen — der Purpursaum des oberen Überhangs bezeugte, daß das Gezelt ehedem dem Gegen-Imperator Magnentius gehört hatte — saßen um einen kostbaren runden Citrustisch, der aus der nächsten römischen Villa herangeschleppt war, die sieben verbündeten Könige der Alemannen und Merowech, der batavische Königssohn.

Jene Fürsten waren verschieden an Macht, je nachdem sie an der Spitze einer ganzen Völkerschaft oder nur mehrerer einzelner Gaue oder gar nur eines einzigen Gaues standen. Der mächtigste war der Riese Chnodomar, der den ganzen Elsaß von Mülhausen im Süden bis über den heiligen Bannwald von Hagenau im Norden hinaus beherrschte; um seines starken Heerbannes und seiner in vieljährigen Kämpfen gegen Rom erprobten Heldenschaft willen war er zum »Herzog«, das heißt zum Oberfeldherrn für diesen Feldzug gekoren worden.

Von den übrigen walteten Ur, Ursicin und Vestralp im mittleren Baden und in Württemberg bis über die junge Donau hinüber und bis zu den Linggauern am Nordufer des Bodensees, Suomar und Hortari in den Tälern des Schwarzwalds, Agenarich vom Schwarzwald bis gegen Konstanz.

Die gewaltigen Kriegergestalten machten den Eindruck bärenhafter Kraft, wie sie in der volkstümlichen Tracht die gewaltigen Arme und Beine unverhüllt zeigten: Nur hier und da hatte ein römisches Beutestück die heimische Gewandung und Rüstung vervollständigt oder geschmückt; aber der Mantel, vom Felle des Auerstiers oder des Wisent, das Bärenfell, die aneinandergenähten Wildschuren der Eber oder der Wölfe fehlten keinem; und nicht das über die Sturmhaube gezogene Haupt eines solchen Untiers, dem man die Hörner, den aufgerissenen Rachen, die weißen Hauer belassen hatte. Seltsam nahmen sich darunter auf der Ringbrünne die römischen runden Ehrenscheiben aus, die aus erbeuteten Rüstungen vornehmer Offiziere gebrochen waren.

Auf dem Tische dampfte in der Hohlfläche eines kostbaren römischen Silberschildes — Decentius, dem Bruder des Magnentius, hatte ihn Chnodomar selbst vom Arm gestreift, nachdem er ihm mit einem Schwerthieb Helm und Schädel gespalten — ein Eber, unzerteilt am Spieße gebraten. Mit ihren Dolchmessern schnitten die Schmausenden sich lange Streifen von dem saftigen Braten, anstatt der Teller sich breiter knuspriger Brotscheiben bedienend. Und unablässig kreisten die germanischen Trinkhörner neben den römischen Bechern, Schalen und Pokalen aus Silber, Gold und kunstvoll gearbeitetem Erz in der Runde.

Mit schweigendem Grollen sah Merowech zu, wie das Mahl, mehr noch das Trinkgelage, sich ins Endlose zu dehnen schien; er seufzte verhohlen in Ungeduld und versuchte mehrmals, den Strom laut lärmender Rede zu unterbrechen: vergeblich! Da kam wieder einmal der tiefste Becher — in Gestalt eines goldenen Turmes. Edelsteine bedeckten oben die Zinnen — an Angenarich, der dem Riesen Chnodomar an Länge wenig nachgab.

Mit fast schon lallender Zunge begann er, die großen, weit offnen blauen Augen im Kreise umhergehen lassend: »Schmausen ist gut, Trinken ist besser, Kämpfen das beste, Siegen das herrlichste. Wohlan, ich hab nun bald genug — meine ich — getrunken. Nun kommt das Kämpfen, das Siegen. Gib mir mal deinen Dolch, Vestralp. So!« Und er ritzte sich den linken Vorderarm, daß das Blut reichlich hervorschoß, ließ es in den goldenen Turmbecher vor ihm rinnen und fuhr fort: »Hört mein Gelübde beim Becher — Bragi trink ich ihn zu! Ich siege in der nächsten Schlacht — ich durchbreche der Römer eherne Schildreihe, wie ich hier diese Brotrinde zerbreche zwischen meinen Fingern. Oder ich falle, wo ich stehe. Im Rausch hab ich's gelobt, doch nüchtern werd ich's halten.« Damit trank er den Becher aus. Nun ließ er den dicken zottigen Kopf auf die beiden nackten Arme niedergleiten, die er über den Tisch verschränkt hatte, und gleich darauf entschlief er mit lautem Schnarchen.

Die andern lachten, Merowech wollte auffahren von seinem Sitz. Aber eben schob ihm König Vestralp, der ihm zunächst saß, den Pokal zu. »Willst nicht auch du einen Becherspruch tun, ein Bragi-Gelübde, junger Held?« fragte er.

Merowech rückte den Goldturm ruhig weiter auf dem Tisch: »Ich brauche keine Götter als Zeugen meiner Vorsätze: Ich führe sie aus. Auch die unausgesprochnen.« Zorngemut sah er vor sich hin. Die meergrauen Augen leuchteten seltsam.

»Nun, ich merke«, sprach Ur, sein Nachbar zur Rechten, »du hast bereits einen grimmen Vorsatz gefaßt. Ich für meinen Teil, ich eide hier über dem Becher: Wodan und Tius und Bragi hören mein Wort! Ich weiche nicht aus der Schlacht, solang ich diesen Arm heben kann.« Und er tat einen tiefen Zug. »Auch ich!« rief Ursicin, ihm den Pokal wegreißend und hastig trinkend. »Und ich!« »Und ich!« »Und ich!« fielen die andern ein, jenem Beispiel folgend. »Und du, Merowech?« fragte Chnodomar. »Du schweigst?«

»Ja, denn das versteht sich von selbst.«

»Ein wacker Wort. Aber du trägst doch, mein ich, einen Beschluß umher zwischen diesen zornig gefurchten Brauen«, meinte Chnodomar. »Was ist's? Wem gilt er?« — »Bainobaud«, stieß Merowech zwischen den Zähnen hervor. »Dem Weiberwürger, dem Kinderschlächter. Es gilt ja immer noch als erlaubt, daß Alemanne gegen Alemannen, Franke gegen Franken in römischem Dienst die Waffe führt. Aber jener Blutige hat nicht gekämpft — gewürgt. Wehrlose Stammgenossen geschlachtet hat er für Rom. Erreich ich ihn ... Genug!« Er ballte die Faust um den Schwertgriff. Dann hob er an: »Vergönnt nun auch mir, dem obzwar so viel Jüngeren und Unerfahreneren, ein Wort des Rates.«

»Was ist da noch zu raten?« rief Agenarich, aus dem Halbschlaf emporfahrend. »Wir gehen hin und erwürgen sie zwischen unsern Armen.«

Aber Chnodomar winkte. »Laßt ihn reden! Er kennt sie gut, die Welschen.«

— »Besser als wir alle«, bestätigte Suomar. — »Bah, aber allzuhoch schlägt er sie immer noch an! Denkt an die lästige Hasenjagd auf Barbatio«, lachte Hortari.

»Der Cäsar ist aber nicht Barbatio«, erwiderte Merowech.

»Waren nicht Barbatios Scharen — an ihren weggeworfenen Schilden haben wir's erkannt — sogar die besten Legionen, dieselben, die uns früher heiße Arbeit gemacht?« fragte Vestralp. »Der Siegesgott ist gewichen von den Römern«, rief Ursicin.

»Er hat ihnen aber, scheint's, als Vertreter, diesen Julian geschickt. Denn es ist ein neuer Geist in die römische Kriegführung gefahren, seit dieser Jüngling sie leitet, den sie den ›Philosophen‹ schelten. Ich meine, ihr müßtet's merken. Jene Überraschungen! Erst gegen euch — dann gegen Köln. Wiederholt scheitern unsre Angriffe — im Augenblick des Siegs — an seiner Entschlossenheit!«

»Ja, und mein Bruder Mederich, der tapfre«, rief Chnodomar, »so stark und groß beinah wie ich, fällt im ersten Gefecht im Zweikampf durch diesen Knirps! Blutrache schulde ich ihm: Ich bleibe aber nichts schuldig, am wenigsten Blut. Ihn vor allen, dieses Männlein, such ich in der nächsten Schlacht: Aus all seinen Schuppengepanzerten greif ich mir ihn heraus — mit der Hand! — wie der Geier das Küchlein — und trag ihn waagrecht auf den Armen an den nächsten Baum an der Straße und zerschlag ihm an dem Stamm das überkluge Gehirn, daß es weithin umherspritzt.« Die andern lachten.

»Erst haben«, warnte Merowech. »Nachdem er mich bei Köln empfindlich abgewehrt, wollt ich ihn mir fangen. Es lüstete mich, diesen offenbar ungewöhnlichen Menschen kennenzulernen. (Ich hätte ihn mancherlei zu fragen! An was der wohl glauben mag?) Deshalb mein Überfall von Autun. Ich bekam ihn nicht. Noch ein paar Tage, und die Feste fiel. Da ward ich verwundet. Bewußtlos trugen mich die Meinen fort. Jedenfalls: Vorsicht tut not. Es geht nicht, gegenüber diesem Feinspinner, mit dem bloßen Drauflosschlagen; durch manche Mauer kommt man, mit dem Kopf anrennend, trägt diesen Kopf ein Stiernacken wie Chnodomars. Ein Netz aus Seidenfäden, das immer nachgibt, rennst du nicht entzwei. Ich riet gleich nach seinem ersten Erfolg zu äußerster Vorsicht. Umsonst. Ihr ließt euch kläglich überfallen dort an der Saar. Nach Barbados Vertreibung drang ich darauf, sofort den ahnungslosen Cäsar anzugreifen; das war der rechte Augenblick für rasche Tat. Aber nein! Ihr mußtet erst den Sieg in fünfunddreißigtausend Räuschen feiern. Wie altgebräuchlich, um euren Weindurst auszulöschen.«

»Der Neumond war erst abzuwarten«, entgegnete Chnodomar. »Die Götter gewähren keinen Sieg vor dem Neumond«, meinte der alte Ur, den langen weißen Bart streichend.

»Die Götter sind wohl nicht so abergläubisch wie wir, König. Auch wollen sie oft gezwungen sein: Kühnheit — zur rechten Zeit — zwingt ihnen die Gunst ab. Im Erfolg ist's fast geradeso«, lächelte er fein, »als ob es gar keiner Götter bedürfte. Griffen wir damals sofort an, so war der junge Herr verloren: Zabern lag noch in Trümmern. Er hatte nicht auf sechs Tage Mundvorrat. Aber die Götter, der Neumond und euer Durst beschlossen anders! Nun riet ich, wenigstens Straßburg, dessen Besatzung er schleunigst an sich gerissen, als er Barbados Flucht erfuhr, zu besetzen, für den Fall unseres Rückzugs ...« — »Den gibt es nicht«, rief König Agenarich mit schwerer Zunge. (»Du könntest recht haben — wider dein Verständnis!) ... um uns Deckung, Aufnahme zu sichern. Aber nein! Das schien euch unnötige Vorsicht. Ich bat, wenigstens die Hälfte meiner Schar hineinlegen zu dürfen ...«

»Behüte«, lärmte König Ursicin, gutmütig mit der Faust drohend, »du feiner Franke! Ihr seid immer so schlau! Und meint, wir grobhirnigen Alemannen sind so dumm, nichts zu merken. Schon lange trachtet ihr von euern Sümpfen unten im Niederland immer weiter, hübsch langsam immer weiter, den schönen Rheinstrom aufwärts. Das taugte euch wohl, bis nach Straßburg hinaufzugreifen, am Oberrhein euch einzunisten? Nichts da, Freund Franke.« — »Bleibt ihr nur hübsch da unten«, stimmte Suomar bei. »Ist der letzte Römer in Gallien erschlagen, dann kommen wir zusammen irgendwo, zum Beispiel in Köln, und würfeln sie aus, die römische Erbschaft, wieviel der Alemanne, wieviel der Franke kriegen soll davon.«

Merowech maß ihn mit langem Blick. »Mag sein. Vielleicht würfeln unsere Stämme wirklich einstmals um die Obmacht. Aber der Tisch, auf dem diese Würfel rollen, wird darüber blutig rot werden. Mit allem abgewiesen, riet ich dann auf das dringendste, ja ich beschwor euch, wenigstens so rasch wie möglich unsere ganze Macht auf das linke Ufer zu werfen und, unter vorsichtiger Besetzung der kleinen verlassenen Kastelle, so schnell wie tunlich den Cäsar anzugreifen, etwa gerade, wie er aus Zabern heraustreten will, ihn im Gefecht von diesem seinem einzigen Rückhalt abzuschneiden, jedenfalls aber die Schlacht zu schlagen, so weit vom Rhein entfernt wie möglich. Denn im Fall eines Unglücks ...«

»Es wird kein Unglück geben!« lächelte Chnodomar ruhig vor sich hin.

»Ihr aber verlachtet den Rat des ›Vorsichtlings‹. In unglaublicher Saumsal verlort ihr die kostbaren Tage. Jede Stunde verstärkt Zabern, verstärkt durch herangezogne Besatzungen das Römerheer, vermehrt seine Vorräte. Und ihr verliegt euch! Ihr, sonst so ungestüm aufs blinde Losschlagen erpicht! Aber freilich! Nun mußten die fünfunddreißigtausend Räusche erst wieder ausgeschlafen werden.«

Gutmütig lachten die Gescholtenen.

»Endlich — endlich — setzt ihr euch in Bewegung. Aber ohne Überstürzung, wahrlich! Drei Tage und drei Nächte braucht ihr — unter unaufhörlichem Trinken, euern Göttern zutrinkend und allen fünfunddreißigtausend Menschen, unter Johlen, Schreien, Vordrängen der einen, Zögern und Zurückfluten der andern —, bis ihr endlich auf Kähnen und Flößen übergesetzt habt. Das beste taten die Reiter, das heißt die Rosse. Denn diese tranken nur Wasser und schwammen hinüber. Und nun, auf dem linken Ufer angelangt, anstatt pfeilschnell den Feind zu überfallen, schlagt ihr abermals ein Lager! Nicht zur Sicherung, das wäre weise: Nein! Nur um darin — ihr laßt es unbefestigt! — abermals ein Fest zu feiern; das große Fest des Rheinübergangs. Freunde, ihr vertrinkt all eure Siegesaussichten. Und auch jetzt noch kein Aufbruch! Bedenkt doch: Schlagen wir die Schlacht so nah dem Rhein und verlieren sie ...« — »Unsinn!« lachte Agenarich und schlief wieder ein. »Laßt ihn nur reden«, beschwichtigte Chnodomar. »Ich sage dann ein Wort, das alles erledigt.« — »Auf dies Wort bin ich gespannt! Dann führt unsere Flucht mitten hinein in denselben breiten, tiefen, reißenden Strom, den ungehemmt zu überschreiten wir einhundertvierundzwanzig Stunden brauchten. Nun denkt euch die verfolgenden Römer auf dem Nacken; ihre parteiischen Pfeilschützen auf den raschen numidischen Rossen! Vernichtung heißt das Ende.«

»Höre, Bataver«, schrie Vestralp, »ich weiß, du bist nicht furchtsam. Aber deine Rede war es.« — »Warum müssen wir denn durchaus geschlagen werden?« fragte Hortari unwillig. »Wird dir bang«, lachte Ursicin, »kehr um zu Vater Nebisgast. Wir brauchen dich nicht und nicht deine tausend Speere.«

»Ruhig, Vetter!« mahnte Chnodomar. »Laß ihn«, sprach Merowech. »Rauschrede reizt nicht.« — »Sage nur, wo du hinaus willst mit deiner langen Rede?« forschte Ur. »Hast sonst nicht viele Worte«, meinte Suomar.

»Hier waren sie nötig. Denn sie trugen viele Gedanken.« — »Ja, was sollen wir denn tun?« fragte ungeduldig Vestralp. »Endlich, endlich aufbrechen! Muß man Alemannen, die Söhne des kampfwütigen Tius, immer wieder zur Schlacht mahnen? Nun habt ihr abermals vor dem Aufbruch ein großes Opferfest — soll heißen Trinkfest — verkündet um Sieg; Stunden gehen abermals verloren, ein halber Tag vielleicht. Und jede Stunde — ich sagte es — ist kostbar. Ich beschwöre euch: Gebt das Opfer auf! Brecht sofort auf!« — »Man weiß«, grollte der alte Ur, »du hältst nicht viel auf Opfer, Salier!« — »Opfert solang ihr wollt; aber nach dem Sieg! Dankopfer wären mir als einem Gott viel angenehmer als Bittopfer: Jene setzen eine sehr anständige Empfindung voraus, Bittopfer nur die Selbstsucht des Verlangens und die Hoffnung, den Gott zu bestechen.« — »Das versteh ich nicht«, brummte Vestralp. »Das will ich hoffen! — Also noch einmal —: Macht gut, was noch gutzumachen ist nach euern vielen, vielen Fehlern. Gebt jenes Opfermahl auf, brecht noch in der Nacht auf.« — »Unnötige Sorge!« schloß nun Chnodomar, mit der wuchtigen Rechten winkend. »Junger Freund, ich ließ dich ausreden. Denn du redest klug und sooft ich dir folgte ...« — »Das war selten.« — »Kam Gutes davon. Aber diesmal! — Vernehmet es, Freunde.« Er stand auf, und feierlicher Ernst, gläubige Begeisterung verschönte, veredelte die sonst fast allzuderben Züge des Riesen. »Ich halte den Sieg in der Hand, so fest, so sicher wie dieses Horn, das ich auf Donar, meinen Ahn, erhebe.

Vor drei Nächten war's; lange fand ich keinen Schlaf. Merowechs kluge, scharf treibende Worte hatten mich erschüttert. Ich gestand mir: Ja, viel Zeit war vergeudet. Unruhig wälzte ich mich auf meinem Büffelfell. Endlich schlief ich ein. Und siehe: Alsbald erschien mir Donar, mein Ahn — so deutlich, nur viel schöner als sein Holzbild im heiligen Hag —, herrlich leuchtete, wie flüssiges Feuer, sein roter Bart, hoch hob er den Hammer in der mächtigen Faust, und er sprach:


Seliger Sohn! Getrost, getreuer!
Sicher ist dir der Sieg.
So gewiß wirst du siegen,
So gewiß wie ich walte in Walhall,
Siegvaters Sohn,
Und throne in Thrudhvang.
So gewiß und wahrhaftig
Ich schimmernd hier dir erscheine.
Suche du siegessicher ihn selbst in der Schlacht,
Den zappeligen Cäsar, das winzige Wichtlein.
Räche, du Recke, das Blut des Bruders!
Dein schweres Schwert schwinge: —
Nie springt dir's, noch splittert's, —
Zerschlag ihm den schimmernden Schild:
Durch den Harnisch hindurch mit ungeheurem Hiebe
Hau ihm ins Herz. Rückwärts rasselt er röchelnd vom Roß,
Dir zu reichem Ruhm und Donar, deinem asischen Ahn.«


Verzückt schwieg der König; wie verklärt sah sein hellblaues schönes Auge nach oben. Er hob in stummer Andacht des Dankes das Horn empor.

Da ergriff unschilderbare Begeisterung auch die andern Könige. Sie sprangen von den Sitzen, hoben die Hörner in die Höhe oder rissen die Schwerter aus den Gürteln oder drückten sich die Hände, drängten sich um Chnodomar und suchten nach seiner riesigen Rechten.

Auch Merowech erhob sich: »Nun bleibt es also bei dem Fest. Selbstverständlich! Ich bitte den Oberfeldherrn nur um eine Erlaubnis. Mit meiner Schar — allein — sofort aufbrechen zu dürfen.« — »Wohin?« — »Dem Feind entgegen.« — »Du meinst, er kommt gegen uns?« — »Ja. Wenn er nicht noch törichter ist als wir.« — »Warum?« — »Der junge Cäsar hat keine Wahl: Er muß uns aufsuchen. Und er wird es, wenn ich ihn richtig beurteile.« — »Weißt du, woher er kommt?« — »Ich glaube.« — »Woher?« — »Er kommt geradewegs die alte Römerstraße von Zabern her gegen uns. Ich werde sehen, was sich etwa noch tun läßt. Lebt wohl, ihr Könige. Trinkt nicht länger, als die Frömmigkeit unerläßlich fordert.« Er griff nach Mantel und Speer und ging.

»Die Götter! Die Götter!« grollte er, aus dem Zelte tretend. »Diese unnützen Herrschaften! Diese Vielgeschäftigen! Wenn sie sich doch um ihre Dinge kümmern und meine Schlachten mir allein überlassen möchten! Ob wohl auch der junge Philosoph in Zabern in dieser Stunde von seinen Heiligen Erleuchtung erhofft? Möchten sie ihm doch ähnliche Dummheiten anraten und offenbaren wie seine Götter unserem tapfern Herzog! Allein, das ist kaum zu hoffen. Denn jedes Gläubigen Götter gleichen auffallend stets dem Gläubigen selbst. — Jetzt aber aufs Pferd! Entgegen der Entscheidung!«


Siebzehntes Kapitel

Der Nordgau der Bataver stellte ungefähr elfhundert Speere; außer diesen hatte sich eine Gefolgschaft von achtzig Helmen um den jungen Königssohn geschart, der sie beritten gemacht und auch vielen seiner Heerbannleute Rosse geschenkt hatte. So verfügte er über beinahe dreihundert Reiter, neben etwa neunhundert Fußkämpfern. Sofort nach seinem Abschied von den Königen, noch in der Nacht, zog er mit seiner kleinen Schar aus dem laut lärmenden Lager gen Nordwesten.

Es war die letzte Nacht des Vollmonds; am nächsten Tage trat der Neumond ein. Der Jüngling atmete auf, sowie er aus dem tosenden Lager und dessen ungleichen Beleuchtungen — bald rotes Reisigfeuer, unter weißem Qualme grell vorbrechend, daneben die dunklen Schatten der Zweighütten — herausgeritten war in die feierlich schweigende Stille des weiten Blachfeldes, gleichmäßig übergossen von dem bleichen geisterhaften Licht des Mondes.

Weit voraus ritt der Königssohn die Legionenstraße gegen Zabern zu. Er war in tiefes Sinnen verloren. »Wie viele hab ich schon ihre Weisheit auskramen hören über jenes bleiche Gestirn! Unsere weisen Frauen, keltische Druidinnen, die Priester der Selene, christliche Kirchengelehrte, chaldäische, ägyptische Sternkundige! Wie viele Lehrsätze oder Märchen! Jeder glaubt an seinen Lieblingswahn. Und noch wohl ihm, glaubt er an einen solchen!

Wahrheit aber? »Was ist Wahrheit?« fragte jener vielgescholtene Pilatus. Und doch: Ich weiß noch heute keine klügere Frage. Wahrheit ist aber, daß ich hier reite, mein gut Rößlein unter mir, den raschen Rappen, mein gut Schwert an der Seite. Wahrheit ist, daß ich es heiß liebe, dies törichte, verblendete, undankbare Volk der Franken. Wahrheit ist, daß uns der Römer ans Leben will. Und Wahrheit endlich, daß sich darüber alles in mir aufbäumt: Liebe und Haß und Stolz und Trotz. Und daß mein ganzer Mensch dagegen schreit: »Nein, Römer, du sollst nicht — solang ich atme!« Das ist Wahrheit. Und das ist mir genug. Hui drauf!« Und er gab dem Gaul den Sporn und trabte schärfer an.

Nach Mitternacht, gegen Sonnenaufgang, schien der Westwind das Gewölk zusammenballen zu wollen; aber der von der lechzenden Erde erwartete Regen blieb aus. Wohl zuckte es unaufhörlich in der Ferne, im Nordwesten, dort, wo Zabern lag; aber nur ein einziger roter Blitz ward, kurz vor Tagesanbruch, begleitet von einem mächtigen, weit durch die Himmel hinrollenden Donner, der sich des grollenden Mahnens nicht ersättigen zu können schien, so lang war er zu hören.

»Habt ihr's gehört?« sprachen die Reiter des Königssohns untereinander. »Das bedeutet was, nicht, o Herr?« fragte ihn der Jüngste des Gefolges, näher an den Führer heranreitend. »Es bedeutet was, wenn Vater Donar redet. Nicht?« Merowech zuckte die Achseln. »Leider redet er so undeutlich. Hast du verstanden, was er sagen wollte?«

»Nein. Aber etwas muß es doch bedeuten, wenn es donnert?« — »Gewiß. Daß es geblitzt hat. — Halt, siehst du! Bald war dein Pferd gestolpert über diese Wegwurzel, fiel ich ihm nicht in den Zügel und riß es auf. Siehst du, jung Friedibert, das kommt davon! Achte auf deinen Weg auf Erden, nicht auf das, was hoch über dir am Himmel umher lärmt.«

Alsbald ging sie in glühenden Morgenwolken hinter ihm auf, die Sonne des siebzehnten August, blutigrote Strahlen werfend auf das Lager der Alemannen da unten in der Niederung gegen den Rhein.

Unwillkürlich kamen bei dem Anblick des leuchtend auftauchenden Sonnenballs dem germanischen Schüler der griechischen Poesie ein paar griechische Verse aus einem jüngeren mystischen Dichter:


»O Helios« (sprach er vor sich hin), »du unbesiegter Sonnengott,
So rein, so fleckenlos gehst heut du wieder auf!
Was magst du alles schauen müssen heute noch?
Was mag dein letzter Strahl erspäh'n, wann du sinkst?
Vielleicht auch mich, o unbesiegter Sonnengott,
Siehst du mit dir hinunter zu den Schatten gehn.«


»Horch«, flüsterte einer der nächsten Reiter Friedibert zu. »Der Herr singt Zauberlieder — gewiß Siegessprüche — der Sonne entgegen.« — »Mag sein. Er hat daheim in der Halle Rollen mit krausen Runen; daraus liest er zuweilen. Das klingt dann ähnlich. Aber sonst hält er nicht viel auf Zauber. Ich hab ihn auch noch nie opfern sehn.«

Das vollreife Getreide wogte, die schweren Ähren senkend, im Morgenwind, auf den Feldern zu beiden Seiten der breiten Legionenstraße. Leichte gerippte Morgenwolken zogen von West nach Ost, zartrosa überhaucht; aus einzelnen fernen Gehöften stieg kräuselnd der Rauch. Und die Lerche hob sich trillernd aus dem taufeuchten Korn. Sie war so feierlich, die Landschaft im Morgenlicht!

Merowech befahl nun seinen Reitern, ihm in scharfem Trab zu folgen, und dem Fußvolk, so rasch als tunlich nachzurücken. Einen seltsamen Gegensatz zu der friedlichen Stimmung des Gefildes und der Stunde bildete die waffenblitzende Reiterschar, die da rasselnd, klappernd und klirrend dahinsprengte, die Gefolgschaft, lauter erlesene Leute, in bester Ausrüstung dicht hinter dem Gefolgsherrn. Der gleißte nicht in glänzender Waffenpracht, seine eherne dunkle Sturmhaube zierte kein Helmschmuck. Zwei mächtige Rabenflügel, die ihm der Vater beim Abschied daraufgesteckt, hatte er gleich nach dem Abreiten abgelegt. »Ich bin mir mein eigner Wodan«, sprach er dabei. Das lang wallende dunkelblonde Königshaar der Merowinger rollte ihm auf die jugendlichen Schultern. Die glanzlose, vortrefflich gearbeitete Brünne von spanischem Erz war ein Beutestück aus dem Lager Barbatios. Darunter hervor reichte das blaue Wollwams bis an die Knie; der leichte runde Reiterschild wies auf dem Buckel die merowingische Hausmarke, die Rune M über dem aus dem Meer sich hebenden Drachen.

Den Speer trug er über den Rücken geschnallt an einem Lederriemen, denn er brauchte jetzt die Rechte; er las, sobald sie bei steigendem Weg aus dem Trab in Schritt übergingen. Er forschte in einer halbverbrannten römischen Straßenkarte, die er in der Asche Straßburgs gefunden.

»Kein Zweifel«, sagte er zu sich selbst. »Hier muß er kommen. Ohne Straße, querfeldein, durch Korn und Gestrüpp und Sumpf zieht kein Römerheer. Wenn es nicht muß. Zwei Legionenstraßen hat er zur Verfügung. Die längere, fast siebenundzwanzig römische Meilen, etwa elf Stunden, über Brumat in weitem Ausholen nach Ost. Dann diese kürzere, einundzwanzig römische Meilen, nur wenig mehr als acht Stunden, geradewegs von Nordwest nach Südost. Er muß diese hier wählen. Auf jener würde er Gefahr laufen, von uns in der Flanke gefaßt, von seinem einzigen Rückhalt — Zabern — abgeschnitten zu werden. Also hier ihm entgegen! Und dem Gelände abgewonnen, was sich von Vorteilen noch etwa gewinnen läßt. Ich erinnere mich einer Stelle, dort, hinter der Wasserleitung nach Straßburg ...«

Er pfiff hell; da folgte ihm lustig, wie er wieder antrabte, die ganze Schar. Bald war der Musaubach erreicht, den die Legionenstraße in einem Hochbau überschritt. Hier ließ er halten, schickte Boten seinem Fußvolk entgegen und andere bis in das Lager zurück, die dringend zum eilenden Anmarsch treiben sollten. Er selbst flog mit wenigen Begleitern die Höhe hinan, die heute Hürtigheim trägt.

Von hier war die Straße nach Zabern, zuerst in ihrer Senkung, dann in ihrem Anstieg bis Küttolsheim, etwa eine Meile weit deutlich zu überschauen. Nichts konnte von Zabern her hier unbemerkt herankommen. Nach längerer Umschau befahl er Friedibert und vier anderen seiner Bestberittenen, hier zu halten, scharf auszuspähen und das erste Auftauchen des Feindes eiligst zu melden. »Ich selbst«, sprach er zu den Spähern, »ich jage zurück zu dem Herzog, ihm zu raten, wie er da unten, hinter uns, die Scharen verteilen möge. Denn da unten, in jenem Gelände« — er deutete weit mit dem Speere — »wird die Schlacht gewonnen oder verloren.«


Achtzehntes Kapitel

Beim frühesten Morgendämmern hatte Julian in sein Brief-Tagebuch eingetragen: Ich schreibe das zu Zabern, am siebzehnten August, im zwanzigsten Jahre der Herrschaft des Imperators Constantius, unter dem Konsulat des Flavius Constantius Augustus und des Cäsars Flavius Claudius Julianus.

O Lysias! Wie groß sind sie, meine Götter! Wie voller Gnade! Und wie sichtbar helfen sie ihrem erkorenen Liebling, der reinen Herzens sie verehrt!

Schweren Herzens hatte ich das einsame Lager gesucht: ratlos, sorgenvoll. Aber gegen Morgen, da die Träume am untrüglichsten sind, sah ich deutlich aus Wolken vor mir aufsteigen das ragende Kapitol, wie ich's einst, von dir geführt, voll Ehrfurcht erschaut.

Siehe, plötzlich erhob sich von seinem Thron der herrliche Jupiter, den gewaltigen Adler auf der linken Faust, und, die ambrosischen Locken majestätisch gegen mich schüttelnd, hauptnickend, sprach er: »Folge, mein Sohn, meinem Adler. Er kennt den Weg zum Sieg!« Mit diesen Worten schwang er, wie man den Falken abwirft, den mächtigen Vogel hoch durch die Wolken über mich hinweg, dem Feind entgegen in das offne Land. Kreischend flog der Aar; er warf aus dem gewaltigen Griff den zackigen Blitz auf die heranwogenden Helme der Barbaren. Und zugleich — zum Zeichen, daß das mehr als ein eitler Wahn des Traumes — erkrachte hell und laut ein Donnerschlag, ein einziger. Ich fuhr aus dem Schlaf; wirklich! Es donnerte noch nach im Gewölk um Zabern.

Dank dir, kapitolinischer Jupiter! Ich glaube dir! Ich folge dir! Auf und dem Feind entgegen! Ist dies mein letzter Brief auf Erden; vorher schrieb ich noch an Helena, an Mutter und Schwester. So nimm, o Lysias, noch mal meinen Dank für dein Erlösungswerk an mir.

Bei Sonnenaufgang — etwa um fünf Uhr — führte Julian sein kleines Heer — nur dreizehntausend Mann — aus dem Südtor von Zabern in der Tat auf jene von Merowech erratene Straße.

Die Hälfte seiner berittenen Leibwächter schickte er unter Jovian als Vorhut zur Aufklärung voraus. Zu beiden Seiten der Legionen zogen auf der breiten Straße in langer dünner Linie rechts die Panzerreiter und die berittenen numidischen Pfeilschützen, links die batavischen Hilfstruppen. Auf die letzte Legion, die der Primani mit den gewaltigen Wurfmaschinen, folgten, den Schluß bildend, der Troß, die Wagen mit dem Gepäck.

Nach mehr als fünfstündigem Marsche machte sich die Hitze des Augusttages stark spürbar bei den schwer gerüsteten Legionären. Es war gegen halb elf Uhr geworden, als das Heer die Hochfläche oberhalb Winzenheim — ungefähr zwei Kilometer vor dem Platze, wo heute Küttolsheim liegt — erreicht hatte. Zu diesen etwa sechzehn Kilometern von Zabern her hatte der langsame Zug mehr als fünf Stunden gebraucht.

Hier ließ der Cäsar haltmachen. Er wollte die Seinen auf die Probe stellen, bevor er die Entscheidung suchte, ihre Stimmung prüfen. Bedenklich schien es, die Leute, die schon jetzt sichtlich stark angestrengt waren, nach weiterem Marsch — unter steigender Hitze — an den Feind zu bringen. Erwiesen sie sich als müde, als kampfunlustig, wollte er hierbleiben, Graben ziehen, Lagerwall errichten und entweder morgen mit noch frischen Truppen angreifen oder, so gedeckt, mit Zabern als Aufnahmefeste nah im Rücken, den Anprall der Barbaren abwarten.

Noch hatte der Feind, den er vor sich in der Niederung erwarten durfte, seinen Anmarsch nicht bemerkt. Sowie er aber von dieser Höhe in den Quellgrund der Suffel hinabrückte, deckte er seine Linie, auf Meilen weit sichtbar, auf, und führte den sofortigen Zusammenstoß herbei. Vorher wollte er sich also nochmals des Geistes seiner Truppen vergewissern.

Er ließ sie einen Halbkreis bilden, die Befehlshaber vortreten und sprach zu ihnen herab von seinem edlen Silberschimmel, der, überdrüssig des Aufenthalts, mit dem Vorderhuf die Erde schlug und vorwärts, vorwärts drängte in schlecht verhaltner Ungeduld — wie sein Reiter. Der machte allerlei geltend, um es widerlegt zu erhalten. Er sprach von dem nahen Mittag, von den schlechten Wegen — neben der Legionenstraße —, die, am Ende des heißen Tages, die Marschmüden in dunkler mondloser Nacht erwarten würden, von dem Wassermangel in dem durch die Sonnenglut aufgerissenen Boden, von dem ungleichen Kampf der Nüchternen gegen Feinde, die ausgeruht, gespeist und getränkt sein würden. Daher schlage er vor, heute hier zu rasten, im Schutz von Graben und Wall und abwechselnden Nachtposten, und, nach Schlaf und Speisung, am nächsten Morgen erst aufzubrechen.

Aber die kunstvolle Rede, in welcher der junge Rhetor dem versammelten Heer diesen Vorschlag machte, erreichte nicht ihren Zweck — oder vielleicht gerade? — Ungestüm, lärmend, brausend verlangten sie, vorwärtsgeführt zu werden, sofort zu schlagen. »Führ uns, Cäsar Julian, wir fürchten unter dir nicht die Dämonen der Hölle; denn mit dir ist Christus der Herr.« So rief ein Jüngling mit dunklen Schwärmeraugen und schlug das Kreuz über seiner Schuppenbrünne. Julian merkte sich den Mann.

»Wir haben sie noch jedesmal geschlagen, Cäsar, solang ich dir diese Fahne voraustrage«, sprach der alte Voconius und hob das purpurwimpelige Vexillum. »Mit dir ist der Sieg!« — »Mit dir ist der Sieg!« — »Wir brauchen keine Rast, wir wollen den Kampf!« schrien die Tausenden.

Da schoß, aufgeschreckt von dem Lärm, ein mächtiger Adler, der bislang vom Sonnendunst verhüllt, unbemerkt hoch oben seine Kreise gezogen, plötzlich mit lautem Kreischen und raschem Schwingenschlag zur Rechten des Heeres pfeilschnell gegen Südosten, gegen die Alemannen hin.

»Hört ihr den Adler? Sehet ihr ihn? Der Legionen alten Führer zum Sieg?« rief Julian begeistert. »Heute Nacht im Traume schon sah ich ihn fliegen. Das Omen nehm ich an!« fügte er — unbedacht — hinzu: »Es sei, wie ihr und der Adler gewählt habt! Vorwärts! Die Waffen auf! Zu Pferd! Und wehe den Barbaren!«

»Und wehe den Barbaren!« scholl es viel tausendstimmig wider.

Sofort ergriffen die Leute die zusammengeschichteten Schilde und Speere, traten in Reih und Glied, oder schwangen sich in die Sättel, und vorwärts ging es nun in rascherem, lebhafterem Schritt als zuvor.

Julian ließ einen Zug Fußvolk der Cornuti an sich vorüberschreiten. Er bemerkte, daß jener junge Christ halblaut vor sich hin sang. Er ritt an ihn heran: »Du singst, mein Freund! Das gefällt mir. Auch die Spartaner zogen singend in die Schlacht.« — »Davon weiß ich nichts, o Herr.« — »Was singst du?« — »Den achtzehnten Psalm. Horch, wie schön er lautet: ›Herzlich lieb hab ich dich, Gott, du meine Stärke. Herr, mein Fels, meine Burg, mein Beschirmer, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Turm meines Heils und mein Schutz.‹«

Julian schwieg, eine Weile neben ihm hinreitend, dann begann er: »Ganz wohlgemut also ziehst du in den Kampf. Fürchtest du nicht den Tod?« — »Wie sollte ich, Herr? Christus, mein Erlöser, lebt; so werde auch ich leben. Das ist unser Trost; und falle ich, so rufe ich noch: ›Tod, wo ist dein Stachel?‹ Weiß ich doch gewißlich, daß der Herr Christus wird niedersteigen aus den Wolken und mich wird aufwecken von den Toten, gleichwie er ist auferstanden von den Toten und aufgefahren gen Himmel. Aber diesmal, mein ich«, fuhr er lebhafter fort, »diesmal wird mir nichts geschehen.« — »Und weshalb, mein Freund?« — »Ich glaube, der Engel des Herrn muß mich beschützen, bis ich den Vater freigekauft.« — »Ist er gefangen von den Barbaren?« — »Viel schlimmer, lieber Herr: von dem Steuereintreiber.« Julian seufzte für sich. »Das muß sich der Cäsar sagen lassen.« — »Der Vater konnte die Kopfsteuer — nicht Grundsteuer, denn wir zählen zu den geringen Leuten in Avignon — nicht aufbringen. Da ward er in das Schuldgefängnis des Fiskus geworfen. Ich stand in Arbeit auf einem Weingut der Kirche zu Nimes. Als ich's erfuhr, ließ ich mich anwerben bei den Cornuti. Schon habe ich fast die Schuldsumme beisammen; nur noch der Sold von zwei Monaten fehlt. So lange wird mich der Engel des Herrn beschützen; ist's doch das vierte Gebot, dem ich gehorche. So meinte der gute Presbyter der Kirche, der mir aus seiner Armut ein großes Stück Geld schenkte. Und ...« — »Nun, und?« — »Er schrieb mir auf Pergament einen kräftigen Segen: den Segen des Tobias. Horch, was er besagt: ›Der Engel Raphael sprach — unerkannt — zu dem alten Tobias: »Ich werde deinen Sohn gesund hin- und wieder herführen.« Und der Vater sprach: »Ziehet hin. Gott sei mit euch auf eurem Weg, und der Engel des Herrn geleite euch.« Und weil er vertraute und glaubte, führte er den Sohn ihm heil zurück, Raphael, einer der sieben Engel, die da stehen vor dem Antlitz des Herrn.‹ Auch ich glaube fest an den Herrn: So wird auch mich sein Engel dem Vater unversehrt wiederbringen. Siehst du, hier, unter dem Panzer, auf dem Herzen, trag ich das breite Blatt; so ist meine Brust geborgen vor der Barbaren Speer.« — »Welch frommer Glaube!« sprach Julian gerührt. »Beneidenswert! — Wenn es nur nicht so dumpf wäre. Höre Freund ...! wie heißt du?« — »Renatus.« — »Höre also, Renatus, vertraue immerhin auf deinen Zettel. Aber versäume doch nicht, dich gehörig mit dem Schild zu decken!« Und er sprengte voran, einem Reiter entgegen, der von der Vorhut zurückeilte; es war Jovian. »Sie sind da, die Alemannen! Von der Krone der Höhe da vorn sah ich auf einem sanft ansteigenden Hügel fünf Reiter. Scharf hoben sie sich ab von dem hellen Himmel. Sobald sie unser ansichtig wurden, jagten sie davon, talab, nach Südosten. Wir sprengten nun den Hügel hinauf, und vor uns, zu beiden Seiten der Straße, weit gestreckt nach Nordost und Südwest, sahen wir die Stellungen der Barbaren. Es glänzt das weite Tal von ihren Waffen!«


Neunzehntes Kapitel

Und so war es.

Denn endlich hatten sich, Merowechs wiederholten dringenden Boten nachgebend, die sieben Könige in Bewegung gesetzt und ihre Scharen aus dem Lager bis hierher, zu beiden Seiten der Legionenstraße, geführt, links (westlich) bis zu dem heutigen Ittenheim, rechts (östlich) bis zu dem heutigen Oberhausbergen; sie sperrten also dem Feind den Vormarsch auf der alten Römerstraße. Die Schlacht ward ein Kampf um diese Straße.

Vergeblich hatte der Franke den Herzog gebeten, die Vortruppen, die schon weitergeeilt waren, noch bevor der Feind sie erblickte, zurückzurufen, damit eine Überraschung aus dem Hinterhalte nicht vereitelt werde, die er plante. Chnodomar meinte trotzig: »Freiwillig gehen meine Buben nicht zurück; auch wär's ein übles Anzeichen im Angesicht der Feinde. Denn schau hin, nun werden sie voll sichtbar in der Ferne!«

Die Könige mit ihren Gefolgschaften — meistens Reitern — und Merowech hielten auf der Mitte der Hochstraße, von hier aus, wo es nötig oder günstig schien, einzugreifen. Ihre ganze übrige Reiterei stellten sie auf den linken — westlichen — Flügel links von der Straße, wo die weiten, sich abflachenden Felder zum Ansprengen einzuladen schienen. Im Mitteltreffen hielten sie durch Fußvolk die Römerstraße und die nächsten Landstreifen dicht besetzt. Der rechte Flügel dehnte sich von der Straße nach rechts östlich gegen Oberhausbergen zu. Hier zog die römische Wasserleitung in hohem Bogen über den tiefen Einschnitt des Musaubachs; dichtes, mannshohes Schilf wucherte da, dem Blick undurchdringbar.

Dort traf der Königssohn für sein Fußvolk einige Anordnungen, für die er sich vom Oberfeldherrn freie Hand erbeten hatte. Auf die Hochstraße zurückgekehrt, warf er einen langen besorgten Blick auf die römischen Rückhaltscharen, die da — weit hinten — in sichrer Ferne, dicht gehäuft, drohten. Er schüttelte traurig die Locken.

Da durchleuchtete ihn ein Gedanke: Wie die Knaben muß man sie überlisten — zu ihrem eignen Vorteil! Er ritt an Chnodomar und die andern Könige heran und rief ihnen mit spöttischem Munde zu: »Traun, großen Ruhm wird es euch eintragen in den Hallen der Alemannen und ihrer Nachbarn, verlautet es, daß jeder von euch sieben sich nur in den Kampf wagte, gedeckt und beschirmt von seiner ganzen Gefolgschaft, jeder von hundert Schilden! Der Römer kann auch vorsichtig-tapfern Helden ja gar nicht an den Leib. Schämt euch! Selbst ist der Mann. Da seht! Ich halte die Hälfte meiner ganzen Schar — fast ein halbes Tausend — da hinten unter dem Schatten des kleinen Gehölzes gelagert, dort links, neben der Straße. Aber freilich, ich bin nur ein Königssohn, kein König selbst; um mich ist nicht viel schade!« — »Beim Strahle Donars«, wetterte Chnodomar. »Das lassen wir uns nicht sagen von dem Nestling da! Ich — ich lasse auch die Hälfte meiner Gefolgschaft hier zurück!« — »Und ich!« — »Und ich!« — »Und ich!« wiederholten die stolzgemuten Herzen und gaben ihren Leuten zu Roß und zu Fuß die gleichen Befehle. So sammelten sich hinter der germanischen Aufstellung im Schatten einiger Baumgruppen südwestlich der Straße etwa zweitausend Mann.

Nicht zufrieden mit diesem Gelingen, bemühte sich Merowech, bei dem Oberfeldherrn weitere Ratschläge durchzusetzen. Allein, er stieß auf unbeugsamen Widerstand.

»Begnüge dich mit dem, junger Held«, lachte der Riese, den dichten roten Rauschebart zu beiden Seiten vom Munde streichend, »was du mir abgeschwätzt hast — für — für da drüben«, er deutete mit dem Schwert nach rechts, »dort, hinter der Wasserleitung. Ich hätt auch das nicht getan. Nur dir zuliebe gab ich nach. Du verstehst dich auf römische Kampflisten. Und es mag ja nicht übel sein, solche auch einmal gegen sie zu verwenden. Aber die Hauptsache, die bleibt der Stoß — der Stoß geradeaus — des Keils! Wie der mächtige Wisent, der König des Waldes, daherrennt, erst den Staub aufwerfend mit dem Vorderfuß, dann die Flanken peitschend mit dem buschigen Schweif, und nun den mächtigen Kopf, den wuchtigen Nacken, dessen Mähne kein Pfeil durchdringt, gesenkt und mit feurig rollenden Augen geradeaus stürmt wider den Feind, alles vor sich niederstoßend, und sogar Donars tapfern Freund, den starken Bären, der sich drohend aufrichtet, auf die krummen Hörner ladend und hoch in die Luft schleudernd: So allein kenn ich und lieb ich den Angriff. So hab ich gar oft in offner Schlacht die Römer des Decentius geschlagen, so ohne Widerstand ganz Gallien durchstürmt. Hat ihn uns nicht Wodan selbst, der Siegesgott, gelehrt, den Keilhaufen, den ›Eberrüssel‹ und seinen alldurchdringenden Stoß? Fern sei es, des Gottes altbewährte Weisheit zu vertauschen mit welschem Witz. Was Rückhalt! Was Aufnahme! Wir müssen siegen auf den ersten Anlauf!«

Seufzend blickte Merowech immer wieder in die weite Ferne, wo die aufsteigende Bodenwelle erkennen ließ, daß hinter dem ersten und zweiten römischen Treffen, in weitem Abstand, ein drittes, es schien sogar ein viertes, dicht geballt zurückgehalten stand.

»Und wenn wir nicht siegen mit dem ersten Anlauf«, sprach er ernst, »dann bleibt nur eins übrig: auf dem Fleck sterben. Denn für nichts hast du gesorgt, o Herzog! Keine Rückzugslinie, keine aufgesparte Nachhut, kein befestigtes Lager! Vielmehr hinter uns der breite, tiefe Rhein, ohne Brücke, ohne Schiffe. So geht die Verzweiflung in die Schlacht.«

»Oder die Siegesgewißheit. Sieh, Jüngling, ich weiß es, Furcht hat an deinen Reden nicht teil, aber allzuviel römisch geschulte Vorsicht. Sie ist überflüssig: heute wenigstens! Gedenke meines Traumgesichts! Ich breche mir Bahn bis zu dem Cäsar-Knaben, und dann — ein Hieb mit diesem Schwert! Und der Cäsar und all seine Feldherrnkunst sind verloren.«

Der Salier beschied sich zu schweigen. Wie er auf der Straße vorwärts ritt, trieb Friedibert sein Rößlein munter an ihn heran und sah ihm vergnügt in die Augen: »Das hat dir Wodan selber eingeblasen, Herr«, meinte er, und sein offnes Antlitz lachte. »Die werden Augen machen.«

»Nicht so vergnügte wie du, hoff ich. Du bist ja heut ganz übermütig, Bub. Schon wie du den Hügel herabflogst und die Feinde meldetest, konntest du kaum sprechen vor eitel Lustbarkeit. Was hast du denn, daß du gar so froh bist?«

»Ah, Herr«, lachte der hübsche Jüngling, sich leicht in den Bügeln hebend und den sprossenden Flaumbart streichend. »Ich weiß auch nicht. Mich freut halt mein Leben so! Alles freut mich! Vor allem, daß ich lebe — und so tief die liebe Luft einschnaufen kann: so tief! Dann, daß ich auf diesem guten weißen Rößlein sitze, das mir mein lieber Gefolgsherr geschenkt hat vermöge seiner Milde.« — »Hast dir's wacker verdient, dort vor Köln.« — »Dann aber am meisten: daß ich schon so viel Römerbeute zusammengebracht habe ... Es fehlen mir nur noch zwanzig Solidi ...« — »Woran?« — »Nun, an der Loskaufsumme für Gerlind, das schöne Mädel, die Magd von Mälo dem Sugamber. Ihre Mutter war unfrei: so ist sie's auch. So kann ich sie nicht heimführen. Aber Mälo hat versprochen, sie freizulassen für hundert Solidi. Achtzig hab ich beisammen...« — »Ich schenke dir die zwanzig.« — »Dank, Herr! Werden's gut brauchen können zum Anfang der Hauswirtschaft. Aber ich hole mir heute mehr Beute von erschlagnen Welschen als für zwanzig Solidi.« Merowech warf einen liebewarmen Blick auf ihn. »Nun, treib's nur nicht zu tolldreist. Auch Römerspeere treffen.« — »Bah, aber mich nicht. Heute nicht! Da schau her, lieber Herr«, er schlug das Wams auseinander — eine Brünne hatte er nicht —, da ward ein schmaler Streifen gelben Leders sichtbar mit einigen braun eingebrannten Runen. »Siehst du? Die graue Sudrun, der kleinen Großmutter, ein bergaltes Weib, das noch die starken alten Sprüche kennt, hat mir den Waffensegen da drauf gebrannt:


»Spring ab, spitzer Speer,
Schwing ab, Schwert!
In Frôs Frieden
Fährt Friedibert.«


Hei, mit diesem starken Zauber über der Brust werd ich dem Cäsar seinen Panzer mit dieser Hand von den Schultern lösen: Er ist reich mit silbernen und goldenen Scheiben geschmückt — ich sah ihn auf den Wällen von Autun.« — »Gut Heil zum Beutegriff! Aber vergiß mir nicht den Rundschwung der Klinge, den ich dich gelehrt. Er wehrt Wurf, Stoß und Hieb.« — »Mich schützen —? Das ist heute Frôs Sache. Ich greife an! Horch, da — fern — im Norden —, die ehernen Töne?« — »Das ist die Tuba Cäsar Julians. Sie kommen.«


Zwanzigstes Kapitel

Nachdem Julian von jener Höhe aus, die vorher die feindlichen Späher eingenommen, die Aufstellung der Barbaren auf und zu beiden Seiten der Legionenstraße übersehen hatte, erließ er kurz Befehl über die Verteilung seiner Scharen. Sie ergab sich ziemlich von selbst: Festhaltung der Straße in der Mitte durch Fußvolk und einige Reiter, die Masse der Reiterei auf seinen rechten (westlichen) Flügel, der feindlichen Reiterei gegenüber, das Fußvolk in Menge auf seinen linken (östlichen) Flügel, wo das Gelände mehr unterbrochen, unübersichtlich, schien.

Jedoch nicht umsonst hatte er eifrig die Geschichte römischer Niederlagen und römischer Siege gegenüber Germanen durchforscht: Er wußte, daß erst Marius die Legionen dem Stoß des germanischen Keils hatte widerstehen gelehrt; er wußte, daß »die Taktik der Reserven« alle Siege der Römer über diese ungestümen Feinde entschieden hatte. Und er handelte danach. Kaltblütig, eine römische Straßenkarte in der Hand, erteilte er den um ihn versammelten Heerführern seine Weisungen; jeder stob davon, sobald er seinen Auftrag erhalten. »Dich, Jovian, bitte ich, heute um mich zu bleiben, mit einer erlesenen Reiterschar. Nimm zu meinen dreihundert Leibwächtern noch dreihundert Panzerreiter. Mit ihnen wollen wir — du oder ich — dahin fliegen, wohin die Not uns ruft. Allgegenwärtig sein auf dem Schlachtfeld — wie der Gott der Galiläer in der ganzen Welt —, das wäre nun das Erwünschte.«

Die Schlacht begann. Es war gegen zwei Uhr mittags. Nach jener Rast auf der Höhe hatten die Römer etwa noch zwei Stunden Wegs zurückgelegt. Auf dem linken römischen Flügel rückte Severus, der unter dem Helm ergraute Magister Militum, an Partherpfeile, sarmatische Wurf-Holzkeulen und germanische Speere gleich gewöhnt, mit dem Fußvolk links seitwärts der Straße auf die feuchte Niederung zu, die damals der Musaubach fast zu einem Sumpfe machte; dichtes, hohes Schilf wucherte hier.

Schon waren die ersten Reihen, ohne auf einen Feind zu treffen, an den breiten Bogenpfeilern der römischen Wasserleitung vorbei und in die Anfänge des Schilfes gelangt — nur in der Ferne vor sich erblickten sie Speerspitzen der Feinde —, als plötzlich überall aus dem Schilf und Röhricht batavisches Fußvolk hervorsprang und die Marschkolonne von der linken Flanke und von vorn anfiel unter gellendem Kampfgeschrei.

Es war der Hinterhalt, den da, nordöstlich von dem heutigen Dorfe Musau, Merowech gelegt hatte.

Der Erfolg war stark: zwar verlor der kampferprobte Alte nicht die Ruhe — unerschrocken befahl er Halt, gebot seinen Leuten, »Schildkröten« zu bilden, das heißt, wie sie gingen und standen, zu zweien, dreien oder mehreren sich, Rücken an Rücken gedrängt, gegenseitig zu decken und unter dem Schilddach die Speere gefällt vorzustrecken. Und der ruhige Befehl ward ruhig ausgeführt. Aber von Vordringen war doch gar keine Rede mehr: auf ängstliche Verteidigung war dieser Flügel angewiesen. Und schon näherten sich die feindlichen Speerspitzen von vorn her.

Julian sah's von der hohen Straße aus deutlich. Er befahl Jovian, so rasch als möglich eintausend Mann Schildner aus dem zweiten Treffen zu holen und den Bedrängten als Verstärkung zuzuführen. Er selbst sprengte mit zweihundert seiner Reiter von der Straße herab auf den bedrohten Flügel zu. Dabei geriet er, durch die Zwischenräume des Fußvolks vorjagend bis in die vorderste Reihe, in den dichten Hagel der Pfeile und Wurfspeere der Barbaren.

»Wie?« rief er dem vordersten Schildkrötenhäuflein zu. »Jetzt stockt ihr und stutzt? Wer hat so ungeduldig verlangt, sofort an die Barbaren gebracht zu werden? Gerade ihr, ihr keltischen Petulantes! Vor anderen laut schrieet ihr! Jetzt habt ihr euren Wunsch! Nun tut danach.«

Als er erkannt war, begrüßte ihn freudiger Zuruf; zugleich hatten seine Reiter die nächsten vereinzelten Feinde über den Haufen geritten: Alsbald führte Jovian die Verstärkung von tausend Mann, in streng geschlossenen Gliedern, vor. Die Barbaren wurden hier langsam zurückgedrängt. Aber nicht weit: Auch sie erhielten Verstärkung vom Rücken. Es kam zum stehenden Gefecht.

Merowech wie die Könige hatten diese Dinge ebenfalls auf der hohen Straße von ihren Rossen herunter wahrgenommen. Eben bat jener den Herzog, ihm zu erlauben, mit seinen Reitern den Römern des Severus dort in die rechte Flanke zu brechen, als aus dem ganzen alemannischen Fußvolk auf der Straße und weiterhin nach Osten ein wildes, drohendes Geschrei an sein Ohr schlug.

»Ich verstehe nicht! Was wollen sie?« fragte er Chnodomar. — »Etwas sehr Dummes«, antwortete der unwirsch. »Aber wir müssen's tun.« Und, wuchtig in seinen Waffen rasselnd, willfährig, gehorsam, wie ein gescholtener Knabe, sprang er von dem mächtigen Gaul, einem prachtvollen Brandfuchshengst. Und zum äußersten Erstaunen Merowechs folgten alle sechs Könige seinem Beispiel; ebenso die Reiter ihrer Gefolgschaften. »Seid ihr von Sinnen?« rief der Bataver. »Jetzt absteigen? Jetzt — da ...« — »Sei still, und steig auch ab, sollen dir nicht Alemannenspeere unsanft an den Kopf fliegen«, riet Chnodomar. »Die Gemeinfreien — 's ist ihr alt stolz Recht! — verlangen, daß, da die Stunde sehr heiß wird, die Könige und Edeln von den Rossen steigen und — neben den Gemeinfreien — zu Fuß kämpfen. Damit wir nicht etwa rasch entreiten, geht es schief.« — »Und das tut ihr? Und ihr fügt euch?« — »Es ist Ehrenpflicht. König und Edler darf nichts Besseres haben wollen als die Freien.«

»Unsinn ist's«, rief Merowech, mit dem Schwert einen Wurfspeer zur Seite schlagend, den ein grollender Alemanne auf den unfolgsamen Reiter geschleudert hatte. »Jetzt _brauchen^ wir die Rosse. Vorwärts, meine Bataver! Links ab! Sprengt ein!« Und an der Spitze seiner Reiter jagte er von der Römerstraße links ab gegen den rechten römischen Flügel, die Schuppenreiter. Denn er hatte sich einstweilen, rechtshin spähend, überzeugt, daß dort, bei der Wasserleitung, die Germanen der Hilfe nicht mehr bedurften: Das Gefecht stand dort.

Das Beispiel, das die kleine batavische Schar in ihrem kühnen Einsprengen auf die gesamte römische Reiterei gab, riß unwiderstehlich auch die Masse der alemannischen Reiter fort, den Verwegenen zu folgen. Gemischt mit behenden Fußkämpfern, die sich an die Mähnen der Rosse klammerten, ging es sausend gegen die in Eisen starrenden römischen Panzerreiter.

Und unwiderstehlich auch riß der Anblick dieses Reiterangriffs ihres linken Flügels die germanischen Fußkämpfer in der Mitte auf der Straße mit fort: Ohne den Befehl Chnodomars abzuwarten, drang nun das ganze Mitteltreffen, in Keilhaufen geordnet, wider das gerade gegenüberstehende römische Fußvolk her. Hier — in der Mitte — kam es nun zu grimmem, für die Alemannen stark verlustreichem Ringen Mann gegen Mann. Wie stets taten auch diesmal für die Römer in solchem Nahkampfe das Beste ihre meisterhaft ersonnenen und vollendet gearbeiteten Schutzwaffen: der eherne Helm, der ausgezeichnet feste eherne oder stierlederne, rings mit Erz beschlagene Schild, der Panzer aus spanischem Erz; all das zusammen eine kleine Burg für sich, die mit den schlechten Waffen der Barbaren mit alleräußerster Kraftanstrengung kaum zu durchbrechen war: Hinter diesem Schutz focht der Legionär wie hinter einer Befestigung; und während der halbnackte Germane alle Kraft darauf verwenden mußte, mit dem plumpen Hiebschwert von oben her erst jenen ehernen Wall von Helm und Schild zu durchtrümmern, um nur an den Leib des Gegners zu gelangen, verwertete dieser jede Blöße des Angreifers, mit dem kurzen, breiten, mörderischen Römerschwert durch den dünnen Schild von Weidengeflecht hindurch den weißen Leib des blonden Riesen zu treffen.

Dicht stiegen auf der trockenen Straße die Staubwolken des heißen Augusttags empor. Um jene Schildmauer zu zerreißen, um Lücken, Ungleichheiten in das feste Gefüge zu bringen, warfen sich manche der germanischen Fußkämpfer auf ein Knie und suchten, unter den feindlichen Schilden hindurchgreifend, den kürzer gewachsenen Römer um die Hüften zu fassen und im Ringkampf durch die überlegne Kraft nach rückwärts zu Boden zu werfen; auch Schild gegen Schild stemmten sie wohl, wie Hirsche oder Böcke sich mit Geweih oder Gehörne zurückzuschieben ringen — aber scharf drang dann der spitze eherne Schildstachel des Legionärs in Arm oder Rippe.

Der linke Flügel der Römer, von Julian selbst geführt, gewann jetzt Raum, drang vor, über das Schilf hinaus, den immer erneuten Ansturm ungeordneter Keilhaufen zurückwerfend, mit der überlegnen Wucht der Waffen klirrend eindringend, vorbohrend in den dichten Feind.

Einstweilen aber hatte auf dem rechten römischen Flügel der Angriff Merowechs mit seiner kleinen Schar der ihm nachjagenden alemannischen Reiterei die Panzerreiter getroffen. Anfangs richteten sie nichts aus: Ihre leichteren Pferde prallten zurück bei dem Zusammenstoß mit jenen Erzkolossen, die unverwundbar schienen.

Allein nun, nach dem ersten Zusammenstoß, gab Merowech mit erhobenem Schild ein Zeichen: Etwa die Hälfte seiner Bataver sprang ab — ihre Rößlein blieben wie angewurzelt stehen —, jetzt drängten sich die Behenden auf der linken, speerlosen Seite der Panzerreiter an deren Rosse, rissen das Kurzschwert aus dem Wehrgurt und stießen es den Gäulen durch das Gefüge der Schuppen von unten nach oben in die Weichen. Rasselnd brachen die Tiere zusammen und begruben die schweren Reiter unter sich, die sich nicht mehr aufraffen konnten, erstickt von der Wucht der eignen Waffen. Fünf, acht, zehn — schon war es das ganze erste Glied —, zwölf der ehernen Ungetüme waren so gestürzt: In die Lücken drangen immer zahlreicher die abgesessenen Bataver. Schon wankte das zweite Glied.

Da warf sich Darandanes, hoch den krumm geschweiften Säbel schwingend, grimmig auf den nächsten der Reiter — es war Merowech. Umsonst schleuderte der den Wurfspeer aus nächster Nähe: Mitten auf der Brust prallte er ab von dem undurchdringlichen Panzer; aber, von dem kräftigen Stoß erschüttert, fuhr der Perser zurück, gegen den hohen Rückenbug seines Sattels. Im Augenblick war der Königssohn heran und stieß ihm das Kurzschwert gerade unter dem Kinn, wo das Schuppenhemd endete, in die Kehle. Klirrend, rasselnd in seinen Waffen, stürzte der Sterbende seitlich aus dem Sattel; er blieb im schaufelbreiten Steigbügel hängen, das erschrockene Pferd jagte in wilden Sätzen querfeldein, den Reiter in seiner gold- und silberglänzenden, allbekannten Rüstung dahinschleifend über Stock und Stein. Der Fall des allgeliebten Führers, sein grausiges Geschick erfüllte seine Reiter mit Entsetzen: Mit wildem Geheul warfen sie die Gäule herum und, sinnlos vor Schreck, entscharten sie sich, in wilder Flucht davonjagend in blindem Rennen, größtenteils rückwärts, die berittenen numidischen Bogenschützen, die ihnen gerade hatten zu Hilfe kommen wollen, durchbrechend und mit sich fortreißend. Vier andere Geschwader von ihnen flohen seitwärts, auf die Straße hinauf, und über diese hinweg, auf den linken römischen Flügel los. Auf der Straße ritten sie einen Zug ihres eignen Fußvolkes über den Haufen und jagten weiter auf andre Reihen, auf die »Cornuti« und »Braccati«. Schon wankten auch die unter der Wucht des ehernen Anpralls — sie bildeten den Kern des römischen Mitteltreffens —, lösten sie sich auf, war die Schlacht verloren.

Hier, in diesem Augenblick höchster Gefahr, erschien mitten unter seinem Fußvolk auf der Hochstraße — der Cäsar. Er war mit Jovian und seinen zweihundert Reitern aus der Vorderreihe des linken Flügels zurückgeritten, da er diesen unter Severus in langsamem Vordringen sah und seine Beobachtungsstelle im Mitteltreffen wieder einnehmen wollte. Jedoch halbwegs bis zur Straße gelangt, erreichte ihn schon das wilde Geschrei der fliehenden Panzerreiter, der Zornruf des überrittenen Fußvolkes, der Kriegsruf und die hallenden Hörner der verfolgenden Germanen: Schon sprengten ihm auch die vordersten der Flüchtlinge entgegen. »Flieh!« schrien sie ihm zu, »flieh, o Cäsar!« Der nächste, auf den er stieß, war der Träger der Standarte: Die zeigte einen goldnen Drachen mit zwei lang flatternden Purpurwimpeln. »Rette dich«, schrie der Mann, »Darandanes ist gefallen: Alles ist verloren.« — »Nichts ist verloren als dein Mut«, rief Julian, riß ihm die Fahne aus der Hand und jagte, sie hoch schwingend, auf die Straße zu den »Cornuti« und »Braccati«.

Hier drohte jetzt die allergrößte Gefahr, denn endlich, nach langem Ringen, hatten nun Chnodomar und das alemannische Fußvolk in der Mitte das erste Treffen des römischen Fußvolkes zwar nicht durchbrechen oder werfen können, aber doch zum langsamen Zurückweichen auf das zweite Treffen, eben diese »Cornuti«, »die Behörnten« — sie trugen kurze Hörnlein auf den Helmen — und »Braccati« — Kelten, mit buntgewürfelten Hosen — gebracht: Gerieten diese jetzt, statt das erste Treffen aufzunehmen, in Auflösung, so war auch die zweite Aufstellung des Cäsars verloren.

Aber es gelang ihm, sie beisammenzuhalten. In kurzen feurigen Worten rief er sie auf, auszuhalten. Seien sie doch erprobte Kerntruppen des Heeres; sie sollten, wie so oft, die wankende Schlacht stellen. »Seid ihr doch, ihr Behörnten, selbst meist Germanen: Quaden und Markomannen vom Ister, Sachsen und Friesen von der See. Und ihr, Buntbehoste, tapfre Kelten aus Aremorica, ihr kämpft ja hier für euer eignes Heimatland: dies Gallien. Auf! Laßt die Weichenden hindurch. Hinter eurem Schild und Mut werden sie sich und ihre Ehre wiederfinden: Auf, ihr Germanen in römischem Dienst, stimmt ihn nun an, euren gefürchteten Schildgesang!«

Und also geschah's. Jene Scharen, germanische Kraft mit römischer Kriegszucht vereinend, ließen die fliehenden Reiter, darauf das langsam weichende Fußvolk des ersten Treffens hindurchfluten, schlossen sich dann wieder und bildeten ein nur nach hinten offnes Viereck, den Angriff der Germanen von drei Seiten abwehrend.

Denn nun warf Merowech von Westen her seine Reiter auf sie, während Chnodomar und die Könige geradeaus von der Straße her anstürmten und sich auch schon anschickten, die römische Mitte von Osten her zu fassen. Aber die tapfern Cornuti auf der Straßenmitte hielten die hohlen Schilde vor den Mund und riefen ihren andringenden germanischen Vettern den germanischen Schlachtgesang entgegen:


»Halle, du hohler,
Schirmender Schild,
Schalle du schrecklich — Schlachtgesang!
Mit uns alle
Asen von Asgardh!
Wodan, du wilder, wüte für uns!
Schlage mit Schrecken
Freißlich die Feinde —
Sende, Siegvater,
Deinen Söhnen den Sieg!«


Sie waren es schon gewöhnt — seit gar vielen Schlachten —, diese Söldner, daß ihnen auf solches Anrufen, fast ganz ähnlich dem eigenen, der Schildgesang ihrer Feinde entgegenklang.

Und also tönte das Kampflied der Alemannen:


»Fülle uns völlig,
Asischer Ahnherr,
Tius, mit trümmerndem Trotz!
Lenk uns die Lanze
Durch Harnisch und Helm,
Brich durch die breiten
Brünnen ihr Bahn —
Schärfe die Schwerter uns,
Spitze die Speere,
Send uns den Sieg.«


Einundzwanzigstes Kapitel

Aber bald verstummte der Gesang der angreifenden Alemannen. Der Zorn, der Grimm erstickte ihnen die Lust dazu; denn abermals fielen sie in dichten Haufen! Hatten sie den weit überlegnen Waffen doch wieder nur die nackte Brust, den Speer, oft ohne Metallspitze nur im Glimmfeuer hart gebrannt, und freilich auch ihr todesfreudiges, blind anstürmendes Heldentum entgegenzuwerfen. Der ungleiche, verlustreiche Kampf reizte ihren Zorn zu furchtbarer, wild aufflammender Wut. Sie übertraf jetzt, was man sonst an Germanen gewohnt war. Ihr langes Haar, nach suebischer Sitte gegen den Wirbel emporgekämmt und in einen Büschel zusammengebunden, schien sich zu sträuben.

Immer und immer wieder führten Chnodomar und die Könige, zu Fuß kämpfend an der Spitze des Keils, neue Haufen gegen den Lanzenrechen, der ihnen aus der Schildmauer entgegenstarrte. Unablässig sprengte Merowech mit den Reitern immer wieder von der Westseite her an; wie viele der Rosse auch, getroffen von den mörderischen Pila, welche die zweite und die dritte Reihe der Feinde über ihr erstes Glied hinwegschleuderten, die Böschung der Hochstraße hinab in den Graben und auf das Getreidefeld stürzten.

Julian hielt neben Jovian in der Mitte des Vierecks. »So was«, flüsterte er dem Freund ins Ohr, »so was von Wildheit, von Todesmut hatte ich nicht für möglich gehalten. Ich meine, unsere Braccati da vorn erschlaffen. Sie halten es nicht mehr lange aus. Dann ...«

»Dann ist's zu Ende. Denn, reite ich auch sofort ab, ich habe nicht mehr Zeit, unsere letzten Treffen heranzuholen.« — »Die Bataver meinst du? Da hinten!« — »Jawohl! Wir würden sie jetzt brauchen. Du hast sie — zum Schutz des Gepäcks — zu weit hinten aufgestellt.« — »Sie sollten — mit der Legion der Primani — der allerletzte Rückhalt sein; für den äußersten Fall, für die letzte Not ...« — »Ich glaube, die kommt eben jetzt. Sie übersehen ja unsere Lage von ihrer erhöhten Stellung aus: O wenn sie doch auf den Einfall kämen, ungerufen herbeizueilen!« — »Ich hab es ihnen aber streng verboten. Sie dürfen nicht.« — »Gib acht, Julian! Sieh dort hin! Links! Da bricht's!« Wirklich, es brach! Die unablässig mit Schwert und Streitaxt geführten Hiebe hatten endlich bei den keltischen Braccati in die erste Reihe der Schilde eine Lücke gerissen. Zwar hatten sie Mannschaften aus dem zweiten Gliede sofort gefüllt, aber auch diese waren alsbald teils verwundet, teils gefallen. Aus dem dritten — letzten — Glied traten nun vier Mann vor.

Ein riesenlanger Alemanne, reicher als die meisten gewaffnet, sah's, daß hinter diesen kein viertes Glied mehr stand. Unermüdlich hatte er mit einem Steinhammer Schild auf Schild, Helmkamm auf Helmkamm vor sich niedergehämmert. Jetzt, bei einem neuen furchtbaren Hieb, brach ihm der Schaft in der Faust. Mit einem Fluch warf er das wertlose Holz zur Seite und reckte sich hoch auf: »Ei, Donar und Tius, ist's noch nicht genug? Gleich kann ich nicht mehr! Ich blute schon lang aus beißenden Wunden, weiß nicht, wie vielen! Ich mach ein Ende; ich schwur's — ich halt's! — Gebt Raum, Genossen! Und dann brecht ein, wo ich euch ein Loch mache.«

Ruhig, gemessenen Schrittes ging er nun etwas zurück, guten Anlauf zu nehmen. Dann rannte er, völlig waffenlos, mit lautem: »Jetzt habt acht!« auf die Reihe der Braccati los, setzte mit gewaltigem Sprung über die beiden Vordersten im ersten Gliede hinweg, so daß er hinter ihnen zu Boden kam, wandte sich blitzschnell, packte je einen mit dem Arm um die Mitte und warf sich mit ihnen, mit dem Antlitz nach vorn, auf die Erde. Im Augenblick war der Liegende von den Speeren der Nebenmänner durchbohrt. Aber im selben Augenblick waren auch schon mit dem Ruf: »Heil König Agenarich!« zwei, vier, sechs Alemannen in die klaffende Lücke gesprungen und stießen nun seitwärts mit den Kurzschwertern die nächsten nieder.

Die Reihe der Braccati war gesprengt.

Und zu gleicher Zeit hatte Merowech beim fünften Anreiten von Westen her endlich sein blutendes Roß in die vorderste Reihe der Cornuti getrieben, sie auseinanderzwängend. Wohl fiel sofort das edle Tier, von beiden Seiten von Speeren getroffen; aber wie er aufsprang, rief ihm eine junge Stimme von hinten her zu: »All heil, lieber Herr, hier ein frisch Rößlein.« Und Friedibert schob ihm von seinem Gaul herab eines der vielen reiterlosen Pferde zu. Sofort saß der Königssohn wieder und hieb auf die nun ebenfalls durchbrochne Reihe der Cornuti ein. Noch einmal schlossen die kampfverwetterten Söldner sich zusammen. Hoch hielt Voconius, der Fahnenträger, sein zerfetztes Zeichen; im rechten Arm verwundet, nahm er es in die linke Hand, schwang es in der Luft und rief: »Und doch siegt der Cäsar!« Einer ihrer Befehlshaber, bisher im dritten Gliede stehend, erkannte die hohe Gefahr des Augenblicks. Er raffte Schild und Speer eines vor ihm Sinkenden auf und sprang über ihn hinweg in die vorderste Reihe: »Steht, Cornuti«, rief er, »man stirbt nur einmal.«

Da riß ihm ein Wurfspeer den hochgeschweiften Römerhelm mit den Wangendecken vom Kopf. Eine Flut rotblonden Haars floß auf seine Schulter.

»Bainobaud! Kinderschlächter! Hab ich dich!« rief Merowech, spornte den Hengst gegen ihn und spaltete ihm mit einem zornigen Streich Haupt, Antlitz, Kinn und Hals. Der fiel; seine Nächstkämpfer wandten sich zur Flucht.


Zweiundzwanzigstes Kapitel

Nun war das Verderben dem jungen Cäsar sehr, sehr nahe gerückt.

Zwar noch in ziemlich leidlicher Ordnung, aber doch ohne Möglichkeit, wieder festen Fuß zu fassen, wichen rascher die Braccati, langsamer auch die Cornuti, die Römerstraße zurück, hart bedrängt von den Germanen, die, nach so furchtbarem Ringen, nun sich der Rache an den Weichenden ersättigen wollten.

»Rette dich, Julian«, rief Jovian dem Freunde zu. »Ich halte die Verfolger auf! Der Cäsar darf nicht fallen in Barbarenhand.« — »Das wird er nicht«, erwiderte ruhig Julian, das Schwert ziehend. »Aber noch leb ich; noch hoff ich auf den unbesiegten Sonnengott. Jetzt —«, er wandte die Augen auf die Sonne, die sich gemach zu Golde neigte, »jetzt zeige, daß du, der einzig wahre Gott, lebst und siegst. Schicke — schicke du, o Helios —, es ist zu spät, sie zu rufen! — schicke mir die Bataver.«

Kaum hatte er das Wort gehaucht, da erdröhnte weithin das Gefild von dem Jauchzen der hartbedrängten Römer: »Die Bataver! Die Bataver! Mit ihren Königen! Wir sind gerettet! Dank Christus! Dank den Göttern! Die Bataver! Die Bataver!« Und so war es. In dröhnendem Sturmschritt, mit dem lauten germanischen Kampfruf — dem eignen Namen: »Bataver! Bataver!« Mit fliegenden Fahnen kamen diese über viertausend Mann frischer Truppen — erlesne Kernscharen — wie eine Sturmflut von Erz die Legionenstraße herab. Das weichende, halb aufgelöste zweite Treffen der Römer fand hinter ihnen Aufnahme, Sammlung, Rettung.

Klirrend, die ehernen Schilde dicht aneinandergedrängt, mit weit vorgehaltnen Speeren, stießen die Bataver auf die nachsetzenden Alemannen. Diese, die gewaltigen Leiber von dem stundenlangen Kämpfen in der glühenden Augustsonne erschöpft, vom hoch aufwirbelnden Staub erstickt, vom brennenden Durste gepeinigt, die meisten bereits verwundet, stockten und stutzten, als sie die unverbrauchte Kraft der germanischen Vettern traf.

Einen Augenblick hielten sie noch. Dann, im Gefühl der Ohnmacht — nach solchen Anstrengungen — gegenüber diesen neuen Angreifern, brachen sie in ein wildes dumpfes Geschrei der Verzweiflung aus, wandten sich und — flohen! Das Fußvolk auf der von alemannischen Leichen besäten Straße, die Reiter über die Getreide- und Stoppelfelder westlich der Straße.

Merowech, mit fortgerissen, suchte, etwas weiter im Rücken wieder auf die Straße reitend, den Herzog. Er fand ihn und mehrere der Könige, wie sie, immer noch zu Fuß, sich vergeblich dem Schwall der Zurückflutenden entgegenwarfen.

»Es ist nicht möglich«, rief der Herzog zu Merowech hinauf, »daß es so zu Ende geht. Mein Traum! Er muß sich erfüllen! Es kann noch nicht alles verloren sein.« — »Ist's auch nicht«, entgegnete der. »Komm! Noch einen Angriff. Den letzten freilich. Weiche noch etwas weiter zurück, wo eure Pferde stehen und die Hälfte eurer Gefolgschaften. Und noch ein paar hundert Mann Fußvolk von mir. Ich hab sie heimlich aufgespart für das Allerletzte. Darum hielt ich auch eure halben Gefolgschaften zurück. Aber nun aufs Pferd! Jetzt werden die gestrengen Gemeinfreien euch wohl gestatten, ihnen voranzureiten: — in den Tod.« — »Das danke dir Wodan, du Prachtbub!« rief der Riese, der nun erst alles begriff. Willig und eilig folgte er dem Jüngling nach hinten.

Inzwischen waren die Reiter der Bataver bei Julian und Jovian eingetroffen; allen voran die vier Könige mit ihren Gefolgschaften. Dröhnenden Sturmschritts folgte ihr Fußvolk. »Das war Hilfe im rechten Augenblick«, rief Julian, dem nächsten König die mächtige Faust schüttelnd. »Gerade noch recht hat euch ein Gott herbeigeführt, der stärkste Gott!«

»Jawohl, Loge, der Gott des Hasses«, erwiderte Chramn, grimmig den Graubart streichend. »Wo steckt er denn, der schöne Paltar, der junge Held, dessen Klugheit und Tapferkeit die erprobter Könige verdunkeln will? Hei, wir sahen wohl von da oben, daß ihr hart zu ringen hattet in der Stirnseite gegen die Alemannen. Aber ich hätte doch nicht gewagt, gegen deine strengen Befehle, unsere Stellung zu verlassen. Da ersah ich deutlich — der Haß hat helle Augen — unter den Reitern, die immer wieder eure Flanke anfielen, das verhaßte Feldzeichen der Merowinger: den Meerdrachen! Und ja, ich glaubte in dem Führer auf dem Schwarzroß die hochaufgeschossene Gestalt dieses hoffartigen Klüglings zu erkennen. Ich sagte es den Freunden, die stimmten bei: ›Er ist's‹, schrien wir plötzlich alle vier. Und ohne daß ein Befehl dazu gegeben war, stürmten alle, wir Könige voraus, und die Unsern hinter uns, die Straße herab, den Verhaßten zu treffen. Wo ist er nun? Entflohn, der Feigling?« Er hielt die Hand vor die Augen und spähte weithin vor sich.

In diesem Augenblick erteilte Julian leise dem neben ihm haltenden Jovian einen Befehl; sofort jagte der, mit nur zwei Reitern der Leibwache, südwestlich von der Straße ab und auf den Flügel des Severus zu.

»Beim Speere Wodans«, rief da Chramn und ließ die Hand von den Augen gleiten. »Da kommt er noch mal angeritten, der Merowing!« — »Nun, ihr die Eidverbundnen, alle auf ihn!« schrie Guntchramn. »Er soll nicht lebend vom Fleck!« drohte Truchtbrecht.

»Er, der besser sein will als seinesgleichen«, schloß Grimmbrand.

Und jetzt kam er, der letzte, der furchtbarste Stoß, die äußerste Anstrengung der Germanen. Es war fast sieben Uhr, die Sonne sank; fünf Stunden hindurch hatten sie in unablässigem Angriff ihr Bestes versucht.

Nun führten Chnodomar, Merowech und die noch unverwundeten übrigen von den sieben Königen jene von dem Bataver künstlich aufgesparte frische Schar und dahinter so viele von den erschöpften, fieberheißen, wunden Flüchtlingen, als sie wieder hatten zum Stehen bringen können, zum letzten Sturm auf die Römer heran. Voran die Führer zu Pferd, dicht hinter ihnen ihr berittenes Gefolge, und die Reiter, die wenigen, die noch übrig waren nach jenen unaufhörlichen Angriffen. Hinter den Reitern, dicht geschlossen, die Keilhaufen des Fußvolks, die frischen Mannschaften vorn, die ermüdeten am Schluß, jeder Keil mit zwei Mann beginnend, dann drei, vier, fünf Mann, zuletzt zwölf oder soviel die Breite der Straße irgend gestattete, in einer Reihe, dahinter ein neuer Keilhaufen, in gleichem Anschwellen nach hinten.

Unwiderstehlich — so schien es — brausten die Reiter heran. Aber die Massen des Fußvolks hatten einen allzulangen Weg, einen allzubeschwerlichen, zurückzulegen. Die Leichenhügel sperrten ihre Schritte; langsam nur, obwohl sie liefen, kamen sie vorwärts. Erst lange nach den Reitern erreichten sie den Feind. Merowech und Chnodomar sprengten nebeneinander allen voran.

Sobald jenen die Könige der Bataver erblickten, jagten sie alle vier auf ihn los: »Nieder der Merowing!« riefen sie. Zwei ihrer Wurfspeere flogen. Den einen fing Merowech mit dem Schild, den zweiten schlug er mit einem neuen Speer zur Seite, den er gleich darauf dem nächsten Feind zur Rechten in die Brust rannte: es war Chramn; der schrie vor Wut und taumelte vom Gaul. Allein schon schwang auf des Jünglings Schildseite, über seiner Sturmhaube, Guntchramn das kurze Beil. Scharf ersah's Friedibert, der hart hinter dem Herrn hielt; er gab seinem Hengst die Sporen, daß er fast senkrecht stieg, und warf das edle Tier so wuchtig auf den Feind, daß Reiter und Roß zusammenbrachen, sich überschlagend, die Böschung der Straße hinabrollten. »Dank, Friedibert!« rief der Königssohn.

Nun waren Truchtbrecht und Grimmbrand heran.

Merowech warf dem ersten den Speer gerade in die Stirn, daß er rücklings aus dem Sattel flog; aber der vierte Gegner schlug ihm einen sausenden Schwerthieb durch die zerklirrende Sturmhaube tief in den Schädel, zugleich traf ein Wurfspeer sein Pferd in den Hals. Hoch sprang das Tier. Noch einmal ward des Jünglings hohe schlanke Gestalt weithin sichtbar Feind und Freund; im Abendgolde glänzten nochmals die flatternden goldnen Haare, dann verschwand er spurlos im blutigen Staube, und über ihn ging der Reiterkampf dahin.

»Herr, lieber Herr«, rief Friedibert, sprang vom Sattel und wollte dem Gefolgsherrn aufhelfen. Aber ein römischer Fußkämpfer schritt gerade auf ihn zu, weit ausholend mit dem Wurfspeer. Sofort zielte und warf auch Friedibert. Keiner der beiden dachte an Deckung. »Christus siegt!« rief der dunkeläugige Römer. »Frô befreundet mich!« rief der Germane. Beide trafen; lautlos stürzten beide, den Speer des Gegners in der Brust.

Mit einem Schrei des Grimms hatte Chnodomar den Freund fallen sehen; rasch warf er sich auf den letzten der vier Bataverkönige. Ein zorniger Schwerthieb, und Helm und Haupt waren ihm gespalten. »Hei, sie schneidet noch, die gute Klinge Donars!« jubelte der Herzog. »Wo ist Julian? Wo steckt der Cäsar-Knabe?« Und mit ungeheuren Hieben alles vor sich niederstreckend, Reiter wie Fußkämpfer, brach er sich Bahn. Der Zauber Donars schien sich zu bewahrheiten: Auf jeden Streich des Schwertes fiel ein Feind. Niemand mochte ihm standhalten; so brach er, von Vestralp, Suomar und Hortari gefolgt, durch die erste, zweite, dritte Reihe der batavischen Söldner.

Hinter der dritten hielt Julian, in der Mitte seiner berittnen Leibwächter. Er hob sich hoch in den Bügeln und spähte angestrengt nach links aus, wohin er Jovian entsandt hatte. So merkte er nicht, wie der furchtbare König auf seinem mächtigen Kampfhengst ihm näher und näher drang, bis plötzlich ganz nah an sein Ohr — auf lateinisch — die grimmige Frage schlug: »Wo ist der Knabe Julian?«

Der treue Berung hielt den Schild über seinen Herrn, aber ein Wurfspeer brachte sein Pferd zu Fall. Gleichzeitig flogen, von Chnodomar durchspalten, der erste und der zweite von Julians Leibwächtern vom Roß, die ihn von dem Rasenden noch trennten. Der Riese erkannte nun den Cäsar an dem prachtvollen Helm, dessen roter Busch, mit Goldfäden durchflochten, im Abendlichte leuchtete: »Donar schlägt dich!« schrie Chnodomar und schmetterte einen furchtbaren Hieb auf Julian, den dieser, rasch sich wendend, gerade noch mit dem Schild auffing.

Da ... da sprang das Schwert Chnodomars klirrend entzwei!

Er hielt den Griff mit einer Handbreit von Klinge in der Faust. Unbeschreiblich war das Gefühl, war die Bestürzung, die Betäubung des armen Getäuschten. Er wollte es nicht glauben. Er starrte auf das zerbrochne Schwert; er hielt sich's dicht vor die Augen: »Ah — es ist — es ist unmöglich!« stöhnte er.

Im selben Augenblick traf ihn — aus weiter Ferne — eine römische Wurflanze gerade vor die Stirn. Die Spitze zwar bog sich krumm an der ehernen Sturmhaube, die er unter der Mähnenschnur des Auerstieres trug, aber der Stoß auf das Gehirn war so mächtig, daß er den Zügel fallen ließ — nicht aber den nutzlosen Schwertstumpf — und rückwärtstaumelte. Da faßten König Vestralp von rechts, König Suomar von links seine Zügel, rissen den Hengst herum und flüchteten den Wankenden aus dem Getümmel.

Dieser Anblick entschied vollends das Geschick des letzten Reiterangriffs und des jetzt erst eintreffenden Fußvolks der Alemannen.


Dreiundzwanzigstes Kapitel

Übermenschliches hatten sie länger als fünf Stunden geleistet. Aber nun war es zu Ende. Atemlos, mit erschöpfter Kraft, keuchend, lechzend vor Staub und Durst, waren sie, nach allzulangem Sturmlaufen und Sturmschreien, endlich vor dem festgegliederten Viereck der Bataver angelangt.

Gegen diese Kernschar führten sie nun ihren verzweifelten Stoß. Grimmig nahmen sie den ungleichen Kampf auch gegen diese ganz frischen Truppen auf; der Rückhalt unverbrauchter Kräfte, die Merowechs einfache List aufgespart, betrug noch nicht zweitausend Speere. Und doch stürmten auch diese Keilhaufen heran, »als wollten sie« — so schreibt, nach Angabe von Augenzeugen, Ammian — »in einem Anfall von Raserei alles Widerstehende vernichten.« Die Römer kannten ihn, diesen »furor teutonicus«. Es war der kampfeswütige Wodan, der Gott ihres eigenen Heldenzorns, den die Germanen in solchen Augenblicken in sich spürten. Hinter den Rossen der Könige und ihrer Gefolgen drängten sich jetzt die Haufen des Fußvolks heran; furchtbar war der Zusammenstoß mit den dichtgeschlossenen Gliedern der Bataver. In brausendem Anlauf, wie in einem Ausfall, dem Fußvolk voran, hatte sich die kleine Reiterschar der Könige mit ihren Gefolgen in todesmutigem, opferreichem Vorstoß in den ersten Rechen von Speeren der Feinde geworfen. Und wirklich hatten sie ihn durchbrochen und auch das zweite Glied noch! Jubelnd folgten die Gemeinfreien den todesstolzen Führern. An solchen Taten erkannte das Volk mit Begeisterung das Mark seiner Könige, das den Göttern entstammte. Sieg jauchzend stürmten sie weiter auf der breiten Straße vor.

Aber ach, weit — allzuweit — hatten sie noch mal zu rennen. Mit klugem, kühlem Bedacht hatte Julian die Hauptmacht der Bataver weit — sechs Minuten Weges weit — hinter ihrer ersten Aufstellung zurückgehalten, ihr wildes Vorwärtsdrängen zügelnd. »Bleibt und erwartet sie hier, stehenden Fußes. Werfen sie wirklich eure Vorschar, sollen sie sich elend außer Atem laufen, bis sie an euch gelangen. Und seht da, schon rückt — von dem Gepäck her — unsere letzte Verstärkung heran: die Legion der Primani. Sie führt die schweren Wurfgeschütze mit; über eure Köpfe hinweg sollen ihre Balken auf die Feinde schmettern. Laß sehen, ob der müde Keil auch noch diesen ehernen Turm über den Haufen rennt!«

Wirklich traf nun hinter den Batavern, noch unversehrt, die ganze »Legion der Primani« ein, illyrische und norditalische Veteranen, vertraut mit der Bedienung der mörderischen Wurfgeschütze, der »Ballisten« und »Wildesel« und »Skorpione«.

Hageldicht sausten aus den hinteren Gliedern im Bogenschuß die balkendicken Wurfgeschosse, dann neben den langen Speeren auch kurze Rohrpfeile mit eisernen Schnäbeln. Kein Geschoß ging da fehl in dem dichtgedrängten Haufen der Germanen, während im Handgemenge Klinge an Klinge schlug, die Panzer unter den Schwert- und Beilhieben klafften.

Und auch dies Handgemenge gedieh wieder den Germanen zu furchtbaren Verlusten.

Wohl schien es zunächst ein Kampf ebenbürtiger Gegner. Aber waren die Alemannen größer und kräftiger als die »Primani«, so waren diese besser geschult und geübt; waren jene heißgrimmig und ungestüm, so blieben diese kühl und vorsichtig; trotzten jene auf ihre Körperkraft, waren diese an geübtem Verstand überlegen. Gar mancher Alemanne, sank er endlich vor Ermüdung zusammen, schlug noch im Knien auf den Feind los. Aber kaltblütig, wie im Zirkusspiel der wohlgeübte Gladiator dem Gegner sich gewandt entwindet, deckten sich die Legionäre mit dem Schild und durchbohrten blitzschnell den zornhitzigen Germanen mit dem für solchen Nahkampf unvergleichlichen dolchartigen Römerschwert.

Wie schon oft und oft der germanische Angriffskeil das erste und auch das zweite römische Treffen noch unwiderstehlich getroffen hatte, dann aber, nach blutigen Einbußen, atemlos und geschwächt an dem weit zurückgehaltenen dritten Treffen der Römer anprallte, dies nicht werfen konnte, sondern hier zum Stehen kam, und, damit seine wirksamste Gewalt verlierend, bald auch im Rücken und in den Flanken von den wieder gesammelten Vordertreffen gefaßt, völlig unfähig, zu schwenken, umzingelt ward, und, ohne die Möglichkeit eines geordneten Rückzugs, ohne Aufnahme durch einen Rückhalt, nur noch auf dem Fleck sterben oder in ordnungsloser Flucht irgendwohin in Verzweiflung ausbrechen konnte. So erging es nun auch diesem letzten Keilstoß.

Der wütige Ansturm war gestockt, damit das Gefährlichste von den Römern bestanden. Mit wachsender Siegeszuversicht streckten sie nun jeden vordersten Angreifer nieder; zwar stiegen über die Leichen der Erschlagenen, über die dichte Schicht der Verwundeten hinweg, unerschrocken die nächsten Reihen des Keils; aber längst waren die Vordersten, Kühnsten, Besten gefallen, die Könige verwundet, die edlen Gefolgsherren lagen in dichten Reihen ihrer Gefolgen. Schmerz, Verzweiflung ergriff die Gemeinfreien um die haufenweise hier tot, röchelnd, sterbend liegenden Führer. Das Übersteigen über so viele Helden lähmte sie mit Entsetzen. Sie sahen Merowech, Chnodomar, Ur, Ursicin, Hortari tot oder verwundet stürzen.

Und nun ... nun vollends schmetterte in ihrem Rücken der wohlbekannte Ton der römischen Tuba!

Jovian hatte im Auftrag des Cäsars die ganze Nachhut des linken römischen Flügels von der Verfolgung der hier langsam weichenden Alemannen abgerufen und führte sie in geschlossenen Reihen von Norden und Westen her dem verzweifelt ringenden Keil in Flanke und Rücken.

Da war alles aus!

Da kam der Augenblick des rettungslosen Untergangs auch für diesen germanischen Keil. Erschöpft bis aufs äußerste, jeder Hoffnung bar, jeder Führerschaft entratend, stoben sie in blinder, besinnungsloser, zielloser Flucht davon, nach hinten, nach dem Rheine zu — und so in das sichere Verderben!

Die Legion der Primani, dieser »eherne Turm«, bisher unbeweglich, setzte sich nun in furchtbare Bewegung, öffnete die Vorderglieder, ließ die Hinterreihen durch, zog sie auch auf beiden Flanken vor, faßte so die Weichenden in breitester Front und überflügelte sie von beiden Seiten. Vom Rücken her fielen Jovianus und Severus die Durcheinanderwogenden an.

Endlich hatte sich auch die römische Reiterei von ihrer Bestürzung erholt und hieb, von Julian herbeigerufen, zu beiden Seiten der Straße nach.

Wie schwimmende Matrosen eines gescheiterten Schiffes, der Wut der verfolgenden See zu entkommen, flohen die Alemannen nach jeder freien Richtung auseinander. Aber bald sperrten die hoch aufgetürmten Schichten ihrer eigenen Erschlagenen den Fliehenden den Weg. Ohne Widerstand töteten die Verfolger vom Rücken her die vor Schreck Betäubten. War das Schwert krumm gebogen, stießen sie die Barbaren mit ihren eigenen, massenhaft umherliegenden Speeren nieder. Keinem um Gnade Flehenden ward das Leben geschenkt; die Sieger waren von Mordlust, von Rachgier wie berauscht. Die Balken der Wurfgeschütze rissen vielen Flüchtlingen von hinten her die Köpfe ab, daß sie nur noch an der Kehlhaut mit dem Rumpfe zusammenhingen. Hunderte waren auf dem vom Blut der Waffenbrüder schlüpfrigen Boden ausgeglitten und, unverwundet, von den Haufen der über sie Hinstürzenden erstickt. Immer eifriger, jauchzend vor Mordgier, setzten die Römer nach, auf schimmernde Helme und Schilde mit Füßen stampfend und niederstreckend, was sie erreichten, bis die Schneiden erstumpften unter den zahllosen Hieben.

Der Cäsar führte selbst die Verfolgung an der Spitze seiner Reiter bis an den Rhein. In diesem suchten die zu Tode Gehetzten letzte Rettung und Zuflucht. Zu vielen Tausenden warfen sie sich hinein; manche gelangten, indem sie sich auf ihre Schilde legten, in schräger Richtung schwimmend, ans rechte Ufer. Aber viel, viel mehr, verwundet, todesmüde, überhitzt, kämpften umsonst gegen die Gewalt des Stroms und wurden von den Fluten verschlungen; andere klammerten sich an rüstigere Schwimmer und zogen sie mit hinunter in den feuchten Tod.

Die berittenen numidischen Bogenschützen der Römer aber sprengten eine starke Strecke stromabwärts, stellten sich dann in langer, langer Reihe dicht am Fluß, die Vorderfüße der Gäule im Wasser, auf, und, selbst so sicher wie bei einer Theatervorstellung nach aufgezogenem Vorhang die Zuschauer, schossen sie, wie auf schwimmende Scheiben, auf jeden der wehrlosen Schwimmer, die an ihnen vorbeiglitten, und durchbohrten ihnen den Rücken mit den kaltblütig und ruhig gezielten Pfeilen. Schäumend, gerötet von Blut, staunte der Strom über den ungewohnten Zuwachs.

Eine Weile sah Julian dies Scheibenschießen mit an; dann rief er die Reiter ab: »Es ist genug«, sprach er, »für Rache, Ruhm und Rom! Zurück aufs Schlachtfeld! Laßt uns — in frommer Scheu — die Toten begraben; die Feinde wie die Freunde. Nicht sie den Raubvögeln des Himmels überlassen! Das ist ein Greuel vor den ... vor den guten Gewalten!«

Vorübergebraust, der Straße entlang von Nordwesten her, waren die Ausgänge des Kampfes.

Fliehende und Verfolger hatten sich schon weit gegen Südosten zu hinweggewälzt, entfernt von der Stätte des blutigsten Ringens, da, wo der letzte Angriff Merowechs und des Fußvolks Chnodomars die batavischen Söldner und die Primani getroffen hatte. Haufenweise lagen hier die Erschlagenen, die Schwerverwundeten umher.

Der junge Friedibert lehnte sterbend das blonde Haupt auf den Bug seines toten Gauls. Er hielt die linke Hand auf die Wunde gepreßt, aber das Blut quoll doch unablässig zwischen den zuckenden Fingern durch. Es quälte ihn brennender Durst. Er stöhnte vor sich hin: »Oh, nur noch einen Trunk! — Ach aus dem Felsquell, dort, daheim im Moselwald! — Oder einen Schluck Wein! Ich verschmachte.«

Da antwortete ihm eine matte Stimme. Gerade ihm gegenüber, mit dem Kopf gen Norden, lag über zwei tote Römer hingestreckt Renatus: »Wenn du trinken willst«, sprach der Christ — »da ... in meiner Lederflasche ist ein Rest Wein. Ich brächte ihn dir ... aber ich ... ich kann mich nicht erheben, ich bin zu schwach.« Friedibert richtete sich ein wenig auf. Er erkannte seinen Gegner. »Du ...? Du bist es? Dein Speer traf scharf! Willst du mir wirklich ...?« — »Komm nur her. Da, unter meinem Rücken hängt die Flasche.« Mit letzter Kraft schob sich Friedibert an ihn heran, holte die runde Flasche hinter dem Rücken des Wunden, der sich etwas in die Höhe hob, hervor, öffnete und setzte an. »Nein«, sprach er wieder absetzend. »Erst du... nur den Rest für mich.« Und er beugte sich über Renatus, legte ihm den linken Arm unter das Haupt, das der nicht erheben konnte, und flößte ihm den Wein in den Mund ein, bis dieser den Kopf todmüde sinken ließ. Dann trank er selbst das übrige, gierig jeden Tropfen schlürfend. »Danke dir, Römer! Das war köstlich! Möge es dir Wodan in Walhall vergelten; ich fahre zu ihm! Siehst du? Dort von der sinkenden Sonne her schwebt es heran wie weißes Nebelgewölk. Das ist ... die Walküre! Oder ist es Gerlind? Ich ... folge ihr.«

Und er reckte sich lang; sein Antlitz sank auf des Römers Brust. Ein Blutstrom brach aus dem Mund, er war tot; wie ein Freund umfaßte er dessen Brust mit beiden Armen. Der atmete schwer. Aber noch im Todesröcheln sprach er betend vor sich hin: »Christus lebt. Christus siegt. Liebet eure Feinde, tuet wohl denen, die ... Mein Erlöser, nimm meine Seele, in deine Hände empfehl ... und ach, meinen armen Vater!« Und er starb. Brust an Brust lagen die beiden, im Tode versöhnt.

 Aber nicht überall ging es so friedlich zu Ende auf dem Schlachtfeld. Die römischen Troßknechte, großenteils Sklaven, hatten, sobald sie von weitem die Flucht der Feinde wahrgenommen, in hellen Haufen die im Rücken der Primani aufgefahrenen Gepäckwagen verlassen und sich über das Kampfgebiet verstreut, die Toten, Freund und Feind, plündernd, ausraubend, auch wohl gelegentlich einem Verwundeten, der sich nicht berauben lassen wollte, mit raschem Messerstoß den Garaus machend. Sogar bis in die Nähe des Cäsars hin hatte sich solch Raub- und Mordgesindel gewagt; wiederholt hatten seine Leibwächter die Scheusale aufgescheucht bei ihrer Arbeit. Jetzt ritt Julian, nachdem er die letzten fliehenden Feinde in dem Rhein oder in der weiten dunstigen Ferne hatte verschwinden sehen, langsam über das Schlachtfeld zurück. Er hatte befohlen, Zelte aufzuschlagen, um hier zu übernachten.

Wie er sich der Stelle näherte, wo auch Friedibert und Renatus lagen, sah er von weitem, wie zwei verdächtige Gestalten sich an den hier massenhaft gehäuften Gefallenen zu schaffen machten. Er glaubte zu sehen, aus der Mitte der am Boden Liegenden fuhr — wie zur Abwehr — ein weißer Arm empor. Mit lautem Zornruf sprengte der Cäsar, gefolgt von Jovian, auf die Gruppe zu; die Plünderer flohen.

Julian, nun zur Stelle, hielt den Zügel an. Vor ihm lag, den Kopf auf dem Bug des toten Rosses, ein junger, schöner Germane, das lange blonde Haar vom getrockneten Blut zusammengeklebt. Der Jüngling riß die Augen weit auf; er sah gerade nach Westen in die soeben versinkende Sonne, die ihre letzten Strahlen noch schräg aufwärts warf. Teilnehmend beugte sich der Cäsar über die vornehme Gestalt, die hier zuckte. Aber wie groß war sein Erstaunen, als der Germane, der an ihm vorbei immer in die Sonne blickte — offenbar im Wundfieber —, in griechischer Sprache die Worte sprach: »O Helios, unbesiegter Sonnengott! So nimm mich denn mit dir hinab!«

»Was ist das?« rief Julian, sprang vom Pferd und richtete das schwer atmende Haupt sanft empor. »Ein Grieche? Helios — meinen Helios! — ruft er an? Auf, Freund! Helios hat dich gehört! Sein treuester Priester kniet bei dir! Du sollst nicht sterben!«


Vierundzwanzigstes Kapitel

An Lysias, seinen teuren Lehrer, Flavius Claudius Julianus (den die Seinen »Alemannicus« nennen, was doch nur dem Imperator zukommt.

Sieg! Sieg! Io triumpere, mein Lysias! Hier schicke ich dir — neben diesem Brief, gesondert — die genaue Schilderung meines großen Sieges über die Alemannen, den mir — nahe Straßburg — die gnädigen Götter geschenkt haben. Es ist ein Teil meiner Kommentarien; denn ich habe beschlossen, dem göttlichen Julius auch darin nachzueifern, daß ich meine »gallischen Feldzüge« selbst beschreibe. Der Lorbeer des Feldherrn genügt mir bei weitem nicht! Viel, unendlich mehr, reizt mich der des Schriftstellers! Ja, ich bilde mir viel mehr ein auf diese Schilderung meines Sieges als auf den Sieg selbst. Noch in späten Jahrhunderten sollen die Feldherren und die Gelehrten sich um mich streiten, sollen jene mich als Helden, diese als Schriftsteller höher stellen, und die staunende Menschheit soll sagen: »Mancher war groß mit dem Schwert, mancher groß mit dem Griffel; so groß wie Julianus mit beiden war keiner.«

Du merkst dieser Sprache lebhafteste Bewegung an. Ja, es ist wahr! Dieser wunderbare Erfolg, den mir handgreiflich die Götter wie verkündet, so verwirklicht haben, erhebt mein ganzes Wesen in nie gekannte Höhen stolzester Zuversicht. Ja, ohne Zweifel weiß ich fortan: Ich bin der erlesene Liebling der Götter, zu Großem ausersehen. Hab ich das doch schon erreicht mit sechsundzwanzig Jahren! Größeres noch würde ich planen und erreichen; nicht nur der Rhein, auch der Tigris harrt seines Befreiers, und — die Götterwelt ihres Erneuerers auf Erden! Aber für immer schließt mich von solch kühnem Aufflug zur höchsten Sonnenhöhe des Ruhmes aus: Constantius und mein Eid der Treue, der furchtbare, den ich niemals brechen werde.

Und falls er vor mir sterben sollte — er kränkelt viel, schreibt Philippus —, ist mein Nachfolger schon im geheimen ernannt: Senat, Papst, Episkopat, alle Feldherren aller Heere außerhalb Galliens, die Präsidenten der Provinzen außer Gallien sind bereits im geheimen gewonnen für den neuen Imperator. Philippus konnte den Namen nicht erforschen (man flüstert, es sei ein Verwandter des Eusebius).

Also auf den Thron und alles, was sich von ihm aus bis an die Sterne emporbauen läßt, muß ich ja verzichten; Helios weiß, ich habe nie danach getrachtet! Aber was ein bloßer Cäsar erreichen kann, das will und werde ich erreichen, dem Staate zum Heil, und ganz ebenso — (es liegt mir wahrlich nicht minder am Herzen; das vertraue ich aber nur dir) — mir zum unauslöschlichen Nachruhm!

In dem stolzen Gefühl, ja in dem Rausche des errungenen Sieges — des größten, der seit vielen Jahrzehnten über Germanen erfochten worden ist —, ließen sich manche meiner Scharen zu einer Unbedachtheit hinreißen, die mir das Leben kosten konnte, erstickte ich sie nicht rasch im Keime schon.

Als die Verfolgung eingestellt war und ich vom Rheine her auf das Schlachtfeld zurückritt, wo ich das Heer den Abendschmaus nehmen und übernachten hieß — (nachdem ich vorsichtig, Frontins Mahnung eingedenk: die Stunden gleich nach dem Siege seien die gefährlichsten, weithin Ketten von Wachtposten gezogen hatte) —, stieß ich auf die wackeren Primani. Diese (nicht barbarischen Söldner), römische Kernscharen, in deren Mitte ich den letzten verzweifelten Anfall des »furor teutonicus« ausgehalten hatte, begrüßten mich mit dem unheilvollen Zuruf »Macte Imperator! Macte Auguste.« Ich erschrak bis ins Mark; viel mehr erschrak ich, als da der rote Riese mich mit seinem furchtbaren Schwertstreich schier vom Gaule schmetterte. Erfährt Constantius durch ein Lüftchen nur einen Hauch von diesen vielen tausend Rufen, so bin ich verloren und Helena und unser Glück und all mein junger Ruhm und seine Zukunftshoffnung.

In ungeheucheltem Entsetzen — (das wirkt doch immer mehr als die beste rhetorische Mache) — winkte ich mit beiden Händen hastig den lieben Toren ab und laut rufend — (ja schreiend, auf daß es alle Späher des Constantius hören mußten) — wies ich den Unfug zurück und beteuerte, ich verabscheue solches. Ja, ich schwor, daß ich dergleichen niemals wünschen, hoffen, dulden werde. Ich schwor es — leider — bei »Christus dem Herrn!« — Vergib mir, Helios, unbesiegter Gott! Nun rufen sie mir, wenn ich an ihnen vorüberreite, mit halb verhaltner Stimme zu: »Alemannice!«. Auch das dürfte der Augustus nicht hören. Nur ihm sind solche Siegernamen vorbehalten. Daher heißt er »Gothicus, Sarmaticus, Parthicus, Persicus, obwohl ... nun, Helios, der All-Sehende wird wissen, warum. Ich weiß es nicht.

Einen hochwertvollen Gefangenen haben wir! Jovian hat ihn soeben eingebracht: Chnodomar, den Oberfeldherrn der gegen uns Verbündeten. Der Gewaltige auf seinem roten Hengst war bei seinem letzten Reiterangriff bis zu mir durchgedrungen. Ich fiel fast vom Roß unter der Wucht des auf meinen Schild geführten Streiches; aber Pallas, die Beschildnerin, hat mich gerettet; an ihrer Meduse auf dem Buckel meines Schildes brach des Riesen Schwert. Gleichzeitig ward er, scheint's, verwundet. Seine Gefährten retteten ihn aus dem Getümmel. Sie flüchteten, wie die meisten, dem Rheine zu, sie suchten nach Kähnen. Auf dem Schild den Strom durchschwimmen konnte der Betäubte nicht. Während sie am Ufer hinritten, umsonst nach Schiffen suchend, den sumpfigen Altwassern ausweichend, stürzte sein Pferd auf schlüpfrigem Moorgrund und begrub den wuchtigen Körper im Fall. Er raffte sich auf und eilte nun, an dem Übergang über den Fluß verzweifelnd, die sumpfige Niederung meidend, auf einen nahen, bewaldeten Hügel zu, hier Verborgenheit zu suchen. Allein, im letzten Abendschimmer erkannte die hohe, seine Gefährten überragende Gestalt, in der Verfolgung anderer Haufen, der kluge Jovian. Sofort setzte er dem fliehenden König nach, umstellte das Gehölz mit einer ganzen Kohorte und machte sich auf einen harten Strauß gefaßt. Denn er wußte, die Gefolgen würden Leben und Freiheit ihres königlichen Herrn bis aufs äußerste verteidigen. Aber es kam anders. Nach kurzer Frist, als sich die Unsern anschickten, in das dunkle Waldesinnere zu dringen, trat der König zu Fuß daraus hervor, langsamen Schrittes, das trotzige Haupt auf die Brust gesenkt, ganz ohne Waffen; nur sein Schwert, eine Handbreit hinter dem Griff abgebrochen, hielt er krampfhaft in der Rechten.

So schritt er auf Jovianus zu: »Genug!« brachte er mühsam hervor. »Es ist aus! Alles aus! Es gibt keine Götter, es gibt auch keinen Donar. Es ist alles gleich. Führe mich zu dem Cäsar.«

Während Jovian noch staunte über diese Sinneswandlung bei dem fürchterlichen Schlacht-Riesen, traten auch die Gefolgen aus dem Waldversteck hervor. Ihr Herr habe ihnen verboten, zu fechten, sie wollten sein Schicksal teilen. Sie legten die Waffen nieder und ließen sich willig binden. Seltsame Leute, diese Germanen, nicht? »Sie nennen's Treue«, sagt Tacitus in ähnlichem Fall von ihnen.

Wie groß war mein Erstaunen, als in mein Feldherrnzelt, wo mich meine Befehlshaber glückwünschend umringten, Jovian beim Fackelschein seinen gewaltigen Gefangenen führte! Ich sprach ihn freundlich an, versicherte ihn seines Lebens, wenn ich ihn auch dem Imperator zusenden müsse nach Rom. Bleich, ohne eine Miene zu verziehen, ohne ein Wort hörte er mich an. Endlich betrachtete er noch einmal mit starrem Blick den Schwertstumpf in seiner Faust und warf ihn dann auf den Teppich zu meinen Füßen: »Es ist aus. Alles ist gleich. Es gibt keine Götter, auch Donar ist nicht. — Laßt mich schlafen ... schlafen!« Und mit einer müden Handbewegung griff er an die Stirn, wo ich nun eine mächtige, blutunterlaufene Beule wahrnahm. Er schloß die Augen, als wolle er im Stehen einschlafen.

Ich entließ ihn; ich höre, er schläft fast ununterbrochen; wacht er auf, so stöhnt er: »Es ist alles gleich auf Erden; es gibt keine Götter«, wendet sich auf die andere Seite und — schläft weiter; »morbus veternus«, »Schlafsucht«, nannte es achselzuckend Oribasius, den ich zu ihm sandte, ein träumerisches Brüten. In einigen Tagen schick ich ihn, zusammen mit den wertvollsten Stücken aus der Beute, an den Imperator. Sonst haben wir nicht viele Gefangene gemacht. Von den übrigen Königen ist einer gefallen, die fünf andern sind, schwer verwundet, entkommen; keiner wich vom Schlachtfeld, sagen die Gefangenen, solang er den Arm heben konnte; die Unsrigen schwelgten im Schlachten, daß mir graute. Sechstausend tote Feinde haben wir auf dem Schlachtfelde gezählt und fromm bestattet: Unzählbar sind die Haufen, die der Fluß verschlang. Unser Verlust ist erstaunlich gering: in dem fünfstündigen Kampfe nur zweihundertsechsundvierzig Tote — dank unsern undurchdringbaren Schutzwaffen — und etwa neunhundert Verwundete.


Fünfundzwanzigstes Kapitel

Ich kam einige Tage, ja Wochen nicht zum Schreiben, das heißt an dich, denn an die geliebte Frau (ach, daß ich auch jetzt nicht in ihre Arme fliegen darf!), an den Imperator, an Ammian hatte ich zu schreiben vollauf. Aber nun habe ich dir etwas höchst Wunderbares zu berichten!

Denke nur: Auf dem Schlachtfeld habe ich gefunden und gewonnen ein staunenswertes Kleinod: einen Freund! Nicht einen Römer — einen Barbaren! Aber was sage ich? Einen Barbaren, der an Begabung des Geistes nicht nur, der an philosophischer, an religionswissenschaftlicher Bildung die meisten Römer, ja sogar Griechen, übertrifft!

Ein philosophierender Germane! Vor kurzem lachte ich noch über die ungeheuerliche Vorstellung. Aber ich lache nicht mehr: Ich staune! Ja, es wird mir seltsam zu Sinn. Ich erfahre so vieles durch meinen lieben Gefangenen über seine Stammgenossen, ihre Wandlungen in den letzten Menschenaltern, über die Gründe ihrer Handlungsweise, über ihre Pläne für die Zukunft, daß ich gar manches von meinen Ansichten über sie, von meinen Würdigungen ihrer Art und ihrer Bedeutung für uns umgestalten muß. Ich habe sie doch — vielleicht! — unterschätzt, diese Barbaren!

Du frägst zweifelnd, wer dieser Wundermann sei? Wie er heiße? Ja, schon mit dem Namen beginnt das Wunder.

»Merowech« oder »Serapio« heißt er. Mit fünfzehn Jahren gab der Vater, ein Gaukönig der Bataver (entstammt von jenem Claudius Civilis), den Knaben als Geisel Constantin: Der gewann ihn lieb, ließ ihn mit römischen Senatorensöhnen erziehen in aller Philosophie und Mystik und aller Wissenschaft der Galiläer, der Griechen, der Ägypter. Der Jüngling, voll Eifer für diese Dinge, ward (lange vor mir) zu Nikomedia Hörer, vertrauter Schüler des großen Aedesius, des Maximus. Eingeweiht in die heiligen Mysterien am Nil, die ihn lange fesselten, nahm er, zwanzig Jahre alt — Serapis zu Ehren —, den Namen »Serapion« an.

Allein dieser merkwürdige Geist (mir ist dergleichen noch nicht vorgekommen, das muß echt germanisch sein!) fühlte sich zuletzt wie nicht durch die Lehre des Galiläers und die kindlichen (vergib!) alten Götter, so auch nicht durch alle Philosophen Griechenlands und nicht durch die Mystik befriedigt: Auch die ägyptischen Geheimlehren warf er zur Seite. Und die letzten Jahre hat er unter unsern Fahnen gefochten, bald gegen Perser und Parther am Tigris, bald gegen Sarmaten und Jazygen am Ister: nur gegen seine Stammgenossen — die Franken — nicht fechten zu müssen, hatte er sich ausbedungen.

So lernte er auch römische Kriegführung und Feldherrnschaft: zu unserem schweren Schaden! Denn heimgekehrt zu dem alten Vater riß er seinen Gau (den einzigen von den batavischen) zum Kampfe gegen uns fort und ward neben, ja vor dem kraftvollen, aber plumpen Chnodomar die Seele, der leitende Geist der Kriegführung gegen mich. Schon bei Köln, dann bei Sens, machte er mir gewaltig zu schaffen. Und hätten neulich bei Straßburg die Germanen gesiegt (zweimal sah es ganz danach aus), so wäre das ausschließend sein Verdienst gewesen.

Nach der Schlacht konnte ich dem Verwundeten das Leben retten: Mörder wollten ihn töten und berauben. Daß er in der Sprache Homers fiebernde Worte an »Helios« richtete, das hat ihn gerettet. Er ist nun mein Heliodor, mir von Helios geschenkt.

Oribasius gelang es, ihn herzustellen. Aber ich selbst pflegte ihn mit liebender Hand — der schöne, kluge Jüngling (er ist aber sieben Jahre älter — und um noch viel mehr Jahre weiser denn ich) zog mich lebhaft an. Und so geschah's, daß in den vielen, vielen Stunden, die ich diese Monate an seinem Lager verbrachte, der Cäsar und der germanische Königssohn eine Freundschaft schlossen — so innig, so schön, so edel durchgeistet, wie sie den Cäsar noch mit Griechen und Römern nie verband.

Du bist ja mein Lehrer und so viel älter: So scheidest du, wie ein höheres Wesen, aus der Reihe der Vergleichbaren. Jovian, der Wackere, Gutherzige, erträgt meine neue Freundschaft ohne Eifersucht: Er fühlt, er begreift. Mich verbindet mit diesem germanischen Zweifler der Hang zu Forschung (zu »Grübeleien«, wie Jovian schilt), die er weder teilt noch beneidet. »Was _ich^ dir bin«, meinte er neulich treuherzig, mir die Hand reichend, »kann dir kein andrer sein. Und was dir Serapion ist — nicht Jovian.« So vertragen wir uns alle drei ganz prächtig.

Serapion empfindet — nur allzu überschwänglich! — mir gegenüber die Schuld des geretteten Lebens. Oft kommt er darauf zurück! Er verlangt immer und immer wieder, mir zu danken. Neulich nun nahm ich ihn beim Wort. Ich müßte ihn ... (streng genommen: denn er ist, wenn nicht mein vornehmster, mein wichtigster Gefangener), ich müßte ihn wie jenen Chnodomar dem Imperator einsenden. Selbstverständlich tu ich es nicht. Denn entdeckt man dort am Hofe dieses Mannes hervorragende Bedeutung, so hilft ihm meine Fürsprache recht wenig: Sie schadet ihm nur — er verschwindet!

Andrerseits kann ich ihn nicht frei zu den Seinen entlassen, wie er wohl wünschte. Denn er selbst räumt ein, dann werde er wieder fortgerissen werden zu dem Kampf gegen uns, den er für notwendig hält, nicht für Übermut seiner Stammgenossen. Wir sannen lange hin und her, wir stritten, wir suchten gemeinsam nach einem Ausweg. Denn diesen Mann von seinem Volke losreißen für immer, ihn ganz zum römischen Waffendienst verpflichten wie viele tausend andrer Germanen — das ist unmöglich: Ich seh es ein.

Endlich kam er eines Tages — an dem ersten, da er das Lager verlassen konnte — zu mir und sprach: »Laß uns einen Vertrag schließen. Und dieser Jovian hier« — er brachte ihn mit — »soll dein Bürge sein: Du oder dein Imperator, ihr könntet mich ja töten. Ich bin als kriegsgefangen euer Sklave. Ich schulde dir also etwas für das geschenkte Leben. Wohlan: Ich verspreche, solang du Gallien verteidigst, o Julian, nicht gegen euch zu kämpfen. Ja ich will dir überallhin folgen, dir dienen mit Rat und Schwert — aber nicht gegen Germanen.«

»Oho!« sagte ich lächelnd, »du gehst noch weiter als Berung.« — »Versteh mich recht. Es mag die Zeit kommen, da wir Franken wieder mit Alemannen oder Sachsen ringen müssen.« — »Um was?« — »Um Gallien.« — »Nicht übel! Um _mein^ Gallien.« — »Ebendeshalb. — Vor allem muß es _euch^ abgenommen sein; dann mag das Schwert über eure Erbschaft entscheiden! Aber das hat, furcht ich, noch gute Wege. Und — ich schmeichle keinem, auch dir nicht, eitler, lobdurstiger Freund —, aber solange du Gallien verteidigst — ich hab es gelernt! —, ist für die Meinen keine Hoffnung. Ruft jedoch dich — gegen den ich nicht fechten kann, darf, will, der Imperator ab ...« — »Oder der Tod«, fiel ich ein ... — »Dann will ich, muß ich meinem Volke wieder Führer sein auf seinem notwendigen Wege: dem nach Gallien. Schließ ab, o Freund Julian, unter dieser Bedingung. Denn wisse wohl: Unter keiner andern kannst du mich halten. Du hast erklärt, du kannst es nicht verantworten, mich freizugeben: Wohlan, ich gab dir mein Wort, nicht zu entfliehen zu den Meinigen. Aber wenn ich nicht weiß, ich darf dereinst wieder für mein Volk kämpfen, dann kann ich — du weißt, Julian, ich brauche nie leere Worte! — aber dann werd ich das Leben — als dein Gefangener! —, nicht ertragen. Nicht nur die Franken sind frei: auch die Toten.«

Und so furchtbar ernst meinte er es (ich sah's den abgrundtiefen hellgrauen Augen an; sonderbare Augen haben sie zuweilen, diese Germanen!) — und so krampfhaft zuckte seine Hand nach dem Griff des Dolches, daß ich im tiefsten Herzen erschrak und, eifrig einschlagend, den Vertrag schloß, wie er ihn verlangte. Jovian war Zeuge und Bürge. »Überschwenglichkeiten«, brummte er. »Ich hätt's nicht getan als Cäsar. Nicht aus Eifersucht red ich so. Aus Vorsicht. Denn das ist der gefährlichste Barbar, den ich je gesehen.« — »Das geb ich zu. Aber was tun? Ihn dem Augustus ausliefern, das verbietet die Freundschaft. Ihn freigeben, das verbietet die Pflicht gegen das Reich. Und auch die Selbstsucht redet mit: Ich kann die teuere Gewohnheit dieses Umgangs nicht aufgeben, dieses von mir und von allen Hellenen und Römern so grundverschiedenen Geistes nicht mehr entraten. Dieser Salier, an Bildung und Wissen und Denkfertigkeit mir gleich, an Lebensreife und Lebenserfahrung mir weit überlegen, an Geist und Begabung mir ebenbürtig (vielleicht in Wahrheit sogar überlegen; aber das einzugestehen sträubt sich die liebe Selbstgefälligkeit doch noch lebhaft!), er zwingt mich durch seine ganz eigenartige Denkweise, durch seinen kühnen Zweifel, der vor den Philosophemen — auch vor denen des unvergleichlichen Plotinus und Maximus! — so wenig die Waffe senkt wie vor Moses oder dem Galiläer oder deinen holden Fabelgöttern —, er nötigt mich, Sätze neu zu prüfen und gegen seinen Widerspruch zu verteidigen, zu beweisen, die mir als längst bewiesen galten, die er aber mit seiner grundstürzenden Bezweiflung erbarmungslos lächelnd über den Haufen wirft.

Nein, schon um diesen außerordentlichen Geist dem Dienste meines Gottes zu gewinnen, darf ich ihn nicht aus meiner Nähe lassen. Jovian freilich meint kopfschüttelnd: »An dem verliert ihr beide, dein Gott und du, das Spiel. Ich verstehe dich bloß nicht. Habe auch kein Bedürfnis danach, ich möchte viel lieber etwas glauben können! Der aber versteht und — widerlegt dich.«

So seltsame Gespräche führen im Feldlager am barbarisch gewordnen Rhein, den ich erst wieder römisch mache, ein Cäsar, ein gefangener Barbar und ein römischer Kriegstribun.


Sechsundzwanzigstes Kapitel

Fürchte nicht, o Mann der Götter und der friedlichen Weisheit, ich werde dich ermüden durch gleich ausführliche Berichte über meine auf den großen Tag von Straßburg folgenden Kriegstaten. Den genauen für einen Kriegsmann berechneten Bericht erhält mein wackerer Ammian, für meine Unsterblichkeit zu sorgen: Du sollst nur das Wichtigste vernehmen.

Gleich nach dem Sieg entließ ich jene Gesandten, die so hochfertiger Botschaft Träger gewesen. Sie staunten nicht wenig über den eingetretenen Umschwung und schalten nicht leise über meine Verletzung des Völkerrechts! Allein sie kennen den Namen des Gottes nicht, den sie anrufen müßten, mich zu strafen: Mars des Rächers. Und gegen ihre germanischen Götter, deren schrecklich barbarisch klingende Namen sie im Munde führen, schützt mich mein Herr, der unbesiegte Helios. Jene Götter mögen ja leben, aber es sind höchstens Dämonen, dem Lichtgott zum Dienste geordnet.

Ich darf nicht (ach ich darf noch immer nicht!) zu Helena fliegen, mir den süßesten Dank (viel wertvoller als den Lorbeer!) zu holen in ihren Armen. Aber dies Eisen des Sieges, das so heiß ist, muß geschmiedet werden. Ich muß über den Rhein!

Noch auf dem blutigen Schlachtfeld faßte ich den Entschluß: Vielmehr ich hatte ihn — für den Fall des Siegs — schon vorher gefaßt. Wie der große Cäsar nach Vernichtung Ariovists und seiner Sueben den Glanz und den Schrecken der römischen Waffen über jenen Strom trug, so muß auch sein kleiner (obwohl ich mir einbilde, mein Germanensieg ist nicht geringwertiger als der seine) Namensvetter tun. Freilich, ein bittrer Schmerz drängt sich auf bei dem Vergleich: Er trug die Adler in ein von uns nie betretenes Land. Ich mache einen Besuch in einem Gebiet, das fast drei Jahrhunderte hindurch von uns beherrscht war!

Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf (so verwegen sie scheint!), die Herrschaft Roms wieder auszudehnen bis an den alten Limes, den wir erst vor hundert Jahren eingebüßt. Serapio freilich lächelt seltsam bei solchen Reden. Er versprach mir, seinen Zweifel, seinen Widerspruch auch gegen diesen Plan meiner Träume, wie er sagt, eingehend zu begründen. Ich bin gespannt. Aber gespannt bin ich auch, wie es wohl jenseits des gewaltigen Stromes aussehen mag, der breit wie ein See hinflutet. Wer mir in jenem Kloster gesagt hätte, ich würde je den Rhein im Rücken haben!

Ich stehe auf dem rechten Ufer des Rheins.

Ich besetzte gleich nach dem Siege Straßburg aufs neue, zog von da auf Mainz und überschritt hier den Strom auf Schiffsbrücken. Es ist vielleicht schmeichelhaft für den Cäsar (und deshalb wohl schreibt er es hier!), aber wenig rühmlich und wenig Zukunftvertrauen erweckend für das Heer und das Reich der Römer, daß ich nicht den Obergang einfach befehlen konnte. Vielmehr meldeten meine Unterführer, der Widerwille meines Heeres gegen den Rheinübergang sei so stark, die Abneigung, die Germanen (trotz des eben erfochtenen Sieges!) drüben in ihren Wäldern aufzusuchen, so heftig, daß ich offne Meuterei zu befürchten habe, beschränke ich mich auf den bloßen Befehl.

Und wohlverstanden: Das sind Römer! Denn die batavischen Hilfsscharen verlangten gleich nach der Schlacht, entlassen zu werden. Drei ihrer vier Könige sind gefallen, der vierte, schwer verwundet, führt die Leute heim, die seltsamerweise an dem Siege keine rechte Freude haben. Sie umringten den gefangenen Serapio, wo sie ihn fanden im Lager, und sagten ihm in meiner Gegenwart, sie hätten viel lieber unter ihm als unter ihren Königen gegen ihn gefochten! Jene Könige hätten sie überredet, fortgerissen: In ihrem Fall erblickten sie die Entscheidung der Götter. Wahrlich, ich fürchte, ließe ich Serapio frei, die verwaisten Gaue der Bataver wählten ihn sofort zu ihrem König. Drum soll er hübsch bei mir bleiben. Es ist mir lieber, er schlägt und löst auf meine Beweise und Schlüsse als meine Cornuti und Braccati.

Also auf dem rechten Rheinufer! Ein stolzes Gefühl. (Ach wie traurig, daß ein Cäsar darauf stolz sein darf!) Aber nur durch Bitten und Schmeichelreden brachte ich die Truppen dahin, mir zu folgen.

Sie entblödeten sich nicht, mir in das Gesicht zu sagen (und sie meinten wohl gar dabei, das müsse mich freuen und ehren!), nur mir, meiner Person zuliebe, weil ich mich ihrer wie ein Bruder annehme, und aus Freude und Stolz auf den großen Sieg, täten sie nach meinem Wunsch. Und auf meine unwillige Entgegnung, meine Erinnerung an ihren Eid, erwiderten sie lachend: »Ach, Eid! Wir wissen gar nicht mehr, bei welchen Göttern wir geschworen haben, ob bei Jupiter und Mars und dem Genius des Imperators oder bei dem Gekreuzigten. Und um viel kleinerer Ursach willen als ein Rheinübergang und ein Zug in die Schrecken der germanischen Wälder hat schon gar manches Heer in der letzten Zeit seinen Feldherrn erschlagen, einen gefügigeren gewählt und ihn wohl auch zum Imperator ausgerufen — was du ja verschmähst.« Da verstummte ich und war froh, daß sie mir überhaupt über den Rhein folgten!

Die Gaue der Alemannen, in welche wir zunächst eindrangen, waren äußerst überrascht und erzürnt, daß ich sie feindlich behandle. Sie erklärten mir durch Gesandte, sie hätten sich jenen sieben Königen nicht angeschlossen gehabt. (Wie kann ich das wissen? Soll ich die Verfassungen dieser Barbaren erforschen?) Jetzt habe aber mein Angriff auch die bisher Friedlichen gegen uns entrüstet, und alle Nachbargaue seien zur Abwehr bereit.

Ich gestehe, das war bei meiner geringen Macht keine erfreuliche Aussicht. Ich hatte auch nicht viel Erfolg. Zwar drang ich etwa noch vier Stunden landeinwärts vor, ließ auch den Rhein entlang stromaufwärts und stromabwärts zur Nacht auf Booten Streifscharen landen, die alles verheerten und verbrannten. Doch gelang es nicht, die in ihre Wälder entweichenden Barbaren zu erreichen. Im Gegenteil! Beinahe hätten sie mich erwischt!

Ich erzähle dir das kleine Abenteuer, das ja gut ablief, weil dir der Hergang zeigen mag, wie so ganz ich die Herzen meiner Leute gewonnen habe: trotz ihrer Zuchtlosigkeit, ihres Ungehorsams. Totschlagen lassen sie sich willig für mich, nur gehorchen wollen sie mir nicht!

Ich ritt — es ging gegen die Dämmerung, die Vögel sangen ihr Abendlied — meiner Vorhut ziemlich weit voraus, von wenigen Leibwächtern begleitet, über die Wiese, hart am Saum des Waldes hin. Die nächsten Truppen hinter mir waren germanische Söldner (leider meine besten Leute!), aber auch ein paar Griechen und Römer darunter, eine besondere Schar erlesenen Fußvolks. Plötzlich sprang aus dem dichten Gebüsch, aus dem dunkeln Unterholz des Waldes, ein Rudel der Barbaren und drang mit wildem Ungestüm auf mich ein, aber schweigend, ohne ihr sonst so beliebtes Kampfgebrüll zu erheben, um nicht dadurch meine nächsten Truppen heranzurufen. Ich geriet in heiße Gefahr. Sie hatten mich erkannt oder doch an der reichen Rüstung einen der obersten Führer erraten, und suchten sich unabschüttelbar Bahn zu mir zu brechen durch die Reihen meiner Leibwächter. Schon waren mehrere von diesen gestürzt.

Da erkannten meine starke Bedrängnis vier junge Krieger von jener mir von weitem folgenden Schar: Centurionen und Rottenführer: ein Grieche, ein Friese, ein Markomanne und ein Quade. »Das Kleeblatt«, nennt man im Lager die Unzertrennlichen, die jeden Kampf, jede Rast und jedes Gelage zu teilen pflegen. Der flaumbärtige blonde Friese sah's zuerst, rannte den andern voran und sprang an meine Seite: »Zu Hilfe, Gárizo!« schrie er. »Halte ihm den Schild vor, Ekkard! Rasch, Hippokrenikos, nieder den Kecken da links!« — »Komme schon, Sigiboto, mein Bub!« erwiderte Gárizo, der breite Markomanne. — »Bin schon da!« rief der Quade Ekkard. — »Da liegt er schon, der lange Lümmel!« frohlockte der Grieche, die dunkelbraunen Locken schüttelnd. Und noch ein paar Hiebe der Wackeren, und die Feinde flohen in den Wald zurück.

»Dank euch, meine Freunde!« rief ich vom Roß herab. »Dank? Dreimal sterben wir für dich!« scholl es zurück. Und ich glaub es ihnen aufs Wort. Ihr ganzer Lohn bestand darin, daß ich sie, als wir nun bald Lager schlugen, zum Nachtmahl in mein Zelt lud und sie aus meinem eignen Becher den feinsten Massiker trinken ließ, den ich mitführte. Ich hätte sie gekränkt durch Geldgeschenke. Aber dieses »Kleeblatts« bin ich nun noch sicherer als zuvor.


Siebenundzwanzigstes Kapitel

Wie staunte ich, als ich am folgenden Tage die ersten alemannischen Dörfer erreichte! Das sind nicht mehr die rohen Blockhäuser, die Holzhütten aus übereinandergeschichteten Baumstämmen, wie Tacitus und die andern sie schildern: nein, nach römischer Bauweise, aus Stein aufgeführt, neben alten römischen Villen und offenbar nach deren Vorbild zierlich errichtet und ausgeschmückt. Immer mehr setzen sie mich in Verwunderung, diese Barbaren.

Sollten sie am Ende doch fähig sein — nicht nur erlesene einzelne wie Serapio — nein, die Menge des Volkes, sich Stücke unsrer Bildung anzueignen? Nicht bloß in unsrem Land, in unsrem Waffendienst, nein, bei sich zu Hause? Das wäre ja wie das Auftauchen einer ganz neuen Welt neben uns! Ich mag's nicht glauben!

Ich versuchte, tiefer einzudringen, aber ich ward zurückgewiesen, nicht von einem Heer — von dem Wald der Germanen. Wir gelangten an einem nebelnassen, regnerischen Tage bei grimmiger Kälte, es ist doch ein greulicher Himmel über dieses barbarische Land gespannt! — auf schlechten Wegen vor einen sumpfigen, finsteren Wald. Ich gestehe: Er flößte mir Grauen ein, dieser erste germanische Urwald, den ich zu sehen bekam. Lange hielt ich zaudernd an. Ein paar Gefangene, in jenen Dörfern überrascht, sagten uns, der ganze Wald wimmle von den Kriegern der Barbaren: In unterirdischen Gängen und Höhlen, in vielverzweigten Waldgräben lägen ihre Scharen versteckt, bereit, an günstiger Stelle vorzubrechen. Meine Leute stutzten: Sie wollten mir nicht in den Wald hinein.

Mit Mühe bewog ich sie endlich, einzudringen. Aber alsbald fanden wir die wenigen schmalen Pfade, die durch das undurchdringliche Gestrüpp, die seltnen Furten, die durch die abgrundtiefen schwarzen Sumpfwasser führten, gesperrt durch ungeheure Verhacke und Verhaue, bestehend in gewaltigen Stämmen von Eichen, Eschen, Tannen; und oben, in den Wipfeln der umstehenden Bäume, kaum sichtbar im Dunkel des Waldes, nisteten versteckt zahllose Bogen- und Speerschützen, die wie vom Himmel herunter Pfeile und Lanzen auf uns hageln ließen. Ich befahl den Rückzug: Meine Leute wollten nicht weiter hinein in das Undurchschaubare.

Als ich es nach der Heimkehr Serapio, der in Mainz zurückgeblieben war, erzählte, lächelte er so eigen und meinte: »Der Wald hat wieder einmal seine Söhne gerettet, wie schon so oft seit den Tagen des großen Cäsar. Es macht dir keine Schande, daß du wichest vor dem Germanenwald — wie er.«

Übrigens stellte ich ein altes Kastell Trajans, östlich von Mainz, am linken Ufer des Mainflusses, wieder her, und legte Besatzung hinein. Zum erstenmal wieder seit so langer Zeit eine römische Feste auf dem rechten Ufer des Rheines! Lassen mir mein Gott und mein Imperator noch einige Jahre das Leben und Gallien, so stelle ich all unsre Zwingburgen da drüben wieder her. Nun aber kehrte ich — schon bedeckte Schnee die fernen Höhen — nach Mainz zurück, Serapion ein längst gegebenes Versprechen zu erfüllen.

Alsbald nachdem ihn das Wundfieber verlassen, hatte er mit meiner Erlaubnis Boten an seinen greisen Vater, König Nebisgast, nach der batavischen Insel abgesandt, ihm zu berichten, der Sohn lebe und sei in guten Händen. Die Boten kehrten nicht zurück: vielleicht abgefangen von feindlichen Batavern. Da gelobte ich dem Freund, ihn so bald als tunlich selbst in die Heimat, zu dem Vater zu führen. Verlangt es doch auch das Reich, daß ich jenen Teil der Franken kennenlerne und uns dauernd verbinde. So segelte ich denn von Mainz aus mit Serapio und geringer Schar den Rhein hinab, landete auf der Nordspitze des batavischen Eilands und erreichte alsbald den Gau des alten Königs, der keinen Widerstand leisten konnte. Sein Sohn und das Aufgebot seines Gaues waren ja gefangen, gefallen, zersprengt.

Er lud mich durch Gesandte in seine Königshalle. Einfach genug ist sie, und nur, weil es die Heimat ist, kann ein Serapio diese braunen, rauchverdunkelten Eichenstämme einem römischen Marmorpalatium vorziehen. Ich hatte den Sohn gebeten, mir eine Freude nicht zu verderben, die ich mir für mein Gemüt ausgesonnen hatte; keine Nachricht über Serapios Geschick war an den alten König gelangt. Als ich nun den Saal des schlichten Gehöfts betrat, ergriff es mich tief in der Seele, wie der alte Mann in silberweißem langem Gelock, wie es ihre Könige tragen, mir entgegentrat, gastfreundlich zwar, die Schale Weins mir reichend, aber in würdevoller, echt königlicher Haltung, das Haupt stolz aufrecht, obwohl das edle Antlitz die Züge tiefer Trauer trug. Ich trank ihm zu, versicherte ihn des Friedens, um den er bat, verlangte aber Geiseln für die Einhaltung des Vertrages: nämlich drei Edelinge seines Gaues. Seufzend erwiderte der Alte, so viele würden wohl noch übrig sein nach ihren blutigen Verlusten, und er werde nach ihnen senden.

»Gut«, fuhr ich fort, und es ward mir schwer, gegenüber dem ehrwürdigen Alten die Rolle der Verstellung durchzuführen. »Aber das kann mir nicht genügen. Ich weiß, wer Schuld daran trug, daß dein Gau« (allein unter denen deines Volkes) »gegen uns kämpfte. Du hast einen Sohn, sagt man, einen einzigen. Das soll ein hervorragender Held sein.«

Da zuckte es über das alte Gesicht, daß ich beinahe nicht fortfahren konnte. Aber ich nahm mich zusammen und fügte bei: »Jedoch auch sehr gefährlich, unser schlimmster Feind. Den Frieden kann ich nur gewähren, stellt König Nebisgast auch seinen Sohn als Geisel.«

Da brach der Greis in wildes Schluchzen aus; er hob die beiden zitternden Hände gegen mich empor und klagte: »O Cäsar Julian — laß ab von dieser Forderung! Ach, die Götter wissen es, ich kann sie nicht erfüllen! Nimm mich gefangen, töte mich! Wohl hatte ich einen Sohn, von Wodans Geist durchweht, edel und stolz und stark und kühn! Ach! Ich habe ihn nicht mehr, meinen Merowech. In jenem grausen Würgen deines Sieges sahen ihn die Seinen blutend vom Rosse stürzen: Er ist gefallen! Schon lange liegt er bestattet auf jenem blutigen Feld.«

Da hielt ich mich nicht mehr: Ich faßte des Alten zitternde Hände und rief, selbst in Tränen ausbrechend: »Du irrst, König! Er lebt, dein Sohn! Hier steht er vor der Türe deiner Halle. Schon liegt er an deiner Brust!« Und ich ging hinaus und nahm meine Begleiter mit und ließ sie allein, den Vater und den Sohn.

So hat noch nie das Auge eines Menschen mir geleuchtet wie dieses greisen Vaters Blick, als ich nach geraumer Weile wieder eintrat. Serapio mag mich wohl über Gebühr gelobt haben. Beim Abschied versprach ich dem Alten, der Sohn solle, solang ich in Gallien bleibe und unser Vertrag also in Kraft bestehe, jedes Jahr den Vater besuchen dürfen. Ruft mich der Tod oder der Imperator (oder dieser durch jenen) ab, ist Serapio ohnehin frei.

Du wirst es kindlich schelten, o Lysias, aber der Augenblick, da ich diesem herrlichen Vater diesen herrlichen Sohn in die Arme führen konnte — er zählt zu den schönsten meines Lebens. Beglücken können — oh, wie herrlich ist's! Darin den Göttern nacheifern, wie schön!


Achtundzwanzigstes Kapitel

Ich schreibe dies (viele Wochen später) aus Paris.

Lutetia Parisiorum heißt das kleine Nest, das, ursprünglich auf eine Insel der Seine beschränkt, allmählich auch auf beiden Ufern des Flusses einige Häuslein, ja auf dem Südufer sogar schon ein paar Straßen, erwachsen sah. Hier, auf dem Südufer, liegt auch das stattliche Palatium, das schon der Vater des großen Constantin erbaut hat mit allem Zubehör von warmen und kalten Bädern, umgeben von einem weiten hainartigen Garten; hart östlich zieht an dem Palast die große Legionenstraße vorbei, die auf zwei schmalen Holzbrücken vom Nordufer über die schmale Insel und auf das Südufer führt. Besonders sicher scheint sich aber der Herrscher nicht gefühlt zu haben in dem neuen Bau, denn er hat ihn mit hohen Mauern umgeben und den einzigen Zugang sowohl in den Vorhof wie in das Palatium selbst mit je einer starken Eisentüre gesperrt. Die Umgebung des Städtleins ist übrigens nicht ganz ohne Reiz. Mannigfach gewunden schlängelt sich der Strom, und ringsum rauschen dichte Wälder. Erbaut sind die Häuser aus einem weichen, leicht gestaltbaren Ton oder Lehm, der dann in der Luft rasch hart werden soll.

Ich wählte das unansehnliche schmutzige Nest (andere gallische sind viel reicher!) zum Winterquartier, wegen der Sicherheit gegen Angriffe der Barbaren, die (noch immer!) im Land umherschwärmen. Die hochummauerte Inselfeste ist leicht zu verteidigen, auch mit geringer Mannschaft. Und dann wegen der Lage in der Nähe sowohl der Alemannen als der Franken, um im Frühjahr nach meiner Wahl jene oder diese rasch und überraschend angreifen zu können.

Frech sind sie, diese freien Franken, sehr frech! Mitten im Winter wagte ein Haufen von tausend Mann Saliern einen Plünderungszug über Köln und Jülich bis Reims! Auf dem Rückweg von mir verfolgt, warfen sie sich in zwei unserer alten verlassenen Lagerschanzen an der Maas und wehrten sich hier vierundfünfzig Tage, bis sie der Hunger zur Ergebung zwang. Ihre Hoffnung war es gewesen, über den gefrornen Fluß zu entkommen: Aber ich ließ von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang ununterbrochen Kähne auf dem Flusse kreuzen, die Eisbildung zu verhindern. Wohl wollten meine Illyrier diesen seltsamen Dienst weigern, aber als ich selbst in eins der Boote sprang und so lang das Ruder führte, bis mir nach Mitternacht ein Ohr erfror, da schämten sie sich und gehorchten. Was so ein Cäsar nicht alles lernen, ein Philosoph nicht alles verrichten muß! Wer mir in Nikomedia vom Rudern in Eiswasser gesprochen hätte! Aber auch wer mir im Kloster Hagion von dem Glücke gesprochen hätte, das ich jetzt in den Armen meiner Helena finde!

O Lysias, du mußt, du mußt endlich zu mir kommen, schon um Zeuge solchen Glücks zu sein. Wie kann ein Mann jemals ein Weib nach dem ersten Weibe lieben? Lieben — das ist Ewigkeit! Das ist eine Gnade, die Aphrodite Urania einmal gewährt und nicht wieder. Hätte ich das unsagbare Unglück, Helena zu überleben — nie könnte ich doch ein ander Weib berühren. Schon der Gedanke daran läßt mich erschauern.

Du errätst aus diesen glühenden Worten, daß wir vereinigt sind. Ja, ich habe Freund Serapio den vertrauensreichen Ehrenauftrag erteilt, meine Gattin — mit gehöriger Bedeckung — zu Vienne abzuholen und sicher nach Paris zu geleiten, wo sie in dem kleinen Palatium ganz gut untergebracht ist. Ich ließ den vorgefundenen hübschen Garten — (immergrüne Sträucher, ferner Reben und sogar Feigen, wenn mit Stroh zugedeckt, erfrieren sie hier nicht im Winter) — noch erweitern, ich stellte die verfallene Wasserleitung und die Wärmeleitung für die Bäder her. Mein liebes, nur allzu zartes Weib wird, denk ich, einen Winter in dieser barbarischen Stadt der Pariser doch ohne allzuviel Beschwerden überdauern. Schöne Götterbilder aus Marmor und Erz stehen zahlreich im Garten um uns her. Die fromme Verfolgung hat diesen abgelegenen Seinewinkel noch nicht durchstöbert.

Merkwürdig ist, wie meine scheue Frau, die sich vor Männern ängstlich in sich zusammenschließt, für diesen Bataver so offen, so mitteilsam ist. Er erweckt Vertrauen, das ist wahr. Und die Hauptsache ist: Sie hat die Ahnung für das Reine in dem Mann. Ich bin überzeugt, dieser kraftstrotzende Germane mit seinen dreiunddreißig Jahren, von denen er mehr als die Hälfte in dem Pfuhl der Laster, das heißt (abgesehen vom Kloster Hagion) in den größten Städten unseres Reichs verlebt hat, ist so keusch wie ich. Sie fühlt das. Sie hält viel auf ihn. Neulich vor dem Einschlafen sprach sie zu mir: »Nicht wahr, der Franke hat versprochen, nie mehr gegen dich zu kämpfen? Oh, das ist eine große Beruhigung.«

»Glaubst du, er ist mir überlegen?« fragte ich, nicht ohne leisen Groll. »Das nicht. Aber er ist soviel ruhiger, in sich geschlossener als du! Du ... du bist — Jovian sagte es gestern — du bist zu geistreich.« Hm, kann man wirklich auch allzu geistreich sein?

O mein Lehrer, was ist die wichtigste, die unentbehrlichste Eigenschaft für einen Cäsar; wenigstens für einen Cäsar des Constantius?

Nicht Geist; wahrlich, die geistloseste der Tugenden: die Geduld! Fünf Monate sind nun verstrichen seit jenem heißen Augusttag, daß ich auf irgendein Wort der Anerkennung wartete von dem Imperator; du wirst es verzeihlich finden. Bis heute kam noch keins. Ich mußte aber schon wiederholt — (zu seinem Geburtstag und zum Tag seines Regierungsantritts) — Lobreden auf Constantius verfassen, und bevor ich sie sprechen durfte, die Handschrift einsenden zur Prüfung, ob er auch genug darin gelobt sei. Nein, es sei nicht genug, schrieb mir, sie zurücksendend, ein Hofeunuch, ein echter Professor der Schmeichelkunst. Und er bemerkte am Rande, ich habe ja vergessen, zu rühmen, daß der Augustus niemals öffentlich sich die Nase schneuze, noch ausspucke, und daß er nie vor dem Volk anderswohin als geradeaus blicke, und daß er nie lache, ausgenommen »ein heiliges Lächeln«, über Kirchenbauten. Und dabei schreibt mir Ammian — vorsichtig, in Geheimschrift: »Er ist schrecklicher als Caligula, Domitian und Commodus.« Und den muß ich loben, lobe ich. Ach! Wird es mir zu ekelhaft, schreibe ich mitten hinein in die Rede einige Hexameter aus der Ilias, die sind immer und überall schön!

(Vierzehn Tage später)

Eine Freude, Lysias, eine Freude, fast so stolz wie der Sieg bei Straßburg selbst! Ammian, der wackere, wünscht mir Glück und schickt mir (in Abschrift wenigstens eines Satzes), was er über mich und meine Siege in sein Geschichtswerk aufnehmen wird: »Nicht aus dem Kriegszelt, aus den stillen Schatten der Akademie plötzlich auf das Schlachtfeld gerissen, hat dieser Jüngling die Germanen niedergeworfen, den Rhein gebändigt und der kampfschnaubenden Könige Blut vergossen oder sie in Ketten geschlagen.« Horch, das klingt wie Tubaton der Weltgeschichte, der Unsterblichkeit! Gierig saug ich's ein ...!

(Zwanzig Tage später)

Aber er, der Imperator, mein Schwager, für den ich die Schlacht und Gallien gewann? Noch immer nicht ein Wort! Dankbarkeit ist nicht die Schwäche der Herrscher. Im Gegenteil. Was meldet Philippus vom Hofe? »Das Siegerlein« nennen mich spöttisch die Eunuchen, weil ich nun wirklich, sooft ich ihm schrieb, von Siegen zu melden hatte.

Ja viel Ärgeres! Während Constantius in dieser Zeit recht mäßige Erfolge gegen Sarmaten am Ister davontrug; was tat er? In den amtlichen Berichten, die er nach seiner Rückkehr aus dem Palatium zu Mailand in alle Provinzen entsendet — (von Lorbeerzweigen sind die Rollen umwunden, welche die Statthalter in den Provinzhauptstädten öffentlich verlesen müssen!) —, lügt er amtlich. Er habe, Er in Person, ein Heer der Perser am Tigris geschlagen — (er war an jenem Tage zu Byzanz!). Er habe in der vordersten Reihe gefochten, er habe den um Gnade flehenden König der Armenier von seinem Fußfall erhoben. Ja, in unser Lager zu Paris gelangte (durch Versehen) ein Bericht, für andere Heere und Provinzen bestimmt — (ich hätte aber dann die Verbreitung nicht verhindern dürfen bei Todesstrafe, so lächerlich er den Herrscher machte) —: Er, Constantius, habe unsere Aufstellung bei Straßburg geordnet. Er sei unter den Cornuti gestanden, Er habe die Reiter der Barbaren kopfüber in die Flucht geschlagen, Ihm sei am Abend der Schlacht der gefangene Chnodomar vorgeführt worden. Vierzig Tagereisen war Constantius an jenem Abend fern von Chnodomar!

Ich kam dazu, wie die Cornuti in den Straßen von Paris und bei ihren Wachtfeuern jenseits der Seine die Primani diese Dinge sich vorlasen, unter solchen Schmähungen auf den »Lügenimperator«, unter solchen Verherrlichungen meiner, daß ich schleunigst den Soldatenmantel über dem Kopf zusammenschlug, davoneilte und die Lügenberichte unter der Hand an mich bringen ließ, sie nach Mailand zurückzuschicken!

Schon wieder schlug — vereinzelt — der wahnsinnige, der frevelschwere, der schreckliche Ruf an mein Ohr: »Matce, Juliane Imperator!« Das klingt wie Frohlocken der Furien über Eidbruch.

Ach, Constantius ist schwer zu ertragen! Die Provinz Gallien von den Barbaren zu befreien ist mir gelungen. Jetzt muß ich sie aus ihrer tieferen Not erretten, aus ihrer Finanznot. Die Provinzialen verzweifeln.

Und nun schickte mir der Augustus seinen Geheimschreiber Gaudentius als »außerordentlichen Oberfinanzverwalter«, um die neugewonnene Provinz neu zu besteuern! Dieser Blutsauger verlangte fortab verdoppelte Kopf- und Grundsteuer! Ich, der Feldherr, warf seine Rechnungen zornig auf den Boden und erklärte — ich, der Feldherr! —, ich brauche gar nicht soviel (Geld und) Soldaten, als er mir aufdrängen wolle. Das ist, glaub ich, neu in der Weltgeschichte. Darauf erhielt ich einen feierlichen Verweis vom Imperator — sein erstes Wort an mich seit Straßburg —, weil ich meine Zuständigkeit überschritten! Doch erreichte ich, daß mir die Provinz Belgica — gleichsam als Versuchsfeld — allein zur Steuererhebung überwiesen ward. Ich setzte die Kopfsteuer von vierundzwanzig auf sieben Goldstücke herab, und die Folge meines gerechten Verfahrens war, daß alle Steuern noch vor der Fälligkeit bezahlt wurden. Die Bürger von Beauvais widmeten mir einen goldnen Rebenkranz. Ich ließ ihn einschmelzen und den Erlös unter jenen Armen verteilen, die früher aus den nun geschlossenen Göttertempeln gespeist wurden.


Neunundzwanzigstes Kapitel

Ach! Ich bin so glücklich, Lysias! Was bedeutet die undankbare Mißgunst des Imperators gegenüber dem tiefen, herzbeseligenden Glück, das mir seine holde Schwester gewährt. Und der Verkehr mit einem Freunde wie dieser Serapio, mit dem ich alle Fragen der Weltweisheit durchstreiten kann! (Denn allerdings ist er fast in jeder anderer Meinung als ich!) Und das Vertrauen auf einen Freund wie diesen Jovian, auf dessen Pflichttreue ich fast mehr als auf die eigene bauen darf! (Denn er hat mehr Ruhe und Stete, obzwar weniger Begeisterung!) Und dann bleiben doch auch allnächtlich ein paar Stunden für die geliebten Bücher. Maximus und Libanius und Priscus senden mir bis hierher, bis in den Schnee dieser schmutzigen Kelteninsel von Paris, ihre Schriften. Der ganze Tag freilich und ein großer Teil der Nacht geht über den Geschäften, ach den Sorgen des Staates dahin. Aber ich brauche nur zwei Stunden Schlaf, wie auch Essen und Trinken mich nicht beschwert oder aufhält. Während des Mittagmahls — nicht eine halbe Stunde darf es währen — laß ich mir Plotin vorlesen.

Aber Plotin löst nicht meine Hauptfrage: Soll ich die beiden unerläßlichen Feldzüge des nächsten Jahres erst beginnen, nachdem ich die Vorräte aus Südgallien bezogen? (Constantius verlangt nur Steuern, sendet aber weder Geld noch Korn!) Dann muß ich warten bis Anfang Juli! Und alle diese Völkerschaften der Alemannen und der Franken haben Zeit, zusammenzulaufen. Oder soll ich losschlagen, ohne die Vorräte abzuwarten? Dann muß ich es daraufhin wagen, das Heer durch Beute in Feindesland zu ernähren, denn auf mehr als zwanzig Tage kann ich dem Mann nicht Mundvorrat aufbürden. Ich schwanke, ich zweifle ...

Heute kam eine andere, ja die Lebensfrage für Gallien, für das ganze Abendland zur Entscheidung. Die Allermeisten — (und zweifellos die Besten!) — meiner Truppen sind germanische und keltische Söldner, dazu kommen Veteranen, eigentlich ausgediente Krieger jeder Abstammung, die für sich, für Weib und Kind, ein Gütchen in Gallien erhalten haben, das ihre Familien und etwa ein Knecht bebauen, während sie noch einige Monate Dienst leisten, aber vom Spätherbst bis Frühsommer zu ihren Penaten entlassen werden. Für fast alle diese Leute lief im vorigen Monat ihre Vertragszeit ab. Ohne sie bin ich wehrlos. Von den sechzehntausend Mann in ganz Gallien — nach neuen Aushebungen —, über die ich jetzt (nach Abzug der Bataver, die ihre Könige verloren haben) gebiete, sind zwölftausend solche Söldner oder freiwillig nach Vertrag noch dienende Veteranen.

Wohlan, nun hatten sich alle diese meine Besten: Primani, Cornuti, Braccati, Petulantes, Schildner, alle germanischen und gallischen Söldner verständigt, in neue Dienstverträge nur einzutreten, wenn ich ihnen im Namen des Augustus versprach, daß sie nur zur Verteidigung Galliens verwendet, niemals aber über die Alpen nach Italien oder über die Pyrenäen nach Spanien oder gar in irgendeine entlegenere Provinz geführt werden würden.

Das Verlangen ist voll begreiflich und voll begründet. Die Germanen unter ihnen wollen nach Ablauf ihrer Dienstzeit über den Rhein zu ihren Stammesgenossen. Diese Söldner fechten ohne weiteres wie gegen ihre germanischen Volksgenossen überhaupt, so meist auch gegen ihre eignen Stammesgenossen; und das wird ihnen von diesen selbst nicht verdacht. Keineswegs aber wollen sie in unserm Dienst für immer auf- und untergehn; haben sie unter unsern Fahnen Abenteuer, Genuß, Beute, Ruhm genug gewonnen, kehren sie zu den Ihrigen zurück. Nicht für immer wollen sie sich von der Heimat trennen, nicht durch die Alpen, die Meere, die Strudel unserer staatlichen Wirren den Rückweg in den Heimatgau sich versperren lassen. Schon gar mancher Germane ward so, von uns geschult, später ein desto gefährlicherer Führer der Seinen gegen uns. Von jenem Arminius, dem römischen Ritter, an und von Claudius Civilis, bis — unwillkürlich wollte ich schreiben: bis auf Merowech-Serapio, seinen späteren Urenkel. Der aber nicht nur, schon auch andere unvergleichlich Tieferstehende fangen an, in ihren Dienstverträgen den Kampf wenigstens gegen die eignen Stammesgenossen abzulehnen. Wenn das zunimmt ...?

Die Kelten unter ihnen wollen ihr Gallien verteidigen, aber nicht verlassen, desgleichen die angesiedelten Veteranen, die ihr Gütlein und ihre Familien gegen die wilden germanischen Einfälle schützen, aber nicht dies Gallien räumen wollen, das ihnen wahre zweite Heimat geworden.

Obgleich ich nun gar nicht anders konnte als ja sagen — (denn weder vermochte ich die Leute zu zwingen, zu bleiben, mit viertausend gegen zwölftausend, noch sie zu entbehren) —, versicherte ich mich doch, vorsichtig — (wie mich der Imperator hat werden lassen) — seiner ausdrücklichen urkundlichen Ermächtigung. Vor kurzem traf sie ein, mit dem Reichssiegel gesiegelt. Ich beschied nun die ganze Menge der Ausgedienten — (sofern sie aus den bedrohten Kastellen berufen werden konnten) — hierher nach Paris — (es kamen über zehntausend Mann) — und schloß den neuen Vertrag mit ihnen ab.

Ich sage dir, das war eine gar feierliche Handlung, mit allen Formen des Rechts und gar manchen Götterglaubens gefestigt. Weit westlich von meinem kleinen Palatium, aber wie dieses südlich des Flusses, dehnt sich eine beträchtliche Ebene, deren Waldbestand großenteils beseitigt ist, Lehmgruben Platz zu machen. Hierher beschied ich die Scharen, nach ihren Kohorten geordnet. Es war ein heller, warmer Tag im März; schon flogen die ersten Falter. Die Sonne hatte schon seit Wochen den schnell geschmolzenen Boden getrocknet.

Hell glitzerte sie an diesem Frühlingsmorgen auf die Waffen der Krieger. Das Herz im Leibe lachte mir; auch auf meiner bleichen Helena Wangen, die mich in offner Sänfte begleitete, riefen die Lenzlust, der Sonnenschein, der prächtige Anblick der mich mit Freudenrufen begrüßenden Scharen, ein flüchtig Rot. Ich ließ die Führer zu mir bescheiden, las ihnen das Schreiben des Augustus vor, zeigte ihnen seine Unterschrift, sein Siegel, ließ es ihnen durch Dolmetscher in das Keltische, dann in die Mundarten der Alemannen, Franken, Thüringer, Quaden, Markomannen, Sachsen und Friesen übersetzen. (Denn diese Germanen verstehen nicht oder nur schlecht untereinander ihre greulichen Mundarten, die wie das Gekrächze von Sumpfvögeln klingen.)

Nachdem sie es verstanden (es mußte ihnen dreimal verlesen werden, das feierliche Versprechen, daß sie nie gegen ihren Willen aus Gallien könnten abbefehligt werden), forderte ich sie auf, nun dem Imperator aufs neue den Eid zu leisten, wie jeder wollte, auf ein Jahr oder auf mehrere. Das taten sie denn; ihre Führer sprachen ihnen die Schwurformel vor, und die Leute wiederholten sie auf griechisch, auf lateinisch — (die meisten) —, andere auf keltisch und in jenen unsprechbaren germanischen Sprachen. Sie schworen dann bei Christus, bei Zeus, bei Jupiter, bei den keltischen Göttern Hesus und Teutates und bei den — ganz unmöglich — benannten der Germanen.

Das war nun recht lehrreich zu betrachten, und ich flüsterte meiner holden Helena zu: »Was mag Helios empfinden, sieht er und hört er mit an, wie diese Tausende statt nur bei seinem Namen, bei so vielen Dämonen und bei dem Galiläer Eide tun?«

Aber es sollte für mich bei solch lehrhafter Betrachtung nicht bleiben. Als die Scharen die Eide geleistet hatten, traten ihre Führer wieder an mich heran, der ich mein Pferd schon wenden wollte. (Denn mich reute die vergeudete — »verschworene« möchte ich sagen; wie »vertrunkene«, »verspielte«, oder ist es doch zu gesucht? — Zeit, und mich rief es zu Plotin und Maximus.) Und sie sprachen ehrerbietig, aber bestimmt: »Wir haben geschworen; nun schwöre du.«

Ich stutzte. Aber der Führer der Cornuti — (Bainobauds Nachfolger, ein Franke, Nevitta, ein ausgezeichneter Krieger) — sprach: »Dich kennen wir, o Cäsar. Wenig kennen wir den Imperator Constantius. Ich zweifle nicht gerade an seinem Wort ...« — »Schweig, Unseliger!« rief ich erschrocken. »Aber«, fuhr der Tollkühne fort, »wir wollen dein Wort: des Mannes, den wir kennen. Und da man unserem Worte, das wir Germanen immer halten, nicht geglaubt, uns Eide abverlangt hat, so verlangen auch wir Eide. Denn worttreuer und tapfrer als die Germanen ist kein Volk auf Erden.«

(Diese Hochmütlinge! Wie das in den Kerlen steckt, altvererbt! Mir fiel der Bericht des Tacitus ein, nach welchem, fast mit den gleichen Worten, Gesandte der Friesen zu Rom unter Nero sprechen. Mein wackerer Nevitta hat gewiß nie Tacitus gelesen, und er braucht den gleichen Ausdruck wie jene Germanen vor dreihundert Jahren!)

So blieb mir nichts übrig, als ihnen den Willen zu tun. Und so schwor ich denn — (wieder einmal!) — bei dem Galiläer und bei Zeus und Jupiter und bei allen verlangten Göttern der Kelten und Germanen. Ja, die Quaden und Markomannen rissen ihre Schwerter heraus, stießen sie mit den Griffen in die Erde und baten, ich möge eine Schwertspitze berühren und dabei schwören. Ich tat's. »Nun bist du«, riefen sie mit sonderbarem Vergnügen, »bist du im Falle des Eidbruches unsern Schwertern verfallen!« Diese Aussicht schien sie lebhaft zu erfreuen; mehr als mich!

Darauf kamen Söldner aus dem Sachsen- und Friesenstamme von der Schar der Cornuti und meinten treuherzig — (einer ihrer Führer, Sigiboto, verdolmetschte es mir) —, sie verehrten mich seit dem Tage bei Straßburg so hoch, daß sie mich würdigten, ihr Blutsbruder zu werden; ich solle ihnen, wie sie mir, Blutsbrüderschaft schwören, indem wir unser Blut in Wein mischten und tränken. Ich dankte lebhaft für die Ehre. Welche Frechheit! Welche Überhebung dieser Barbaren! Als ich es entrüstet Serapio, der zu Hause geblieben war, erzählte, zuckte er die Achseln und sprach mit jenem seltsam stolzen Lächeln, dessen Grund ich noch nicht ergründet habe — (»Grund ergründen« ist hübsch, nicht?) —: »Das war ein Fehler, Julian. Du mußtest dir diese stahlharten Männer unlöslich verpflichten durch Eingehen auf ihren dich ehrenden Vorschlag.« — »Aber ...!« rief ich. »Ein Cäsar sein Blut mischen mit unebenbürtigen Barbaren? So meinst du, das ist dein Gedanke. Und dieser Gedanke ist, so hoffe ich — deine Torheit. Und diese deine Torheit, die Unterschätzung unserer Eigenart, ist — vielleicht — euer Verderben und unsere Rettung. Vielleicht, sage ich, denn erst der Ausgang wird es lehren. Wir beide werden's nicht erleben!« Und er verstummte, wie schon so oft, kam das Gespräch auf diese Fragen. Er verbirgt hier schwerwiegende Gedanken. Aber bei nächster Gelegenheit zwinge ich ihn, sie auszusprechen.


Dreißigstes Kapitel

Erst nach vielen Wochen komme ich wieder zu diesen Blättern. Ich faßte zu Paris von den beiden möglichen Entschlüssen den kühneren; abermals »non sine Dîs animosus infans«. Denn abermals erschien mir — (wie nun schon wiederholt!) — nach endlich gewonnenem Schlaf im Traum der Genius Roms und mahnte zu sofortigem Angriff. Mit Zweifeln war ich eingeschlafen, entschlossen wachte ich auf und befahl den Aufbruch, ohne das Eintreffen der Vorräte abzuwarten.

Ich wandte mich zunächst gegen Gaue salischer Franken, die es gewagt hatten, auf altrömischem Boden, in Toxandria, sich niederzulassen, südlich der Waal, östlich der Scheide gegen die Maas hin. In Tongern trafen mich ihre Gesandten, die Frieden beantragten und versprachen, unter der einzigen Bedingung, daß wir sie in ihrer neuen Heimat beließen.

Das ist eben das nicht zu Ertragende, das Abzuwehrende! Diese Barbaren beanspruchen, daß wir sie in dem von ihnen besetzten Land als heimatberechtigt anerkennen! Ich behielt diesmal ihre Gesandten nicht gefangen — (gar zu oft darf man den großen Cäsar nicht wiederholen!) —, aber ich hielt sie lange hin, versetzte sie in den Glauben, ich werde nicht weiter von Tongern aus vorrücken, und entließ sie reich beschenkt.

Jedoch gleichzeitig, ihren langsamen Schritt überholend, griff ich — zu Schiff und mit der Reiterei — ihre Gaue an, lange bevor die Gesandten zu diesen gelangen konnten, und schlug sie wie ein Donnerkeil im Wettersturm zu Boden. Ich zwang einen Teil der Eingedrungenen, die Chamaven, zur Rückkehr über den Strom.

Jedoch nun erlebte ich ein hoch Wunderbares mit den übrigen in unser Land gedrungenen Franken salischen Namens. Als ich auch von ihnen« Räumung unseres Gebietes verlangte, erklärten ihre Gesandten, sie könnten das nicht! Denn nicht freiwillig, gezwungen hätten sie ihre alten Sitze verlassen und sich auf unserem Boden eine neue Heimat gesucht. Sie könnten nicht zurück, sie müßten leben oder sterben, wo sie ständen, sie seien aus ihrem alten Lande verdrängt von anderen Germanen, den dem Sachsenstamm angehörigen Chauken. Die Männer sprachen in so offenbarem Ernst, und ihre Worte erinnerten so lebhaft an manchen Gedanken, den Serapio früher kurz angedeutet hatte, daß ich nicht einfach zur Gewalt greifen wollte — (verzweifelt entschlossen sahen diese Leute aus) —, sondern sie auf meine spätere Entscheidung verwies. Ich wollte Serapio, der, unbewaffnet, mich begleitet, befragen.

Am Abend beschied ich ihn und Jovian in mein Zelt zu einer Unterredung. Die ward eine der inhaltsschwersten meines Lebens.

Ich begann, nachdem die Sklaven den nie üppigen Schmaus des Cäsars hinausgetragen, ziemlich gereizt gegen Freund Serapio: »Ihr wißt euch soviel, ihr Germanen, mit eurer Treue! Und doch muß ich sagen: Ich kenne in der ganzen Geschichte Roms kein Volk, das uns so unzählige Male die Verträge gebrochen hat wie ihr Germanen.«

Da wurde der Ausdruck von Serapios Antlitz noch schärfer, noch ernster als gewöhnlich. Er richtete sich hoch auf und sah mir durchdringend in die Augen.

»Ist es doch so!« fuhr ich fort. »Seit Drusus und Germanicus, seit länger als dreihundert Jahren: Immer und immer wieder brecht ihr die so oft errichteten Friedensverträge. Offenbar ist es echt barbarische Abenteuer- und Beutelust, vor allem aber — (denn ich will dich nicht verletzen) — jene Lust am Kampf als solchem, also das ›Heldenhafte‹, wie du's nennst, was euch, nach unzähligen blutigen Erfahrungen, immer und immer wieder über unsere Grenzen und in die Schwerter unserer Legionen treibt. Soll das denn niemals enden? Wenn ich dich heute freiließe, würdest du abermals versuchen, dein Volk zum Kampfe gegen uns fortzureißen?«

Serapio schwieg geraume Weile. Dann entgegnete er langsam, fast feierlich: »Cäsar Julian, es ist wohl besser, wir verschieben dies Gespräch.« — »Warum?« — »Weil du vielleicht noch nicht reif bist, die Wahrheit hierüber zu erfassen. Und noch nicht fähig, sie zu ertragen.« — »Germane!« — »Siehst du? Schon wirst du heftig, noch ehe du die Wahrheit gehört hast.« — »Vergib! Meine Ruhe soll dir beweisen, daß ich für deine Wahrheiten reif bin. Sprich!« — »Du willst es, so sei's. Merke dir den Tag, Cäsar. Es sind die Iden des Junimonds.« — »Das trifft sich gut. Ein Freund — Philippus — hat in den Sternen gelesen, die Iden werden für mich wiederholt ein wichtiger Tag sein.« — »Mir ist lieb, daß dieser Jovianus da zuhört. Er ist gerechter, weil er ruhiger als du. Er soll Richter sein zwischen uns. Obwohl ein Römer, ist er nicht ungerecht.« — »Ich danke«, mußte ich lächeln. »Wir sind das größte Rechtsvolk der Welt.« — »Recht und Gerechtigkeit sind oft zweierlei. — Nun, Freund und Cäsar, höre. Ihr Römer seid das großartigste und das scheußlichste Volk der Weltgeschichte.« Ich fuhr auf. Jovian drückte mich leise nieder. »Das großartigste: durch folgestrengstes Streben nach Macht. Das scheußlichste: durch maßlose Selbstsucht hierbei. ›Verteidigung durch den Angriff‹, das ist euer fürchterlicher Grundsatz, der euch über euer Italien hinaus nach Spanien, nach Afrika und Asien, nach Gallien, nach Germanien, nach Britannien geführt hat, als eure müden Adler noch fliegen konnten. Was hat euch zum Kampf mit uns gebracht? — Nicht wir haben euch aufgesucht oder angegriffen! Ihr habt, um Gallien zu erobern, Ariovist aus dem von ihm nach Kriegsrecht gewonnenen Lande vertrieben. Ihr habt, um den Rhein zu verteidigen, unser Land bis zur Elbe unterwerfen wollen. Und ihr hättet's erreicht, kam nicht ein großer Überlister über euch: Armin. Hat doch eurer Größten und Besten einer, Cornelius Tacitus, gesagt: ›Die Götter haben nun einmal den Erdkreis dem Römervolk gegeben, und das Römervolk hat zu entscheiden, wieviel davon andern zu belassen ist.‹ Mit einem solchen Volk gibt es keinen Frieden. Ihr müßt alle Völker unterwerfen, oder es muß den andern gelingen, euch zu zerschlagen.« Er sagte das alles ganz ruhig vor sich hin, als führe er einen mathematischen Beweis, während ich vor Erregung bebte. Nur das Blitzen seiner meergrauen Augen verriet, daß die höchste — (vielleicht die einzige!) — Leidenschaft seines Wesens in ihm loderte, daß er als Vertreter seines Volkes mit dem Vertreter des Erbfeindes stritt. Jovian gelang es, mich in Ruhe zu halten. »Lange nun ist es euch gelungen mit uns, wie mit all eueren Nachbarn in den drei Erdteilen vorher; durch eure Bildung, eure Waffen- und Geldübermacht, vor allem durch eueren Staatsgedanken und dessen großartiger Durchführung. Bald mit edelster Heldenschaft und Aufopferung und bald mit jedem scheußlichsten Mittel der Arglist — ›artes‹ nannte solche Ränke euer Tiberius — habt ihr uns unterworfen oder zum Dienste verlockt. Endlich aber drangen doch Alemannen und Franken bis an, bis über den Rhein, andere Germanen über die Donau. Nun sagst du: ›Unter unaufhörlichen Treubrüchen gegenüber den Verträgen.‹ Ja, es ist wahr. Aber ebensogut könntest du der Meerflut den Vertrag aufzwingen, nicht mehr gegen die Küste zu branden, als den Germanen, in den von euch abgesteckten Grenzen zu bleiben.«

»Warum? Seid ihr denn wilde Tiere«, brach ich los, »die auf Raub ausgehen müssen oder verhungern? Das ist es ja eben! Dir barbarische Raubgier, Kampfgier, die euch treibt.«

»Nein, Cäsar Julian. Merk es dir, was ich dir heute sage: Die Geschicke unserer beiden Völker hängen davon ab; nicht Abenteuerlust, nicht Raubgier, nicht Kampffreude.« Hier erhob er sich und wandte mir das Antlitz zu mit einem Ausdruck, der ihn dämonisch verschönte: »Uns treibt die mächtigste der Göttinnen: die Not!«

So gewaltig war der Eindruck seiner Worte. Wir beiden Römer verstummten und sahen mit einem leisen Grauen zu diesem grimmentschlossenen Mann empor.


Einunddreißigstes Kapitel

Ich wagte endlich, zweifelnd den Kopf zu schütteln.

»Jawohl, die Not«, wiederholte er feierlich. »Mag sein, daß hin und wieder jene Wagelust ein Häuflein von jungen Kriegern, eine Gefolgschaft zu einer Raubfahrt verführt; das ist ein Nichts. Damit erobert man nicht römische Provinzen und wirft nicht eure Weltmacht über Rhein und Donau zurück. Nein, Cäsar Julian, sind es doch von den Kimbern an bis auf unsere Tage wirklich ganze Völker, mit Weibern und Kindern, mit Greisen und Kranken, mit Unfreien und Herden und allem Hausrat auf den rinderbespannten Wagen, die, immer und immer wieder, den von euch aufgezwungenen Vertrag brechend, an und über eure Grenzen fluten: In das seit Jahrhunderten sichere, jedesmal vorauszusehende Verderben. Wähnst du wirklich, nachdem ungezählte Millionen von uns auf den Schlachtfeldern gefallen, auch Weiber und Kinder als Sklaven von euch fortgeschleppt, andere in euern Arenen verblutet oder als Colonen über alle euere Provinzen verstreut worden sind —, glaubst du wirklich, fast Jahr für Jahr wirft bloße Abenteuerlust diese Hunderttausende — auch von Wehrunfähigen! — immer wieder an eure Grenzen, mit der sichersten Aussicht, zu zerschellen, zu versprühen wie die brandende Welle am Fels? Nein, das kann nur die einzige Macht der Welt: die Notwendigkeit!«

Ich war sehr ernst geworden, und Jovian suchte meinen Blick mit einem Seufzer. »Aber — welche Notwendigkeit, welche Not?« brachte ich hervor, tief ergriffen von des Mannes Erregung und von dem neuen Einblick in diese Bewegungen. »Hungersnot. Wohl ist das Land weit, das wir bewohnen, und solange die Ahnen als Weidehirten es durchzogen, nährte es die ganze Volkszahl. Wir mußten aber seßhaft werden, seßhaft, nicht wie früher, nur im Vorüberziehen, den Acker bestellen, von der ehernen Mauer eurer Legionen festgehalten an Rhein und Donau. Und nun geschah eine ganz gewaltige Mehrung des Volkes, seit zu dem Ertrag von Viehzucht und Jagd die Kornfrucht trat.«

Besorgt sprach Jovian: »Du hast recht; unsere Feldherrn, unsere Schriftsteller staunen, wie nach den blutigsten Verlusten aus euren Wäldern immer und immer wieder neue Tausende hervorquellen.« — »Unheimlich, grauenerregend ist solche Unerschöpflichkeit«, rief ich, nicht ohne leise Furcht. »Woher diese unglaubliche Fruchtbarkeit?«

»Sie ist die Folge der Keuschheit unseres Volkes. Spät, mit dreißig Jahren etwa, berührt der Jüngling zuerst ein Weib: sein Eheweib! Daher ist sie unerschöpflich, die keusch gesparte Jugendkraft. Bei euch hat schon Augustus Geldbelohnungen für Eheschließungen und für Zeugung ehelicher Kinder ausgesetzt. Ich fürchte«, spottete er, »ein Kind, das gezeugt wird, aus Berechnung jener Vermögensvorteile — ich fürchte, das empfängt kein Heldenmark.«

»Ihr habt aber doch Raum vom Rhein bis an die Mündungen des Ister!«

»Wohl: Allein Wald und Sumpf, die fast alles Land rechts vom Rhein bedecken, gewähren der unaufhörlich wachsenden Menge nicht Nahrung, und wir haben weder Kenntnisse noch Geduld, noch Gerät, all das Ödland in Bauland zu verwandeln; so ist's Landnot, die Brotnot, die uns treibt. ›Land, Land, Land, um es zu bebauen!‹ schreien wir seit den Tagen der Kimbern und der Teutonen — vierhundert Jahre lang! — euch zu. ›Dafür wollen wir kämpfen gegen all eure Feinde.‹ Und eure Antwort? ›Eure Brüder, die Teutonen‹, höhnte Marius den Kimbern zu, ›haben schon soviel Land als sie brauchen: ein Grab.‹ Und selbst ein Tacitus sagt achselzuckend: ›Die Erde gehört nun einmal dem Römervolk: seht zu, wo ihr bleibt.‹ Gut denn; wir werden zusehn!« knirschte er grimmig. »Darum, ich wiederhole, gibt es mit euch keinen Frieden, solang solche Hybris euch erfüllt. Darum müssen wir notwendig, wie Welle auf Welle an das Ufer rauscht, über alle aufgezwungenen Verträge hinweg, immer wieder in euere Provinzen brechen, bis wir untergegangen sind oder ihr uns soviel Land einräumt als wir brauchen. Deshalb, o Cäsar, die Rätsel, die du immer nicht lösen konntest; deshalb bebauen Alemannen und Franken die Äcker in Gallien. Nicht ausplündern wollen, besitzen und besiedeln müssen wir's. Deshalb setzen wir uns nicht in die Städte (in denen ihr auch uns, wie in Mausefallen, fangen würdet, wie weiland die Gallier). Denn in den Städten können wir nicht Korn bauen, um davon zu leben; deshalb fandest du uns nicht siedeln in Köln, Straßburg, Zabern. Nicht Räuber — Einwanderer sind wir. Nicht freiwillig, notgedrungen kommen wir zu euch, wie der Schiffbrüchige, den die Welle ans Gestade wirft.«

Er schwieg nun. In großen Schritten durchmaß er das Zelt, die gewaltige Bewegung niederkämpfend. Er glühte im Innern, aber außen blieb er fest und ruhig wie Felsgestein.

Ich staunte ihn sprachlos an, diesen fränkischen Königssohn. »Und der Ausgang?« fragte Jovian, sehr ernst blickend. »Ist unberechenbar«, erwiderte Serapio. »Viel, sehr viel spricht für euren Sieg: am lautesten unsere Fehler. Solang der batavische Gaukönig lieber dem Römer sich unterwirft als dem batavischen Stammgenossen, solang der Chatte Mainz lieber dem Cäsar gönnt als dem Alemannen, so lange wird es gehen, nun ... wie es bei Straßburg ging! Aber« — er richtete sich hoch auf — »es kann auch anders kommen. Und deshalb, nur deshalb allein leb ich noch, o Freund Julian. Ich lebe von der Hoffnung für mein Volk: die Franken. Die andern gehen mich — noch — nichts an. Stürbe diese Hoffnung in meiner Brust, ich würde es nicht überleben.

Sieh, als ich, in der Genesung begriffen unter deiner gütevollen Pflege — die Christen sogar müßten dich loben für diese Feindesliebe —, allmählich dein ganzes hohes Geisteswesen erkannte, auch deine Staatsmannskunst bewundern lernte, wie ich an jenem heißen Augusttag — zu meinem Schaden — deine Feldherrnschaft erprobt hatte, da kam mir einmal — aber es war noch im Wundfieber — der Gedanke: Stirb, Merowech, da drüben hängt ja dein Schwert: stirb. Dieser Cäsar ist zu groß; an ihm muß dein Volk scheitern.«

Ich horchte hoch auf — (das weißt du, o Lysias, von dem Lobbegierigen: Lob aus dem Munde dieses Feindes). — Aber er fuhr fort: »Jedoch bald kam die Klarheit. ›Nein‹, sagte ich mir, ›kein einzelner — und sei er noch so geistbegabt — kann den Ausschlag geben in dem weltgeschichtlichen Ringen zweier Völker.‹ Wer ist stärker, frischer, zukunftsreicher? Rom oder das blonde Volk törichter Helden da drüben in den dunklen Wäldern?

Ich glaube, wir! So jauchzte mein — selber töricht — Herz frohlockend auf, und ich sprach zu mir: ›Feig wär es, dein Volk aufzugeben, solang es hoffen kann. Der Eid, den der sterbende Claudius Civilis am Hügel seines — meines — großen Ahnherrn Armin seinem Sohne, meinem Namensgenossen, Merowech, abnahm, den wir alle wiederholt haben, von Geschlecht zu Geschlecht; er bindet mich an das Leben, solang mein Volk lebt. Mein Volk, das heißt, der Stolz auf mein Volk hat mich gesund und rein erhalten in der Krankheit und dem Schmutz eurer verpesteten Städte; ich schulde ihm Dank. Und ich liebe sie so heiß, diese einfältigen Helden mit den Riesenleibern und den unberatnen Knabenherzen, die jede Begeisterung fortreißt: bald in den herrlichsten Heldentod, bald in die zweckloseste Dummheit. Ja, viel, viel lieber sind mir meines Volkes Fehler als euere Vorzüge. Mein Volk ist mein alles!‹«

Wieder schwiegen wir beide, tief ergriffen. Nicht ohne Neid sah ich auf den Mann, der das so wahrhaftig von sich sagen konnte! »Mein alles«, dachte ich, »ist mir das Römerreich nicht. O nein! Die Götter, das Wissen von den Göttern, mein Ruhm — (ach ja, gar sehr) — und Helena ...« Da riß mich's fort. »Freund«, sprach ich nachdrücklich, »hast du nie ein holdes Weib geliebt?«

Er stockte plötzlich in seinem erregten Auf- und Niederwandeln. Er blieb dicht vor mir stehen und kreuzte die Arme über der breiten Brust. Dann begann er: »Man spricht nicht von solchem. Aber, da es zu dem andern gehört, mögt ihr — als die einzigen — es wissen. Ja, vor acht Jahren war's. In Attika. Da blühte eine Jungfrau! Unsagbar schön. So denk ich mir eure Artemis. Auch sie war mir gut, glaub ich. Ihr Vater hätte sie mir nicht verweigert. Ich aber bezwang mein Herz und schwieg — und schied.«

»Warum?« fragte Jovian hastig. Dann errötete er. »Ich will kein Mischgeschlecht erzeugen. Sollen wir Germanen allmählich verrömern wie die Gallier? Die Könige wenigstens der Franken sollen nicht Hälblinge sein. — Es tat sehr weh. Ich trug's für mein Volk. — Genug. Ich kann nicht mehr. Ich muß in die Luft — in die Einsamkeit — unter die Sterne ...«

Und rasch war er aus dem Zelt verschwunden.

Ich aber fand keinen Schlaf in jener Nacht. Eine ganze Welt neuer Sorgen war mir aufgestiegen bei den Worten des Franken. Ist es so, wie er sagt? Sind diese Germanen mehr als staatsunfähige Räuber? Das wäre dann die Hauptfrage unserer Zukunft. Bah, ich kann's, das heißt, ich will's nicht glauben. Sowenig die alten Götter tot sind, so wenig starb der Beruf Roms zur Weltherrschaft.

Ein einziger begeisterter Mann könnte die gestürzten Götter, könnte die gehemmte Weltherrschaft Roms wiederherstellen. Weh, daß Constantius der Imperator das nicht kann, und daß Julianus, der Cäsar, das nicht darf!

Aber einprägen will ich mir diese Iden des Juni. Und den überwältigenden Eindruck dieses Germanen. Und nie mehr in »griechischer Leichtherzigkeit« die Germanengefahr unterschätzen. — Als Jovian sich verabschiedete, fragte ich ihn: »Würdest du ein geliebtes Weib aus solchen Gründen aufgeben?« Er errötete wieder. Nach einer Weile sprach er fast traurig: »Ich fürchte, nein. Solche Leidenschaft — es ist wie Wahnsinn, aber heiliger — für unser Volk habe ich nicht. Ach, wir sind kein Volk. Wir sind nur ein Reich; aber kaum mehr ein römisches. Dieser sonst so kühle Germane; ich beneide ihn um solche Glut. Mag sie auch Torheit sein und eitle Hoffnung.« O ihr Götter! Hätte ich nur auf ein paar Jahre die Macht in Händen! Ich wollte alles, alles wenden. Ein Mann genügt, auch ein Volk wieder zu schaffen, unter der Gunst der geretteten Götter!


Zweiunddreißigstes Kapitel

Ach, Jovian hat recht! Wir sind kein »Volk«, kaum noch ein »Reich« von Römern. Meine Scharen, aus allen Völkern der drei Erdteile zusammengewürfelt, fechten wacker, aber sie sind keine »Römer«, kein Volksheer. Sie haben keine Vaterlandsbegeisterung mehr und keine Zucht der Pflicht. Ich weiß, sie lieben mich, weil ich sie zum Siege führe und menschlich behandle; und doch meutern sie schon wieder, wie damals zu Mainz!

Voconius und Berung, die des Heeres Vertrauen haben wie das meine, melden: Einen andern Feldherrn hätten die Grollenden jetzt erschlagen; mich mögen sie leiden, deshalb schimpfen sie nur. Aber zum Gehorsam reicht ihre Liebe zu mir nicht aus. Römische Legionen! Und ich heiße »Cäsar«. Oh, vergöttlichter Julius, welche Schmach für deinen Namen!

Überzeugt durch die Worte Serapios bewilligte ich den Saliern ihre Bitte, in dem nun einmal von ihnen besetzten Lande wohnen bleiben zu dürfen, selbstverständlich unter Anerkennung der Oberhoheit Roms; ich wollte sie nicht durch ein Nein zu einem Kampfe der Verzweiflung treiben. Auch jene sächsischen Chauken, erfuhr ich, sind nicht aus Mutwillen in die alten Sitze der Salier eingedrungen, sondern wegen Mangel an Land, an Ackerboden, an Korn hat die Volksversammlung beschlossen: Der dritte Teil all ihrer Sippen, durch Runenlosung, also durch der Götter Auswahl bestimmt, müsse, Raum für die andern zu schaffen, auswandern mit Weib und Kind und Habe, und sich, ein heiliger Lenz des Volkes, eine neue Heimat suchen. So wird Serapios Zeugnis über die Landnot bewahrheitet.

Um aber die bedrohte Grenze zu sichern, ließ ich drei durch die Barbaren zerstörte Kastelle nahe dem Ufer der Maas wiederherstellen durch Teile meines Heeres, die während dieser Arbeit vom Waffendienst entbunden wurden. Eine dieser neuen Festen — die Erbauung machte schwere Mühe — habe ich zu Ehren des ruhmreichen Helden Herakles »Heraklea« genannt. Ach! Er war ein Halbgott, und eine hehre Göttin, die nicht log, verfolgte ihn. Ich bin nur ein Mensch, und mich verfolgt — Constantius!

Und mir trotzen meine eigenen Krieger! Hatten die Leute schon über die Schanzarbeit gemurrt, so gerieten sie in gefährlichste Erregung, als ich ihnen die Hälfte der mitgeführten Mundvorräte abnehmen mußte, um die Besatzungen in den hergestellten Festen zu ernähren. Ich hatte gehofft, wie im Vorjahr das Getreide verwerten zu können, das die Germanen auch hier gar fleißig gebaut haben; aber ich hatte den naßkalten Himmelstrich der Sumpf- und Waldlandschaften hier nicht erwogen. Das Korn stand in Fülle auf den Feldern, aber es war noch nicht reif.

So geriet es in einige Verlegenheit, das »leichtherzige Griechlein«. Aber die Undankbaren! Drohend erhoben sie sich gegen mich. Ging ich durch die Gassen des Lagers, schimpften sie mir nach: »Asiate!«, »Griechlein!«, »Dummkopf im Philosophenmantel«. (Letzteres verdroß mich bitter!) »Verhungern läßt uns deine Weisheit.« — »Haben wir doch, seit du in Gallien bist, niemals — gar nie — den längst schuldigen Sold erhalten. Vom Raube müssen wir leben!«

Ach, das ist leider wahr! Ich habe kein Geld, und Constantius sendet keins. Was ich unerläßlich brauchte, hab ich den Provinzialen mehr abgebettelt als abgedrungen. Diese Armen dauern mich ja am meisten. Soll ich ihnen abzwingen, was ihnen die Barbaren noch gelassen haben? O Reich der Römer, wie krank bist du, wie arm! Die reichsten Länder der Erde sind dein, und du hast nicht Korn, nicht Geld, deine Bauern hungern wie deine Krieger. Und ich, der ich die Heilmittel für dich kenne, ich darf nicht dein Arzt sein!

Ich bin überzeugt, Constantius läßt uns hier absichtlich darben. Er will nicht, daß meine Leute zufrieden seien, an mir mit Liebe hängen. Mein Heer ist das einzige, dem er auch die üblichen Jahresgeschenke nicht gespendet hat. Und jetzt weiß ich auch, weshalb er mir als außerordentlichen Finanzbevollmächtigten jenen Geheimschreiber Gaudentius geschickt hat: mich zu überwachen, daß ich nicht die Liebe des Heeres allzusehr gewinnen könne durch Geschenke. O ihr Götter, ihr wißt es, daß von euch allen den geringsten Verkehr mit mir pflegt Plutos — der des Reichtums!

Neulich spürte ich — (ich sah es nicht, denn ein Spiegel zählt weder zu eines Philosophen noch zu eines Feldherrn Hausgerät) — beim Schließen des Panzers am Halse, daß mein Bart allzu lang und wirr gewachsen war in diesen Wochen. Nach einer alten Lagersitte bat ich den längstdienenden Fahnenträger — (es war Voconius) —, mir ihn statt mit dem Schermesser mit dem Dolch abzuschneiden, und dann reichte ich ihm dafür — ebenfalls nach eingewurzelter Feldzugsitte — vor den Waffengenossen die Hand und ein kleines Geldgeschenk.

Sofort erklärte Gaudentius, der zugegen war, er müsse solches Buhlen um die Gunst der Krieger und solche Geldvergeudung mißbilligend dem Imperator melden! Die Gunst der Krieger, die mich mit Schimpf Worten verfolgen! Mit Mühe gelang es meinen Bitten, meinen Beschwörungen, sie wieder zu besänftigen. Jene Scheltrufe? Ich tat, als hätte ich sie nicht gehört. (Aber sie ärgerten mich stark.)

Für meine armen Legionen hat man nicht soviel Geld, ihren Sold zu bezahlen. Aber von den Barbaren schimpflich zu erkaufen, was Rom früher von ihnen zu erzwingen stark genug war; dafür sollte mit vollen Händen verschwendet werden.

Für die Verpflegung unserer Besatzungen am Rhein sind wir angewiesen auf die Getreidezufuhr aus Britannien, von den Rheinmündungen her. Die Franken sperrten uns diesen Verkehr; sie beherrschten den Strom! Da wollte ihnen Gaudentius zweitausend Pfund Silber — (offenbare Schätzung!) — zahlen für die Erlaubnis unserer Schiffahrt bis in die See. Diesen schmählichen Handel aber vereitelte ich! Ich erzwang unseren Schiffen freie Fahrt. Mit sechshundert Segeln — (meist nur kleinen Frachtschiffen) — fuhr ich den Strom zu Tal, von denen ich vierhundert in den letzten zehn Monaten selbst hatte bauen lassen. (Du siehst, ich habe fleißig geschafft: Helena, den Göttern, Maximus, und meinem Schlaf brach ich an den ihnen gebührenden Stunden ab.) Dazu verwendete ich jenes Silber.

Nun habe ich auch die britannische Insel gleichsam wieder entdeckt; wenigstens für Rom war sie seit Jahren wie vom Meere verschlungen; jeder Zusammenhang war uns durch Franken und Sachsen, die den Obergang beherrschten, abgeschnitten. Jetzt kamen zuerst wieder Nachrichten von der Insel zu uns. Aber welche Nachrichten! Klagen der Verzweiflung! Die Römer dort können sich der Einfälle der räuberischen Kelten — der Pikten und Skoten — nicht mehr erwehren, die längst über die gegen sie errichtete Piktenmauer eingebrochen sind. Nicht nur hoch im Norden York, selbst Colchester und sogar London sind bedroht. Ach, an allen Grenzen dieses götterverlassenen Reiches hüpfen die Barbaren über die alten Schutzwehren! Oh, wer überall helfen dürfte: in Amida, in London, wie in Köln. Es reizt mich gar mächtig, dem großen Julius auch darin nachzuahmen, selbst auf jenem Nebeleiland zu landen. Wie schön würde das klingen: »Die Themse wie den Rhein hat Julianus wieder zu römischen Flüssen gemacht.« Allein Jovian hielt mich zurück; er hat recht: »Zuerst das Notwendige, dann das Glänzende«, sagte er. Ich bin in Gallien noch nicht zu entbehren. So schickte ich mit schmerzender Entsagung den Waffenmeister Lupicin mit herulischen Söldnern und zwei römischen Abteilungen von Boulogne nach Dover, vor allem um London Hilfe zu bringen.

Ein blutiges Abenteuer, ein echt germanisches, mitten im Lager des Cäsars! Ja, wer sich Wölfe hält, darf sich nicht wundern, daß sie beißen; wie andere Geschöpfe, so auch die Mitwölfe in ihres Herrn Dienst.

Gegen die meist zur Nacht unternommenen Streifzüge der Chauken und der Chamaven waren dem römischen Gebiet schon vor meinem Eintreffen seltsame Verteidiger erstanden; wider jene Räuber »Gegenräuber«. Ein Franke, ein Sugamber, Charietto, hatte früher vielfach an solchen Raubzügen gegen uns sich beteiligt. Dann aber ward er von seinen Stammesgenossen wegen irgendeiner Untat auf Antrag ihres alten Königs Mälo friedlos gelegt und floh als Oberläufer zu uns. Der riesenstarke und listige Räuber rächte sich: Er versteckte sich mit ein paar Raubgesellen, zumal einem Genossen solcher Friedlosigkeit, einem Chamaven, Chercho, in den dichtesten Wäldern, beschlich nachts die Dörfer oder Höfe, oder auch die Lager seiner germanischen Stammesgenossen, schnitt den Schlafenden, auch Weibern und Kindern, die Köpfe ab und brachte sie nach Trier oder Köln, wo er von den römischen Beamten für jeden Kopf einen Solidus erhielt.

Ich kann nicht sagen, daß mir diese Art von Kriegsführung sonderlich gefiel. Aber der Krieg und die Not machen hart. Ich nahm die wilde Schar in Dienst — (die Zahl wuchs rasch an) — und verwendete sie, wie der Jäger die Wolfsund Eberhunde, die er in das für Menschen undurchdringliche Dickicht treibt und so die Bestien hier aufstöbern und auf der andern Seite sich entgegenhetzen läßt. So benutzte ich geraume Zeit diese Kerle, aus den ihnen vertrauten Sümpfen und Wäldern die darin verborgenen Germanen von Nordwest her meinen auf der Südwestseite harrenden Kohorten entgegentreiben zu lassen; jenes nächtliche Kopfabschneiden verbot ich ihnen.

Eines Morgens waren Charietto und Chercho aus ihrem Zelt verschwunden. Sie kamen nicht zurück. An ihrer Statt erschien Serapio bei mir, leicht am Arme verwundet. »Sie sind tot«, sagte er, »beide. Ich ahnte, daß sie trotz deinem Verbot ihr scheußliches Handwerk fortsetzten. Denn Gaudentius kauft noch immer — heimlich — Germanenköpfe. Ich ging ihnen entgegen in den Wald. — Richtig! Bald kamen sie daher mit vier abgeschnittenen Köpfen, darunter dem eines Weibes. Ich schalt sie Neidinge, mitten unter ihrem Troß, und schlug sie tot. Die andern flohen.«

»Höre, Freund«, fuhr ich auf, »wer hat dich zum Richter bestellt über römische Söldner?« — »Söldner? Schützt der Priester des Sonnengotts den Nachtmord?« fragte er dagegen und schritt hinaus.

Aus Rom kommt soeben ins Lager seltsame Kunde. Noch hat der Tag von Straßburg sich nicht gejährt; und der riesige König Chnodomar ist tot!

Der Imperator hatte ihn eingebannt zu Rom in den Zelten der Fremden auf dem cälischen Hügel. Der Gefangene ist, schreibt man von dort, nie mehr ganz aufgewacht aus jenem dumpfen Brüten, aus jener Betäubung, in der er mir den Schwertstumpf vor die Füße warf. Er schwieg auf alle Fragen. Nur manchmal stöhnte er tief auf, schüttelte das rote Gelock und seufzte: »Es ist alles nichts! Es ist alles gleich. Es sind keine Götter. Auch Donar ist nicht.« Armer Mann, der nicht an Götter glauben kann! Lieber würde ich sofort sterben. Die Ärzte nannten seine Krankheit »Greisenkrankheit«. Aber er zählte etwa vierzig Lenze. Es war wohl eher schwermütige Verzweiflung.

Wieder eine Reihe Todes- und andere Unrechtsurteile hat Constantius gefällt. Die Furcht für seinen Thron als Mutter und der Haß gegen die alten Götter als Vater erzeugen miteinander in seiner Seele die Verfolgungswut gegen die Befragung der Götterzeichen.

Seine überall horchenden Lauscher berichten ihm: Ein Präfekt ließ sich von einem Zeichendeuter erklären, was ein Wiesel bedeutet habe, das ihm über den Weg gelaufen? Der Mann gesteht die Frage und wird geköpft. Ein Tribun befragt einen andern Wahrsager, was der wiederholte Pfiff der Spitzmäuschen ihm verkünde? Der Wahrsager wird gefoltert, der Tribun wird erdrosselt. Ein greiser Kaufherr leidet an der Gicht. Er läßt sich von einem (alten) Weiblein den geschwollenen Zeh besprechen nach einer (noch älteren!) altetruskischen Formel. Der Greis wird gehängt, das Weiblein lebend verbrannt. Warum all das? Weil bei diesen Befragungen auch nach der Zeit des Todes des Augustus und nach dem Namen seines Nachfolgers geforscht werden konnte! Das genügt! Eine Frau, von ihrem Buhlen angestiftet, bezichtigt ihren Ehemann, er verberge heimlich einen Purpurmantel im Hause. Der Mann wird wegen Verdachtes der Empörung hingerichtet; hinterher gesteht das Weib die Lüge. In Perigeux verklagt ein rachsüchtiger Sklave seinen Herrn, er habe sich zwar nicht aus purpurfarbnem Stoff, aber ganz nach dem Schnitt der Chlamys des Augustus einen Mantel fertigen lassen für festliche Gelage, wie sie dort mit reichem Aufwand üblich sind. Dem Aquitanier wird das Leben geschenkt, aber das Vermögen eingezogen. Und ihr duldet das alles im Reich Marc Aurels, ihr unsterblichen Götter? Ein solcher ... Mann darf herrschen über Rom? Neulich nannte er sich selbst — anstatt wie seine Vorgänger etwa: »Meine Hoheit« — vielmehr: »Meine Ewigkeit«, »eternitas mea!«, »Herr der ganzen Erde«. Ist das nicht Hybris, welche die Nemesiaes heraufbeschwört? Ewig! Nicht einmal alle Götter sind ewig, nur der oberste.

Aber ich hasse auch die so beliebte Verurteilung, das heißt Ausplünderung von reichen Leuten, unter dem Vorwande des Hochverrates: Constantius schenkt ihnen dann wohl zuweilen das Leben, nimmt ihnen aber alle Lebensmittel. Neulich verklagt bei mir ein solcher Angeber — (Delphidius heißt er) — den reichen Statthalter der Narbonnensis. Da er dem Leugnenden nichts beweisen kann, weise ich die Klage ab. »Ei, aber Cäsar«, ruft er ärgerlich, »wenn es genügt, zu leugnen, wird man keinen mehr verurteilen können.« — »Und wenn es genügt, anzuklagen, wird man keinen mehr freisprechen können«, erwiderte ich und sprang auf von dem Tribunal.

Philippus schickt mir da — (als Nachschrift auf einem kleinen Zettel) — eine seltsame Warnung: Er habe (wieder einmal) die Sterne nach meiner Zukunft befragt. Ich solle nie »Phrygia« betreten, dort drohe mir Todesgefahr. Nun, es sieht nicht danach aus, daß ich je vom Rhein an den Mäandros komme. Die Todesgefahr liegt mir hier erheblich näher!


Dreiunddreißigstes Kapitel

Wieder ein paar Wochen ohne Ruhe zum Schreiben!

In starken Märschen — (denn abermals galt es Überraschung!) — eilte ich vom Unterlauf des Rheines bis Mainz und überschritt hier den Strom; drohenden Bewegungen der Alemannen zuvorzukommen und das linke Rheinufer durch Wiederbeherrschung des rechten zu sichern: Dieses ist das einzige sichere Mittel, und — echt cäsarisch! Auch drängt mich noch eine besondere Pflicht über den Rhein zu jenen Alemannenkönigen. Seit Jahren haben sie, während der Wehrlosigkeit unserer Grenzen, zahllose Gefangene aus unsern Villen, Dörfern, Städten fortgeführt; viele waren geschickte Arbeiter in allen Handwerken, die sie als Lehrmeister verwenden.

Das soll nicht sein. Das Wenigste, was ein Untertan des Reichs verlangen kann, ist doch, daß er nicht fortgeschleppt wird wie ein Rind von Bären. Und dann — je mehr diese Barbaren lernen, desto gefährlicher werden sie; nicht als Feinde nur; als immer mehr Genuß und Bildung verlangende Nachbarn.

So habe ich in diesen Monaten mir möglichst genaue Verzeichnisse aller aus unserem Gebiet gefangenen Fortgeschleppten anfertigen lassen von den Behörden des Orts und den geretteten Familienmitgliedern. Alle müssen mir die Barbaren herausgeben! Ach, in vielen wachen Nächten — (neben Libanius und Maximus) — las ich in diesen schmach- und trauervollen Listen! Und mein glückliches Gedächtnis — (in diesem Fall »unglücklich«) — prägte mir genau die Namen ein, auch wie viele und welche auf jeden der feindlichen Könige fallen.

Serapio entließ ich hier auf Besuch zu seinem Vater, unter dem Versprechen, sich in Paris wieder zu stellen, sobald ich dort die Winterquartiere beziehen würde.

Mein Vordringen geriet unerwartet ins Stocken: aus unglaublichem Grunde! Der Führer der Vorhut, Severus, ein alter Kriegsmann (noch bei Straßburg hat er sich gut bewährt), verfiel in Furcht; nicht vor den Heeren, aber vor den Wäldern der Germanen. Ich gestehe, sie haben etwas Grauenerregendes, ich dringe auch nicht gern hinein: Helios erscheint wie unmächtig in diesen dunkelgrünen Schatten der dicht ineinandergewachsenen Wipfel. Aber was tut Severus? Er zwingt — (unter Todesdrohungen) — die landeskundigen Wegweiser, die ich ihm mitgegeben und die ihn raschen Schritts ins Innere führten, auszusagen, sie könnten nicht weiter, sie wüßten nicht mehr Weg noch Steg!

So erlahmte das Vordringen, bis ich eintraf, den Trug entdeckte, den baumscheuen alten Helden mit einem scharfen Verweis nach Paris sandte — (setz ich ihn ab, schickt mir der Imperator gewiß keinen bessern!) — und nun selbst die Vorhut in die unheimlichen Sumpfwälder führte. Denn die Germanen lieben es, ihr Rodland, das sie durch Axt und Feuer dem Wald abgerungen, das ihre Einödhöfe oder Dörfer und das Korn trägt (sowie die Wiesen des gelichteten Waldes, wo sie ihre Herden weiden), mit einem schwer durchdringlichen Gürtel von Urwald und Ursumpf zu umgeben. In diesem Grenzwald sperren und verteidigen sie jeden Zugang durch Verhack und Verhau; ist aber dieser Landhag durchbrochen, sind sie ziemlich wehrlos.

Sowie wir eingedrungen, flohen sie nach Nordosten weiter. Meine Leute, erbittert über die Beschwerden dieser Märsche durch Waldsumpf und Sumpfland, hausten arg mit der Fackel: Saaten und Gehöfte und Dörfer verbrannten sie, einzelne Menschen, die sich verspätet hatten, Greise, Weiber, Kinder, hieben sie ohne Erbarmen nieder, was sie von Vieh erreichen konnten, schlachteten sie — aus Bosheit, um die Barbaren nach Kräften zu schädigen.

Ich kann's nicht hindern, kann nicht überall sein. Auf meine Mahnung zur Menschlichkeit antworten sie mit Lachen, die frömmsten, das heißt gebeteifrigsten Galiläer nicht minder als meine sterneanbetenden numidischen Schützen zu Roß. Bellona ist die schrecklichste der Göttinnen!

Die furchtbaren Leiden ihrer Gauleute mürbten endlich die harten Herzen der grimmigsten zwei Alemannenkönige, die bei Straßburg gegen uns gefochten und blutend das Feld verlassen hatten: König Suomar und König Hortari erschienen selbst in meinem Lager, baten um Frieden und unterwarfen sich. Prächtige Männer, auch in dieser Lage noch ihrem Stolze nichts vergebend: »Der Ungunst der Götter weichen wir«, sagten sie, »um der Not unseres Volkes willen.«

Als ich ihnen — (sie verstehen trefflich Latein) — erwiderte, ihre Götter seien eben nur Dämonen, schwächer als die meinigen (wagte ich zu sagen, obwohl Gaudentius lauernd zur Seite stand), schüttelten sie trotzig die gelben Mähnen, und Suomar rief: »Nichts ist gewaltiger als unsere Götter.« — »Ausgenommen das Schicksal«, schloß Hortari ernst.

Seltsam! Ich staunte. Also bei diesen Barbaren im Neckarsumpf die gleiche Vorstellung wie bei Homer; eine Schicksalsnotwendigkeit, mächtiger als der Wille der Götter. Woher mag das kommen? Welche Fragen der Philosophie, der Religionsgeheimnisse drängen sich mir auf mitten im alemannischen Grenzwald!

»Und die Götter zürnen uns offenbar«, begann Suomar aufs neue. »Oder das Schicksal hat — gegen Wodans und Tius Wunsch — uns Unsieg zugewogen. Die Nornen woben es so; auch sie weben, wie sie müssen, nicht wie sie wollen. — Was verlangst du, o Cäsar?«

Diese Frage riß mich aus meinem religionsphilosophischen Staunen in die Pflicht des Dienstes zurück. Ich befahl: »Ihr habt fortan die Besatzungen zu verpflegen in den von mir erneuerten Kastellen auf dem rechten Ufer, habt in Wagenfuhren Baumstämme und Steine herbeizuschaffen für die Verstärkungsbauten.« Sie nickten schweigend. Ah, das war mir ein Augenblick übermenschlicher Lust.

Ich, das Philosophlein Julian, habe diese knirschenden Waldkönige gezwungen — wie Probus, der neun Germanenkönige knien sah vor seinem Zelt —, wie in den größten Tagen Roms, an den Zwingburgen selbst zu bauen, an den Ketten selbst zu schmieden, die ihnen Land und Leute in Fesseln schlagen sollen!

Suomar seufzte schwer. Hortari schlug ihm tröstend auf die Schulter: »Es währt nicht lang«, sprach er. Aber so viel Alemannisch hab ich verstehen gelernt. Zornig fuhr ich den Tröster an: »Jetzt schon sinnst du auf Treubruch?«

Doch unerschrocken erwiderte der Germane: »Nicht doch. Aber du stirbst, wir sterben; unser Volk stirbt nicht. Stark ist ein Vertrag, stärker ist die Not. So gewiß der Neckar in den Rhein geht und der Rhein ins Meer, so gewiß gewinnen wir wieder, was du uns jetzt abgezwungen.«

Der Gedanke, die Unheilsweissagung Serapios!

Auch aus dem Munde dieses Barbaren, der nicht lesen, nicht schreiben kann! Also ist das kein Geheimnis Erlesener unter ihnen? Die Ungeschulten, die Rohen glauben an diese ihre sieghafte Zukunft? Schlimm! — Zornig fuhr ich ihn an: »Schlecht steht es dem besiegten Barbaren an, der hier in meinem Zelt um Frieden betteln muß, zu drohen! Warum wähnst du, ihr werdet siegen?« — »Das wähnen wir nicht«, sprach der andere, Suomar. »Das wissen nur die Götter.« — »Oder das Schicksal«, schloß Hortari. »Vielleicht gehen wir unter, vielleicht ihr. Aber Friede wird nicht zwischen uns. Wir gewinnen das Land, das wir brauchen und das ihr uns vorenthaltet, oder wir verhungern.«

Wieder dies Wort! Ein Kampf ums Leben; auf Tod und Leben also. Ärgerlich riß ich mich los von diesen bedräuenden Gedanken. »Außer jener ersten Bedingung lege ich euch noch auf: Herausgabe aller Gefangenen, die ihr fortgeführt.« — »Es sind viele, o Cäsar.« — »Ebendeshalb.« — »Die uns Königen gehören, können wir freigeben. Aber die unsern Heermännern als Beute zugefallen ...«

»Alle!« herrschte ich sie an. »Und damit ihr's wißt: Es sind 5783!« Sie staunten. Ich winkte Jovian; er zog viele Papyrusrollen aus meiner Schildpattkiste. »Auch ich habe Götter«, rief ich, »und meine Götter zürnen mir nicht und haben kein Schicksal über sich. Wohlan, sie haben mir die Namen aller der Unglücklichen offenbart, die ihr geraubt. Gebt sie heraus.«

Betroffen starrten die Barbaren vor sich hin.

»Du, Suomar, zum Beispiel«, fuhr ich fort — (auswendig, ohne in die Liste zu blicken, dank meinem guten Gedächtnis) —, »du gibst heraus die Leute, die du aus der Villa des Summus Barbatus zu Altrip geraubt, nicht nur ihn, auch Felicitas, seine junge Gemahlin.« Der Barbar fuhr zusammen. »Deine Götter ...« stammelte er, »wissen viel ...« — »Alles. Und das meiste vertrauen sie mir. Du, Hortari, bringst Forestarius, den Grammaticus, zurück nach Mainz mit Angelica, seiner anmutreichen Tochter. Fort! Und gehorcht.«


Vierunddreißigstes Kapitel

Ich schreibe nun wieder aus diesem Lehmnest Paris, in dessen Gassen man im Kot versinkt, sobald es geregnet hat. Aber ich habe ihn doch liebgewonnen, diesen stillen Winkel an der Seine! Hab ich doch hier zuerst ungestört und lange mit meinem geliebten Weibe gelebt und erfreue mich dessen nun wieder. Es ist nicht zu sagen, wie glücklich wir sind! Nur ängstigt mich im geheimen ihre allzu zarte Gesundheit. Sie kann sich nicht erholen von den Arzneien jenes Niger.

Die Truppen habe ich in ihre gewohnten Winterquartiere verteilt und Jovian abermals nach Italien gesandt mit Anträgen an den Imperator, mit Briefen an die edle Eusebia, an Mutter und Schwester, denen jene durch ihre Güte die Haft erleichtert, in der sie als Geiseln meiner Treue am Hofe festgehalten werden. Nie erfüllt Constantius des treuen Jovianus Liebeswünsche. Und ich, der Bruder, der Cäsar, habe nicht einmal soviel Macht, die Hand der Schwester in die des Freundes zu legen!

Allerdings, auch die Mutter würde dem Ungetauften die Tochter nicht geben; hier würde mir ein schmerzlicher Kampf drohen, denn nie würde ich dulden, daß Jovian die Taufe nehme! Ich bin so stolz auf sein altvererbtes unbeflecktes Heidentum! (»Hellenisten« nenne ich lieber die Verehrer der Götter.) Allein, dieser Streit zwischen Mutter und Freund bleibt mir erspart, solange Constantius lebt.

Seinem Worte getreu ist Serapio wieder eingetroffen. Wie lieb ich diesen seltsamen Barbaren, der mit Helena und mir die freien Abendstunden — (die einzigen, die ich der Arbeit entziehe) — in der Ilias liest oder über die Lehren des Maximus oder über die Mysterien des Osiris mit mir streitet. Er hält mit seinen letzten Ansichten über die höchsten Fragen gern zurück, doch verhehlt er nicht; sie widersprechen stark den meinen. Neulich, als ich ihn drängte, mehr zu sagen, lächelte er fein und sprach: »Ich bin erst vierunddreißig Jahre, Julianus. Ich bin noch nicht über alles im reinen mit mir.«

Der Spötter! Ich zähle freilich erst siebenundzwanzig! Aber schon seit drei, oder doch seit zwei Jahren, bin ich fertig mit allem! Unumstößlich stehen mir meine Lehren fest. Oh, dürfte ich einmal in einem großen Redekampf vor allem Volk orthodoxer Galiläer — »Athanasianer« werden sie von den Ketzern genannt — Arianer, Semi-Arianer, Donatisten, Juden, und auch dich, o Lysias, mit deinen kindlichen Göttergeschichten widerlegen! Mit Serapio streiten ist dagegen kein Vergnügen; er ist so skeptisch, so kritisch! Er verlangt von mir Beweise für Dinge, die sich mir ganz von selbst verstehen.

Jovian ist zurück. Er berichtet Trauriges: Die Tage der herrlichen Eusebia sind gezählt! Philippus hat erklärt, all seine Wissenschaft könne dies zarte Leben nur noch auf kurze Zeit erhalten. Sie weiß es, und sie trägt wie ihre Leiden so die Gewißheit baldigen Todes mit wunderbarer Kraft und Ergebung. Sie betet viel, zusammen mit meiner Mutter. Auch meine Schwester gleitet, wie ich fürchte, wieder tiefer und tiefer hinab von der Höhe, zu der ich sie erhoben hatte durch meine Briefe; herab zu dem Glauben der Mutter, der Freundin. Diese sind ihr nah, sie sprechen, sie wirken durch Blick und Stimme; ich bin fern und muß schreiben! Und habe doch nicht die Zeit, auch noch die Schwester durch lange, häufige Briefe bei dem wahren Gotte festzuhalten.

Traurig ist mein Los hierin: Jovian schweigt zu meinen Lehren, Serapio bestreitet sie gründlich, die Mutter ist überzeugte, überfromme, ja leidenschaftliche Galiläerin, die Schwester vielleicht auf dem Weg, es zu werden. Du, o Lysias, schweigst zürnend, weil ich deine Volksgötter nicht anbeten kann. So steh ich ganz allein! Nur Helena, meine geliebte Helena versteht mich ganz und teilt alle meine Ansichten. Freilich meinte neulich mit fröhlichem Lächeln die holde Törin: »Ich fürchte, glaubest du an den Galiläer oder an Teutates oder an Jehovah, ich teilte auch diesen Glauben mit dir.« Nicht sehr philosophisch und nicht gerade ein Beweis für die Stärke meiner Beweise! Aber für die Innigkeit ihrer Liebe, und das ist mehr!

O Lysias, klage, weine mit mir: Eusebia, die gütevolle, der ich alles danke: Leben, Freiheit, Helena, Ruhm und Ehre — alles (ausgenommen die Erlösung von der Kirche, die ich dir schulde) —, die edle Frau, sie ist nicht mehr!

Ihr Herz war krank, berichtet Philippus, unheilbar krank. Sie schrieb mir durch den treuen Arzt. Sie diktierte ihm das Schreiben wenige Stunden vor ihrem Tode. »Mein Freund! Wenn du diesen Brief — den ersten und den letzten von Eusebia! — erhältst, hat deine Freundin ausgelebt, das will sagen, ausgelitten. Doch nein! Das war ungerecht, undankbar. Nicht ganz freudlos doch war mein Leben: Ich durfte dich und Helena beglücken. Dies, und die Stunden jener Vorträge, die du in dem uns beiden so teuren Athen hieltest, das sind die Freuden meines Lebens gewesen; wahrlich, sie genügen. Es schmerzt mich, daß du von dem Leben nach dem Tod anders denkst als ich, wie ich aus deinen Lehrbriefen an Juliana ersehe. Ich kann dir darin nicht folgen. Aber auch du glaubst ja an die Erinnerung unserer Seelen an dies Erdenleben; auch du glaubst, daß verwandte Seelen sich wieder finden und, nicht mehr getrennt von den Schranken des Erdenlebens, selig sein werden. In diesem Glauben rufe ich dir zu: »Auf selig Wiedersehn, mein Freund Julian.«

Was ist es doch, das so ergreifend zu mir spricht aus diesen sehnsuchtsvollen Worten? Sie rührten mich zu Tränen. Ich fragte Helena: »Was ist es, welch zartes Geheimnis, das hier zu mir redet?« Weinend barg sie das schmale Gesicht an meiner Brust. »Ein zartes Geheimnis! Du sagst es, ohne zu wissen, wie wahr du sprichst. Du ahnst es nicht, das Geheimnis, das die Freundin ins Grab mitgenommen. Und ich — ich werde es nie verraten.« Ich versprach ihr, nie danach zu fragen.

In der edlen Imperatrix verlor ich auch meine beste Fürsprache und Verteidigung am Hofe; das vorletzte Band, das mich mit Constantius verknüpft. Nun bleibt, uns zusammenzuhalten, nur noch Helena. Sie aber kann nicht in seinem Palatium meine Sache führen. Seit dem Tode meiner Beschirmerin schlagen, wie ich durch vertraute Boten des Philippus vernehme, meine Feinde, Eusebius und die übrigen Eunuchen, dann Marcellus, Florentius, Barbatio, einen noch viel lauteren, heftigeren Ton der Schmähung wider mich an. Diese Schmeichelkünstler verhöhnen, der Eifersucht und dem Neide des Augustus zu gefallen, auf das frechste all meine Taten, meine Erfolge, ja schon die Häufigkeit meiner Berichte. Und doch wissen sie sehr wohl, daß ich diese vielen Berichte einsenden muß — (über jede Kleinigkeit, wie ein Büttel dem Richter!) — auf strengen Befehl des Imperators, dessen ewig waches Mißtrauen stets von meinen Schritten unterrichtet sein will.

»Ekelhaft«, schreien sie in dem Palaste, werde dieses »Siegerlein«, der Affe im Cäsarengewande, der geschwätzige »Maulwurf« — (ich habe noch nie einen Maulwurf plaudern hören!) —, »dieser griechische Schulmeister, dieser Philosoph mit dem langen Ziegenbart, dieser Stubengelehrte, dieser Weichling (ich lasse während dieses strengen Winters — die Seine trägt Lastwagen — nur Helenas Gemächer erwärmen, nicht mein Arbeitszimmer), der jeden seiner Schritte übertreibend ausschmücke mit zierlichen Redensarten. (Ich kann doch meinem Lehrer Libanius keine Schande machen, und nun ja, mein Stil ist mir wertvoller als meine ganze Feldherrnschaft; ein Brief, den ich neulich an die Bürgerschaft meines geliebten Athen schrieb, gilt mir höher als meine Rheinübergänge.)


Fünfunddreißigstes Kapitel

Der Winter ging dahin unter unablässiger Arbeit. Sie zehrt an mir; ich bin gereizt, aufgeregt. Den Schlaf, den ich so oft mit Gewalt vertrieben, ich finde ihn nun auch nicht mehr für die zwei Stunden, da ich ihn suche.

Ich wehrte überall dem übermäßigen Steuerdruck, ich setzte die Kopfsteuer — die Steuer der Armen — stark herab, ich verfolgte die Beamten, die sich durch Erpressungen oder Unterschlagungen bereichert hatten, ich saß selbst zu Gericht und entschied in wichtigen Klagesachen. Aber auch für den nächsten Feldzug sorgte ich wieder vor; denn es ist kein Ende abzusehen mit diesen Germanen! Es ist, als hätten sie sich verabredet, Serapios Worte zu beweisen.

Im Mai nahm ich zu Paris Abschied von der geliebten Frau, die, immer lächelnd, versuchte, auch diesmal zu lächeln, mich über Schmerz und Sorge hinwegzutäuschen. Es gelang ihr schlecht; zuletzt warf sie sich in einem Strom von Tränen in meine Arme. Sie wird immer unirdischer! Schon auf Erden streift sie die Leibeshülle ab. Ich ließ Oribasius bei ihr, den weisen Arzt, und Serapio. Der versprach mir, über sie zu wachen. Keiner wacht treuer.

Für die Zufuhr der Vorräte aus Britannien hatte ich ja nun gesorgt. In der Tat, zu Ende des Winters trafen die ersten Sendungen von dorther wieder ein. Voraussehend hatte ich in Bonn, in Andernach, in Bingen, in Neuß, dann in Doorenburg, in Kleve, in Xanten die halbzerstörten Mauern wieder ausgeflickt und überall hier Vorratsspeicher angelegt. Die Barbarenkönige der Umgegend schafften nach dem vorjährigen Vertrage auf den eignen Wagen die Steine und das Holz herbei, und die Truppen zeigten besten Willen, bei der sonst unbeliebten Bauarbeit zu helfen. Stämme von mehr als fünfzig Fuß schleppten sie auf den Schultern heran. »Das tun wir dir zuliebe, Cäsar«, riefen sie mir zu, »nicht für den Imperator und nicht aus Pflicht, nicht für Sold, den wir fast nie erhalten.«

Nach diesen Sicherungen unternahm ich meinen dritten Rheinübergang; aber nicht von Mainz aus, wie alle meine Feldherrn — auch Jovian — rieten.

Warum? Ach, aus einem für die Mannszucht meines Heeres sehr beschämenden Grunde! Unser Erfolg bei dem Eindringen in die feindlichen Gaue setzt voraus, daß die im Vorjahr unterworfenen Könige Suomar und Hortari in unsrem Rücken Frieden halten, den sie bisher treu gewahrt. Nun liegen ihre Gaue gerade gegenüber Mainz. Ich aber — ich kann nicht einstehen für die Mannszucht meiner Scharen!

Sie lieben mich, sie vergöttern mich, aber sie gehorchen mir nicht! Gibt es zu plündern, gibt es weißarmige, goldlockige Germaninnen zu rauben, sie tun's vor meinen Augen und lachen meines Zorns. Ich finde nicht genug Gehorsame, die Unbotmäßigen strafen zu können. Und laß ich's auf das Äußerste ankommen, bei aller Liebe schlagen sie mich tot. Sollen die Barbaren Treue gehalten haben und das Heer des Cäsars treulos über sie herfallen? Soll ich diese Könige in meinem Rücken zu ergrimmten Rächern machen? Nein!

Weit unterhalb von Mainz setzte ich zur Nacht über den Strom, in vierzig Gondeln — (einst für Lustfahrten der römischen Villae bestimmt; es ist jetzt für Römer keine Lust mehr, hier zu gondeln!), mit nur dreihundert Leichtbewaffneten. Ich gebot, die Ruder einzuziehen und die Nachen treiben zu lassen, um uns nicht durch das Plätschern im Wasser zu verraten, während ich in dem Lager der Hauptmacht auf dem linken Ufer große Feuer anzünden ließ.

Der Streich gelang vollständig. Die Barbaren am rechten Ufer behielten aufmerksam die Feuer im Auge, während ich ungehindert mit meiner Streifschar landete. Es war zwei Uhr morgens. Bis zu dieser späten Stunde waren, nach echter Germanensitte, bei den Trinkhörnern bei einem der Uferkönige viele benachbarte Fürsten zusammengeblieben. Auf dem Heimweg stießen die Ahnungslosen — (Wachen hatten sie wieder einmal nicht ausgestellt, Dank Ate!) — auf unsere Schar. Die Könige entkamen durch die Aufopferung ihrer Gefolgen; aber der Schreck vor uns fuhr weithin durch ihr Land. Die zur Verteidigung des Rheines Versammelten flohen auseinander. Nun holte ich auf einer Schiffsbrücke die Hauptmacht nach und zog tief ins Land der Alemannen hinein, sengend und brennend, Getreide und Gehöfte zerstörend, bis zu deren Grenze mit den Burgunden zwischen Jaxt und Kocher, da, wo einst die Marksteine unserer Herrschaft standen. Überbleibsel unserer alten Grenzschutzwehr fand ich noch vor. Ach, und hier umkehren müssen, statt die alten Grenzen herzustellen! Umkehren, weil ich nur Cäsar bin! Es ist bitter. Höre nur und ergrimme gleich mir!

Ich erfuhr durch Kundschafter und Gefangene, daß in dieser Gegend nur noch drei Alemannenkönige unbesiegt seien: zwei minder mächtige, Makrian und Hariobaud, dann aber der mächtigste, listigste, gefährlichste von allen — (er stand lange in römischem Dienst in Italien) —: Vadomar, im Südwesten des Alemannenlandes. Diesen Vadomar beschloß ich nun selbstverständlich anzugreifen und mit seiner Unterwerfung mein ganzes Siegeswerk zu krönen. Hatte ich auch ihm in seinem eignen Land den Frieden aufgezwungen, war jeder Widerstand gebrochen. Die Wegweiser waren gewonnen; das Heer hatte Befehl, am andern Morgen aufzubrechen gegen König Vadomar.

Am Abend vorher erschienen im Lager Makrian und Hariobaud, um sich unbedingt zu unterwerfen. Und er selbst: Vadomar! Aber durchaus nicht, um sich zu unterwerfen! Im Gegenteil! Er übergab mir — (zu meinem stärksten Staunen) — vertraute, ja vertrauteste Briefe — des Imperators! Ausdrücklich nimmt ihn Constantius in seinen Schutz und ermächtigt ihn, gegen jeden etwa drohenden Angriff des übereifrigen Cäsars Julian durch diesen Brief sich als Freund des Imperators auszuweisen und gegen jede Gefahr zu sichern.

Das ist doch von allen bisherigen Stücken und Tücken des feigen, falschen Tyrannen — (ich muß es einmal schreiben) — das äußerste! Aus Eifersucht auf meine Erfolge schließt er heimlich — (hinter meinem Rücken) — Verträge mit dem schlimmsten dieser Könige, die zu bekämpfen er mich ausgesandt! Ich soll nicht siegen, nicht zuviel, nicht völlig siegen! Und so mußte ich diesen Vadomar, einen Meister der Arglist — dem Feuergott der Germanen (ich habe den Namen vergessen) vergleichen sie ihn, seine Freunde und Feinde —, den mußte ich frei und ohne jede Demütigung oder Belastung abziehen lassen, mußte ihm versprechen, mein Heer, das hart an den Marken seines Gaues stand, diesen nicht beschreiten zu lassen! Umkehren mußte ich, statt den Sieg zu vollenden, schimpflich umkehren, vor einem Briefe des Beherrschers des Römerreichs! Mein Zorn ist groß! Mich dem Spotte dieses Barbaren preisgeben! Nie vergeß ich die höhnende Miene, mit der er beim Abschied fragte, ob er den Imperator recht freundlich von mir grüßen dürfe? Er schreibe ihm morgen und werde melden, wie gehorsam ich kehrtgemacht habe. O Constantius, wie haß ich dich ...!

Nachdem ich Endzweck und Abschluß meines Feldzugs vereitelt sah, kehrte ich nach Mainz zurück. Hier fand ich Briefe von Mutter und Schwester, die berichten, wie sie einer schweren Seegefahr entgangen; die fromme Mutter sah dabei den Galiläer leibhaftig auf den empörten Wogen wandeln, die sich unter seinen Füßen glätteten. Der Imperator beabsichtigte, von den ligurischen Häfen aus mit einer kleinen Flotte an meinem Gallien vorbei nach Spanien zu segeln, wo Unruhen ausgebrochen sind, die er selbst dämpfen wollte. Die verzweifelten Bauern schlugen die Steuereintreiber tot und scharten sich zu Räuberbanden zusammen.

Schon hatte er Abschied von den Meinen genommen in Mailand und war nach der ligurischen Küste vorausgeeilt, als sie plötzlich durch eilende Boten aufgefordert wurden, ihm zu folgen. Er lade sie ein, die Seereise nach Barcelona mitzumachen, die den leidenden Augen meiner Mutter gut gedeihen werde.

Constantius als Augenarzt! Offenbar wollte er sich der Geiseln meiner Treue fest versichert halten; vielleicht weil er nach seinem Aufbruch erst erfuhr, daß ich auf dem Wege zu jenem Vadomar begriffen war und alsbald dessen Freundschaft mit dem Augustus entdecken müsse. Er hat es wohl geahnt, wie mich dieser Verrat erbittern werde. Und er hält mich — (mich, Julian, den Priester des Helios!) — für fähig, jemals Eid und Treue zu brechen! Wie kann er so entehrend von mir denken, so ganz Unmögliches, so Schändliches?

Da ließ er sich denn schleunigst seine Geiseln nachkommen. Aber auf der Höhe von Marseille ward das kleine Geschwader in der Nacht von einem furchtbaren Sturm, von widerstreitenden Winden überfallen und völlig zerstreut. Zwei Trieren sanken vor den Augen der Meinigen. Das Schiff des Augustus sahen sie im grellen Scheine zuckender Blitze zurückgetrieben nach Osten, gegen Italien zu, während ihr Steuermann ihr kleines, leckgewordenes Schifflein, dem Versinken nahe, mit letzter Anstrengung noch in den Hafen von Marseille rettete. Ich habe den Göttern, die des Meeres walten, Poseidon und Amphitrite, reiche Dankopfer gelobt. Sobald ich an das Meer gelange, werd ich goldne Kleinode den Fluten darbringen, sie zu den Göttern hinunterzutragen.

Wohl wird der Augustus, sowie er erfährt, wohin seine Gäste verschlagen worden, alsbald ihre Rückkehr zu ihm befehlen. Aber er will ja demnächst nach Asien gegen die Perser ziehen. So hat es wohl eine Weile gute Wege. Auch in der gnädigen Errettung der Meinen aus solcher Gefahr sehe ich, dankbar und fromm, die besondere Gunst der Götter.


Sechsunddreißigstes Kapitel

O nein! O nein! Es ist Wahn, es ist eitel Selbsttäuschung! Ich bin den Waltenden nichts! Wie könnten sie sonst mit so grausamem Wehe mich schlagen! Ach, Lysias, ich bin in die tiefste Seele getroffen. Mein geliebtes Weib, meine Helena, mein Liebstes auf Erden — ist tot! Gestern traf Serapio hier in Mainz ein mit der Trauernachricht aus Paris. Sie schwand dahin wie eine holde Himmelsblüte, die der allzurauhen Luft der Erde nicht gewachsen war. Oh, was hab ich verloren! Alles, alles — ausgenommen die Götter und das Reich. Ihnen werd ich meine Pflicht erfüllen bis ans Ende. Allein die Freude an dieser Erfüllung, die Freude am Leben, die Freude an allem — zumal an mir selbst — ist dahin! Ihr konnte, ihr mußte ich alles vertrauen. Mit jeder Sorge, besonders aber mit jedem Triumph eilte ich zu ihr!

Es ist ja wahr — (du hast es schon dem Knaben vorgehalten) —: Ich bin eitel. Eitelkeit ist wohl mein schlimmster Fehler, aber die Götter wissen es: Helenas Lob oder doch ihr stiller Beifall war mir weitaus der liebste Lohn. Viel mehr als der laute Beifall des Heeres, die Lobesbriefe selbst des Maximus und des Libanius beglückte mich das holde Lächeln, der freudige Blick, womit mich bei der Rückkehr aus glücklichem Feldzug im stillen Gemach die Geliebte empfing. Ach, die Welt ward mir kalt und dunkel, seit sie starb!

Kampflos, schmerzlos, klaglos erlosch sie, wie eine Ampel, den Göttern geweiht, der die Nahrung, das heilige öl, ausging. Mein Name war der letzte Hauch von ihren Lippen. Serapio fing ihn auf und brachte ihn zu mir.

Dieser Barbar! Wie zartsinnig, wie feinfühlig, wie tief fühlig, wie treu mitempfindend hat er mir die Kunde gebracht, die Ausbrüche meines wilden Schmerzes aufgenommen und allmählich leise, leise gemildert.

»Erinnere dich«, sprach er ernst nach vielen Stunden, die er mich weinend verbringen ließ, »erinnere dich jetzt des schönen Glaubens, der sie und dich vereint. Kann ich ihn nicht teilen, muß ich ihn euch doch fast neiden. Sobald auch dich der Tod ereilt, werdet ihr, ihr nächstverwandten, liebevereinten Seelen, zusammen mit der Seele eures Heliodor, auf einem schöneren Stern ewig unscheidbar leben, nur immer zu höherer Seligkeit aufsteigend durch immer näheres Empordringen zu der Gegenwart des höchsten Gottes. Ihr seid eins in eurem Gotte. Wahrlich, deine Helena hat ja auch von allen Wesen allein deinen ganzen Gottglauben und Götterglauben geteilt. Gibt es innigere Wesensgemeinschaft? Sie — und du — ihr seid Eins geworden.«

Kein Priester aller Religionen, kein Philosoph vermöchte mich mit so tiefem Trost zu trösten, wie dieser germanische Königssohn. Näher als je trat er meinem Herzen. Ich lieb ihn wie einen Bruder.

»Bruder!« Ach, das sollte mir Constantius, ihr Bruder sein! Aber wehe; ich fühlte es, der Tod seiner Schwester hat scharf und schnell auch das letzte Band zwischen uns zerrissen. Aus Rücksicht auf sie hatte ich meinen Groll, meinen Haß, meine Verachtung gegen ihn gezügelt! Dieser Zügel barst; ich werfe den zerrissenen fort ...

Verfolgt mich doch der Glaubenswahnsinn dieses Mustergaliläers bis in mein Allerheiligstes hinein; bis in meine Liebe, meine Ehe, meinen verzweiflungsvollen Schmerz um die Verlorene, bis in meine Trauer- und Ehrenbezeigung für die Geliebte! Selbstverständlich würde ich, nach dem frommen schönen Brauch unserer Ahnen, den holden Leib den reinen Flammen übergeben und die heilige Asche, schön bekränzt, in schöner Urne an schöner, geweihter Stätte aufbewahrt haben. Allein sehr weise hielten mich Serapion und Jovian von solchem Vorhaben ab. Auf das strengste, bei schwersten Strafen verbietet Constantius das Verbrennen der Leichen. Der Zwangsglaube, der uns auferlegt ist, haftet an ein paar Worten der Bibel, die von »Erde« und »Staub« reden, aus welchen der Mensch gebildet sei, zu welchen er zurückkehren müsse. Wenn nun aber ein Mensch zufällig verbrennt, kann ihn dann der allmächtige Gott nicht auferwecken im Fleische? Und die Kirche selbst? Verbrennt sie nicht lebendige Menschen? Freilich, nur Ketzer!

Immerhin, meine Absetzung und Besserung in einem Kloster — (die fürcht ich am meisten!) — wäre die sichere Folge, verletzte ich, der Cäsar, so offen des Imperators Verbot an der Leiche seiner eigenen Schwester. So bleibt mir nur übrig, der teuren Toten, deren Einbalsamierung Serapion, aller ägyptischen Weisheitskünste kundig, angeordnet hat, ohne Verbrennung die würdigste Ruhestätte zu bereiten.

Ich kehre nach Paris zurück; es zieht mich heiße Sehnsucht, schmerzheiße, zu der Leiche meines Weibes — ach, all meines Glückes. Was ich nun noch erreiche im Leben — den Ehrgeiz, den Stolz, die Eitelkeit mag es erfreuen —, das Herz bleibt traurig leer, nur von der Erinnerung erfüllt. Ich darf dieser Sehnsucht folgen und zurückkehren: Die Truppen sind schon in die Winterlager entlassen. Ach, wie reizvoll war das Lächeln, mit dem sie mich empfing, kehrte ich aus dem Feldzug sieggekrönt zu ihr zurück! Und jetzt! Erst auf dem Stern unserer Verklärung werd ich dies Lächeln wiedersehn!

In Paris angelangt, eilte ich, sowie ich aus dem Sattel gesprungen war, in die Krypta der Basilika auf der Seineinsel, wo der Priester die Teuere beigesetzt hat.

O Lysias, laß mich schweigen von dem Schmerz, der mich durchzuckte, wie ich den gewölbten Deckel von dem dunkelroten Porphyrsarge hob, wie ich, ach, nicht mehr ihr Antlitz — das ganz veränderte der starren Leiche erschaute! Könnten die heißesten Tränen die Toten auf erwecken, sie wandelte wieder neben mir im Lichte des Helios. Jede freie Stunde — ich habe deren nicht viele — verwende ich, darauf zu sinnen, wie ich die geliebten Reste an einem Orte bergen kann und in einer Ausschmückung, die ihr und mir mehr entsprechen. Jetzt muß ich jedesmal mit Lüge und Heuchelei durch mir tiefverhaßte Umgebungen schreiten, zu meinem Heiligtum zu gelangen. Der Ostiarius, der Exorcista, die Subdiakone, die Diakone, der Priester, empfangen mich auf der Freitreppe der Basilika und führen mich, teils mir schmeichelnd, teils mich belauernd und dazwischen durch Gebete näselnd oder Lieder ableiernd, durch die Türe in das Schiff, das von dem süßlichen, mir so tief verhaßten Weihrauchqualm immerdar erfüllt ist. Dann muß ich im Vorüberschreiten vor dem Hauptaltar haltmachen, niederknien und ein paar Knochen des Märtyrers Stephanus, dann ein paar Schritte weiter einer Haarlocke der heiligen Anna meine heuchlerische Verehrung zollen, bevor sie mich durch das schmale Treppenpförtlein auf die Stufen schreiten lassen, die zu meiner Heiligen hinunterführen in das dumpfe, schaurige Gewölbe. So muß ich mir jedesmal den Zutritt zu ihr erkaufen durch den Eingangszoll der häßlichsten Heuchelei. Ich ertrag es nicht länger!

Serapio fand Rat. Dieser feinherzige Barbar merkte, wie ich unter jenen Lügen, unter den abscheulichen Eindrücken litt. Eines Mittags — mild schien die Herbstsonne aus dem wolkenlosen Himmel — wollte er mich zu einem Spazierritt abholen.

Erstaunt wies ich auf den Berg von Briefen, von Eingaben jeder Art auf den Tischen um mich her: »Es ist noch nicht Zeit, zu feiern«, sprach ich.

»Komm nur mit«, flüsterte er, näher tretend aus der Reihe von Schreibern, denen ich diktierte, während ich selbst die geheimeren Dinge schrieb. »Es wird dich nicht gereuen. Es gilt ihr, ihrer Ruhestätte. Dort kann sie nicht bleiben.« Ich sprang auf, folgte ihm in den Hof des Palastes, wo er bereits Argos, meinen Silberschimmel, hatte aufzäumen lassen, und ritt alsbald, seiner Führung folgend, auf dem linken, dem südlichen Ufer flußabwärts aus der Stadt und der Vorstadt, wo nur wenige Lehmhütten der ärmsten Bevölkerung stehen.

Bald hatten uns die raschen Rosse weit weg von allen Menschen und deren Spuren getragen, in den stillen Frieden eines dichten Buchenwaldes, der das ganze Ufer des Stromes bedeckt. Prächtig leuchteten die vom Reif braunrot gefärbten Blätter in dem hellen Mittagssonnenlicht. Es war hier so still, so friedlich, so feierlich.

Nachdem wir geraume Zeit in den Wald hineingeritten, auf einer wenig befahrenen Bauernstraße, sprang Serapio vom Pferd und führte es am Zaum in einen engen, stark verwachsenen Seitenfußpfad, den ich nicht wahrgenommen hatte. Er bat mich, zu folgen. Nach tausend Schritten etwa endete plötzlich der schmale Pfad in eine kreisförmige Wiesenfläche, von der offenbar ehedem die Bäume entfernt worden waren. Nun hatten sich auf dem vernachlässigten Raum wieder ein paar junge dünne Wildlingstämme erhoben.

Den Mittelpunkt der Rundung bildete ein kleiner Tempelbau, ein ländliches Fanum, wie sie in Gallien gar häufig den aus gallischen und römischen Gottheiten gemischten und so neubenannten Göttern und Göttinnen errichtet sind. Dies hier ward durch die außen an dem Gemäuer angebrachten vorspringenden Bilder — den Jünglingskopf in dem Strahlenkranz und den von vier Rossen nach oben getragenen Wagen — als ein Heiligtum des Helios, das heißt des römisch-gallischen Apollo Grannus bezeugt.

Es schien ganz verlassen und verödet, das kleine Weihtum; mancher Ziegel war abgebröckelt von den Seitenwänden und lag im hochwuchernden Grase. Gar einsam war es und still, wie es die Waldnymphen lieben.

Der Freund aber band unsere Pferde an den nächsten Bäumen fest, trat dann vor die verschlossene Tür und schlug in die Hände, einmal, zweimal. Da ward von innen ein Schlüssel in das verrostete Schloß gesteckt, es knarrten die Angeln der Pforte, sie ward nach außen aufgestoßen, und vor uns stand ein Greis in zerschlissenem, abgetragenem weißen Wollkleid, dessen hin und wieder noch erhaltene verblichene Goldfäden das ehemalige Priestergewand andeuteten. Groß war mein Staunen, als der Alte sprach: »Willkommen, du Sohn und Liebling des Helios! Lang harr ich deiner hier.« — »Wer bist du?« — »Ein Priester des Helios. Und der Gatte jenes Weibes, das sie als wahnsinnig zu Vienne einsperrten, weil sie ein altes Orakel aussprach: daß nämlich ein zweiter Julius Cäsar, eine Wiederkehr des ersten, aber genannt ›Cäsar Julian‹, Gallien zum zweitenmal erobern und dann die Götter herstellen werde. Das Orakel ist altvererbt in meinem Geschlecht. Vor mir erfuhr es die Arme, die sie, nachdem sie dich begrüßt hatte, als von höllischen Dämonen besessen, so lange durch Exorzismen heilten, bis sie tot umfiel.«

Ich seufzte tief, fuhr mit der Hand über die Augen; die blieben trocken. Ach, ich kann nicht mehr weinen; das tut am meisten weh. Ich drückte seine Rechte. »Armer«, sprach ich, »aber wie — wie kommst du hierher? Wie lebst du hier?« — »Ich war ehedem Priester in diesem Heiligtum, das die ganze Gegend fromm verehrte; ich hatte noch sechs Genossen. Als die Tempel geschlossen wurden, da ... da haben drei von ihnen die Weihe von Christus-Priestern genommen. Sie lesen jetzt die Messe zu Paris. Ein vierter, der es auch getan hatte, ward vor Reue wahnsinnig und sprang in den Strom da drüben. Zwei jüngere — ach, einer war mein Sohn, der andere mein Neffe — setzten sich zur Wehr, als die Boten des Bischofs und des Präfekten mich an meinem Barte von dem Altare zerrten, den ich mit beiden Armen umfangen hielt und nicht lassen wollte. Der Centurio, ein maurischer Söldling, erschlug sie beide und warf mich aus dem Tempel.

Mein armes Weib, das dabei den Imperator schmähte, ward von mir getrennt und nach Vienne geschleppt. Aber die Bauern der Nachbarschaft hingen noch heimlich an dem alten, seit der Zeit der Ahnen ihnen teuern Ort. Sie nahmen mich auf in ihre Lehmhütten, und einer nach dem andern verpflegte mich. Dafür erschließe ich ihnen manchmal heimlich das Heiligtum und bete mit ihnen zu Apollo Grannus. — Tritt ein. Sieh, es ist noch immer schön, trotz der Verwüstung durch den Mauren.«

Ich trat ein, klopfenden Herzens; der Alte rührte mich tief. »Aber«, sprach ich, »wenn sie dich ergreifen; der Bischof, die Beamten?« — »Sie sollen zwar nicht hinrichten um des Götterdienstes willen, aber sie würden mich mißhandeln, bis ich sterbe. So gehe ich nur um etwas früher zu Helios empor.« Wir standen nun in dem kleinen achteckigen Raum. Er war ganz leer, ausgeplündert, die Weihgeschenke geraubt, die goldnen und silbernen Ringe, die um die Säulen gereiht gewesen, sichtbar mit Axthieben abgesprengt, den vorspringenden Götterbildern an den Wänden Nasen, Arme, Köpfe abgehackt. Ich bebte vor Zorn!

»Das ist ja unschön«, sprach Serapio, »und friedlich. Aber man kann es leicht herstellen. Und seit ich zuerst vor ein paar Tagen auf einem einsamen gedankenvollen Waldritt diese Stätte entdeckt, stand mir der Gedanke fest: Hier, in diesem Frieden seiner Götter, an die er sie — die Schwester des Constantius — zu glauben gelehrt hat — wahrlich ein großes Wunder der Liebe —, hier muß sie ruhen, nicht in jener dunklen, dumpfen Krypta. Aber vollends ergriff mich der Gedanke, als ich dies entdeckte.«

Mit diesen Worten ergriff er eine in die Wand eingelassene Eisenstange und stieß sie nach oben. Sofort schlug das gewölbte eherne Dach des kleinen Weihturms zur Seite, und der ganze Innenraum ward erfüllt, durchleuchtet von dem strahlendsten Sonnenlicht.

Entzückt, begeistert schaute ich nach oben: »Strahl des Helios, schönstes Licht!« rief ich, des großen Sophokles gedenk. »Ja, Freund meiner Seele, hier soll sie ruhen. Nicht in der Nacht des Galiläergrabes. Hier soll ihr Sarkophag stehen, umflutet, geküßt von unserem Helios! Serapio, mein Bruder, ich danke dir. Wie kannst du so völlig mich, meine Wünsche so ganz verstehen; mehr als alle andern?« — »Vielleicht, weil ich dich liebe, o du törichter Schwärmer Julianus, mehr als alle andern. Lieben aber heißt: verstehen, verstehen nicht mit dem Verstand, mit der Seele.«

Nach dem Palatium zurückgekehrt, erklärte ich den Priestern der Basilika, die Leiche könne wegen der Feuchtigkeit nicht in der Krypta bleiben. Ich habe jenes Waldheiligtum entdeckt, es zu einem christlichen Oratorium bestimmt — (Helios verzeihe mir diese Notlüge) —, befehle aber schon jetzt, vor der Weihung desselben, die Übertragung des Sarkophags.

Wie leuchtete der Porphyrsarg der Toten, als ob er das unauslöschliche Leben in seinem Innern bezeugen wolle, wie ihn dort der volle Sonnenguß von oben traf!

Aber noch eine große, mein ganzes Herz erfüllende Freude habe ich mir — die letzte Ehre der Geliebten — angetan. Sie verschmähte jeden Schmuck. Die Gattin des Cäsars trug nicht Gold noch Silber noch Perlen noch Edelstein. Sie war so stolz-bescheiden, so vornehm-schlicht. Aber nach dem Sieg bei Straßburg erbeuteten wir in dem verlassenen Lager der Alemannen ein seltsames Geschmeide: eine siebenfache Hals- und Brustkette von jenem Stein, den wir »Elektron« nennen, die Germanen aber »Brennstein«, »Bernstein«, »Meergold«. Das gefiel ihr, »weil«, sagte sie, »mein Gatte, der Germanenbesieger, diesen echt germanischen Schmuck als Siegeszeichen heimgebracht hat.«

Und sie legte die siebenreihige Kette von tiefdunkelgoldnem Meergold gern um den weißschimmernden Nacken. Es ist eine gar eigenartige Zusammenstellung: Serapio sagt, auch bei ihnen seien so große, gleichmäßig runde Stücke selten; in der Mitte die größten, nach beiden Seiten der Kettenschnur sich verjüngend. Ich hatte mir vorgenommen, da sie Freude nur an diesem Schmuckstein hatte, ihr ein gleich schönes Diadem für ihre weiße Stirn zu verschaffen. Nach vieler Mühe war mir's gelungen. Teils aus erbeutetem, teils aus erkauftem Schmuck hatte ich während meines letzten Feldzugs eine solche Zahl schöner Kugelstücke des »Meergoldes« zusammengebracht, daß ein geschickter römischer Kunstschmied zu Mainz ein herrliches Diadem von fünf Reihen daraus fertigen konnte.

Ach, nicht mehr auf der Lebenden Stirn kann ich es drücken! Aber wunderbar war die Lichtwirkung, die blendende, als ich, nach der Übertragung der Toten in jenes Weihtum, ihr, unter bittern Tränen, die siebenreihige Kette um den Hals schlang und das fünfreihige Diadem drückte, auf das dunkelbraune Haar und auf die Binde von weißer Seide, mit Perlen bestickt. Wie nun durch das aufgestoßene Dach der warme Kuß des Helios auf sie fiel, da leuchtete alles an ihr, als wollte sie sagen: »Im Licht verklärt sehen wir uns wieder.«

Jede Stunde, die ich dem Reich abbrechen darf, verbringe ich hier, in diesem meinem höchsten Heiligtum auf Erden.


Siebenunddreißigstes Kapitel

O weh um das Reich der Römer! O weh um mich! O wär ich nie geboren! Nie Cäsar dieses Reiches geworden! Das Verderben bricht herein! Über das Reich, über Gallien vor allem, mein Gallien — wenn ich gehorche. Und über mich jedenfalls, ob ich gehorche, wie ich soll, muß, aber nicht kann, oder widerstrebe, wie ich nicht soll, nicht darf, und aber ach, auch nicht kann. Völlige Verzweiflung! Kein Ausweg! Untergang Galliens, des ganzen Abendlandes, und — nebenher — auch Untergang des Cäsars Julian! Oh, um einen alemannischen Speer in der Brust!

Das ist die Sprache eines Wahnsinnigen, denkst du, o Lysias? Mag sein! In dem fürchterlichsten Widerstreit der Pflichten tritt Verschuldung ein, unvermeidbare Verschuldung. Wohl dem, den vorher Wahnsinn umnachtet: nicht wie Orestes, nachdem er die schicksalsnotwendige Untat begangen hat.

Was geschehen ist? Constantius verlangt mein ganzes Heer — oder doch alles, was mein Heer zu einem Heere macht —, aus Gallien hinweg nach Asien gegen die Perser!

Es ist wahr! Unsere Grenze, nein, unsere Ehre vor allem fordert dort eine Verstärkung unserer Macht, nachdem Constantius und seine Feldherrn in jenen Landschaften abermals die demütigendsten Niederlagen erlitten haben. Aber das Reich ist weit; zahlreich sind seine Provinzen, in denen ganz unbeschäftigte Heere stehen. Leicht könnte man in Europa, aus Italien, aus Spanien, aus Illyricum, aus Rätien, aus Dalmatien, aus Istrien, aus Griechenland, dann aus ganz Afrika, wo tiefer Friede herrscht, aus Vorder- und Mittelasien, die viel näher der Persergrenze stehenden Heere dorthin ziehen; aber nein, aus Gallien, dem kaum wiedergewonnenen, vom Rhein, dem stets noch stark gefährdeten, hinweg, soll mein Heer gerissen werden.

Constantius verlangt die Knochen und die Muskeln aus dem Leibe meiner Scharen: Alle die, ausgedient, nach erneuertem Vertrage dienen, ferner alle germanischen Söldner, also die Heruler, die Sachsen und Friesen, die Markomannen und Quaden, sodann alle gallischen Truppen; also zum Beispiel die Petulates und die Braccati, dann die Schildener, ferner die Cornuti, und außerdem noch aus jeder Legion die dreihundert besten Leute, die sein Gesandter sich aussuchen wird! Das heißt der Zahl nach drei Fünftel, dem Werte nach die Kernkraft meiner Macht! Geschieht dies, so bin ich durchaus unfähig, Gallien zu behaupten. Ich muß den Rhein, die Loire, die Rhone, die Garonne aufgeben und, ohne Hoffnung, versuchen, an den Alpenpässen, die nach Italien führen, die Germanen von Mailand, von Ravenna, von Rom abzuhalten. Gallien — mein Gallien — ist der Rache der nun sofort wieder sieghaften Besiegten preisgegeben. Ich falle, Schwert in der Hand, irgendwo zwischen Rhone und Turin.

Helios der Allsehende ist mein Zeuge: Nicht das bewegt mich! Ob ich in Gallien im Siege, ob in Italien auf der Flucht, in der Niederlage, nach Verlust all meines jungen Ruhmes ende, es ist mir — (ich will nicht sagen gleichgültig, denn das wäre gelogen; aber es ist mir) —, wahrlich, nicht die Hauptsache, es ist nicht der Grund der Verzweiflung, die mich ergriffen hat. Rom, Rom, das Reich, Gallien, das ist's!

Und nun das Furchtbarste: Ich kann ihm ja gar nicht gehorchen, dem Befehl des Unheils, wie ich soll und muß, wie Pflicht und Ehre und Eid von mir verlangen! Denn — wehe, wehe! — Constantius bricht ja selbst seinen, ja meinen Eid bricht er durch diesen Befehl.

Feierlich hat er gerade diesen germanischen und keltischen und den Veteranenscharen versprochen — (und ich Unseliger mußte es beschwören!) —, daß sie nie wider ihren Willen aus Gallien sollten geführt werden. Ich weiß aber gewiß und genau: Nicht tausend, nein, nicht hundert gehen freiwillig. Und nun soll ich sie zwingen? Ich, mit nicht dreitausend gegen vierzehntausend? Und ich, gegen jenen Eid, den Helios, hell vom Himmel scheinend, bezeugt hat?

O Lysias, Lehrer meiner Knabenzeit! O Maximus und Aedesius und Libanius, ihr Lehrer meiner Reifung! Hier versagt alles, alles. Glaube und Wissenschaft und göttliche Geheimnisse und menschliche Forschung! In dem unlösbaren Widerstreit von Pflichten verbleibt dem Römer nur das einzige: der Stoß des Römerschwerts ins Römerherz.

Auch der Freunde Rat würde nicht frommen, könnte ich ihn einholen; aber Jovian habe ich lange vorher nach Marseille entsandt, Mutter und Schwester zu mir zu geleiten, Serapion in die Heimat. Ich bin ganz allein mit meiner Aufgabe, mit meinem verderbenschwangeren Ehrenbruch vor den Truppen; aber auch die Freunde könnten doch nur raten: »Tue deine Pflicht und stirb darüber!«

Leb wohl, Lysias! Habe nochmals Dank für deine Erlösung von dem Erlöser. Das sind die letzten Worte, die ich schreibe. Des Imperators Wille ist unwiderruflich. Er will mich vernichten, er will der Welt, der Weltgeschichte zeigen, daß mein Ruhm, Gallien wiedergewonnen zu haben, eitel Lüge war. Ich soll hier, aller Mittel des Widerstandes beraubt, zugrunde gehen vor den Barbaren, elend, schimpflich besiegt; seine Eifersucht auf meinen Feldherrnlorbeer ist der Grund dieses Befehls. So deutete auch Philippus in einem Papyrusstreiflein an, das ein Bote, in seinem Haar verborgen, mir überbrachte. Es besagt: »Gaudentius und Marcellus, Florentius und Barbatio, die schärfsten Betreiber dieser Beschlüsse, waren deine Ankläger, deine Neider waren die Zeugen, und dein höchster Neider war dein Richter. Der Büttel, der dir die Verurteilung überbringt, ist ein Vetter des Eusebius, des Eunuchen, der wieder uns alle, die am Hof leben — ohne Ausnahme — beherrscht.«

Schon, hör ich, sind unbestimmte Gerüchte von der befohlenen Fortschleppung nach Asien unter die Truppen gelangt. Kann ich's doch auch nicht mehr lange verschweigen! So sterbe ich, so verderbe ich unausweichbar. Ich muß dem Imperator gehorchen; das verlangen Ehre, Pflicht, der Eid, die Augen der Mutter! Aber ehe mich die eigenen Krieger um meinen Eidbruch gegen sie ermorden oder die sieghaft verfolgenden Alemannen auf der Flucht erschlagen, eher falle ich in jenem stillen Heiligtum im Buchenwald — unter des Helios Strahl — ins eigene Schwert an ihrem Sarge!

Ein Geheimnis — noch! — ist der Befehl des Imperators vor dem Heere. Ein Notarius und Tribunus brachte mir die versiegelte Urkunde; wehe, wehe, wenn es kein Geheimnis mehr ist. Ich zittere vor der Stunde, nicht um meines Lebens willen, das sicher verloren ist, wenn ich, wie ich muß, Gehorsam verlange, nein, um der Schmach willen, daß abermals ein römisches Heer ohne Zweifel in offene Meuterei ausbrechen wird. Ich beschwor daher den Notarius, wenigstens von den Mannschaften abzustehen, denen der Augustus — (und in seinem Namen ich Unseliger) — noch vor wenigen Monaten feierlich und eidlich zugesichert, sie nicht aus Gallien hinweg zu zwingen.

Da ich merkte, daß Eid und Ehre nicht schwer wogen bei dem Vetter des Eusebius — (er zuckte nur die Achseln) —, schärfte ich ein, nie wieder würden sich jene unserem Heere ganz unentbehrlichen Veteranen und Barbaren anwerben lassen, sähen sie sich solchem Wortbruch ausgesetzt. Es sei also diesmal — (»ausnahmsweise«, konnte ich mich nicht enthalten, beizufügen) — sogar für den Imperator und seine Räte auch das einzig Vorteilhafte. Aber da kam ich schön an! »Der Imperator steht wie über dem Gesetz, so über Wort und Eid«, sprach der Höfling stolz. »Sein Wille ist höchstes Gesetz. Ich werde mir demnächst die Leute aussuchen. Denn bei Frühlingsanfang schon sollen sie eingeschifft werden nach Asien, um gegen die Perser und Parther zu ziehen.«

Es bleibt mir nichts übrig, als zu gehorchen, das Verderben mit sehenden Augen selbst zum raschen Heranzug gegen mich zu befehligen! Denn nichts anderes unterschrieb ich, als ich die Befehle unterschrieb an alle mir abverlangten Truppenteile, aus ihren Winterlagern sofort aufzubrechen und gegen Süden — auf die cottischen und Seealpen — zu ziehen. Der Zweck des erstaunlichen Marsches — (weit von den Germanen hinweg, auf Italien zu) — wird nicht lange verborgen bleiben.

Richtig! Schon ist es hier in Paris unvertuschbar geworden. Schon ist es durchgesickert! Nun ballen sich die Wolken rasch zusammen. Schreite ich durch die Zeltgassen beider Lager auf den beiden Ufern, begrüßen mich nicht mehr wie sonst fröhliche, wohl auch derb-fröhliche, neckende Zurufe. Eisiges Schweigen waltet bei den Germanen! Aus den keltischen Zelten aber tönt mir wohl ein: »Wort halten« oder Schlimmeres nach in der Dunkelheit.


Achtunddreißigstes Kapitel

Es bricht! Es kommt! Selbstverständlich zuerst bei den Kelten, den Galliern. Die sind am raschesten mit der Zunge, dem Wort, dem Witz, dem Aufbrausen.

Der alte Voconius brachte mir — (mit tiefernster Miene) — bereits in aller Frühe — (ach, ich schlafe jetzt kaum noch eine Stunde) — einen abgerissenen Papyrusfetzen; ein Stück einer Schmähschrift, lateinisch, aber mit zahllosen Gallizismen. Vor dem Fahnengestell der gallischen Petulantes hat man bei Tagesanbruch die Hetzschrift gefunden; in vielen Blättern sei sie auch sonst im nördlichen Lager verstreut worden. Darauf stand geschrieben: »... So werden wir also — gegen den Vertrag — wie Missetäter und Sträflinge an die äußersten Winkel der Erde im unbekannten Morgenland verschleppt. Unsere Weiber und Kinder aber hier im schönen, lieben gallischen Heimatland müssen dann wieder den Alemannen Frondienste tun, aus deren Herrschaft wir sie in mörderischen Schlachten mit unsrem Blut befreit haben.«

Was sollte ich tun? Ableugnen, was ich demnächst selbst verkünden, erzwingen muß? Da fiel mir ein, wie leicht diese Gallier durch eine Höflichkeit, durch eine Artigkeit in der Form, durch eine freundliche Zuvorkommenheit im Verkehr zu gewinnen sind. Es ist ja ein wenig kindisch, aber liebenswürdig an dem leichtlebigen Völkchen, das mir viel näher steht als jene bärenhaften Germanen, auf die ich entweder mit Geringschätzung sehe oder (zumal, wenn ich mit Serapio gestritten) auch wohl mit einem leisen Grauen, wie vor der unergründlichen Meeresflut.

Also mir kam der Einfall, ihrer Eitelkeit — (»durch ihre Hauptschwäche beherrscht man die Menschen«, lehrtest du im unheiligen »Heiligtum«) — zu schmeicheln, und ich ließ — (noch nicht öffentlich, denn ich schiebe den Aufbruch hinaus) — unter der Hand verbreiten: Sollten Verheiratete aufgeboten werden, so würden sie ihre Frauen und Kinder mitnehmen dürfen, und zwar in den wunderfeinen, großen, zwölfsitzigen Gesellschaftswagen des Staates — (bespannt mit fünf Pferden) —, deren Polster zu diesem Zweck frisch überzogen, deren Wände und Dächer neu rot und gelb würden übermalt werden. Und wirklich! Es half ein wenig! Zumal die Bürger von Paris und deren Frauen ihren gallischen Volksgenossen in eifrigem Geschwätz am Brunnen bewiesen, darin liege eine auszeichnende Höflichkeit, und sie würden — so — selbst ganz gern mitfahren! Aber wohl nicht bis an den Tigris!

Jedoch das Wichtigste ist: Auf welchen Straßen denn sollen die mir abverlangten Truppen, die nördlich und östlich von Paris lagern — (selbstverständlich sind das wegen der Germanengefahr die meisten, entlang dem Rhein) —, auf welchen Straßen sollen sie nach dem Südwesten ziehen? Wohlweislich enthalte ich mich gegenüber einer Maßregel, die ich durchaus verwerfe, nach Kräften jeder Einmischung in die Ausführung. Aber erstaunt war ich doch eine Weile, als der Tribunus und Notarius entschied: »Alle diese Scharen — über neuntausend — sollen über Paris geleitet werden.«

Warum? Bei einzelnen ist es ja allerdings der nächste Weg. So für die aus Arras, aus Tournay. Aber für die allermeisten ist es ein Umweg nach Westen, ein überflüssiger. Warum also?

Es ist niederträchtig! Warum? Nur, um mich zu verderben! Oribasius, mein griechischer Arzt, ward in das Haus des Archidiakons berufen, dessen Schwester schwer erkrankt ist. Sie wohnen auf unserer Insel an dem schmalen Steg, der auf das Nordufer des Flusses führt.

Der Priester ist nicht mein Gönner; er wittert Heidentum an mir. Die Übertragung Helenas nach jenem Weihtum war ihm nicht angenehm. Während nun der Arzt an dem Bette der Kranken wachte, führten in dem Vorgemach, nur durch den Vorhang getrennt, der Priester und der Notarius eine Unterredung, auf Griechisch und leise; aber trotzdem verstand sie der Treue. Nachdem der Diakon über meine Frömmigkeit wenig günstig ausgesagt, fragte er besorgt, ängstlich, warum man Paris — mein Lager — zum Sammelort all jener Truppen ausgesucht habe? »Wenn sie nun meutern«, meinte er furchtsam, »die Basilika verbrennen, den Cäsar erschlagen?« Da erwiderte der Notarius: »Eben deswegen. Die Basilika baut der Imperator prächtiger wieder auf, seinen Vetter Julianus aber weckt er sicher nicht wieder auf, auch wenn er es könnte. Fallen soll er, dieser gallische Cäsar. Schimpflich fallen, ermordet von demselben Heer, dessen Abgott zu sein seine Eitelkeit prahlte. Gewiß bricht hier der Aufstand aus, wenn neuntausend aufs höchste erbitterte Soldaten sich ihrer Macht bewußt werden. Uns trifft es nicht, heiliger Bruder; du hast ihnen nichts geschworen, und ich? Ei, ich verschwinde rechtzeitig nach Italien!«

Also deshalb! Eine mir gegrabene Grube! Unter Tränen berichtete es mir der Gute. Er beschwor mich, zu fliehen. Wohin? Vor mir selbst? Ich habe befohlen, daß alle von Norden und Osten heranziehenden Truppen in Zelten — im Anschluß an mein Lager auf dem rechten Flußufer — untergebracht werden sollen. Sind die letzten eingetroffen, dann werde ich, mit Aufbietung aller Kräfte und Mittel meines Geistes, sie dahin bringen, dem Gebot des Augustus zu gehorchen. Wo nicht, so sterbe ich auf dem Fleck. Ihre Wut wird mir alsdann den Stoß des eigenen Schwerts ersparen. Morgen früh — es sind die Iden des Dezembers — treffen die letzten Scharen ein. Die Sonne versinkt in winterlichem Gewölk; ich sehe ihr Scheiden wohl zum letztenmal. Leb wohl, Helios, leb wohl, Lysias!


Neununddreißigstes Kapitel

Julian hatte teils richtig, teils unrichtig geahnt.

Grau und trüb brach der Dezembermorgen an. Am Abend vorher und noch in der Nacht waren auf allen Legionenstraßen von Westen, von Osten und von Norden her, die plötzlich aus ihren Winterlagern, auch die ausgedienten aus ihren Häusern, von ihren Familien hinweg aufgescheuchten Truppen auf dem Nordufer der Seine eingetroffen, und in rasch errichteten Holzbaracken — die Zelte reichten bei weitem nicht aus — oder gar nur unter dem freien Himmel der Winternacht auf der hartgefrornen Erde untergebracht worden.

Vielfach war der völlig unerwartete Marschbefehl auf Ungehorsam gestoßen. Wohin — in dieser Jahreszeit — wollte man sie führen? Gegen die Barbaren? Aber diese drohten doch höchstens vom Rhein her. Und nun nach Paris? War dort der Cäsar bedroht? Dem wollten sie ja gern zu Hilfe eilen! Jedoch das konnten seine Boten nicht geltend machen. Die unablässige Anspornung zur Eile durch die Anführer erbitterte die murrenden Leute noch schärfer: »Mit fliegender Geißel«, schalten sie, »wie Tiere, die man zur Schlachtbank treibt, jagt man uns vorwärts. Wohin? Wozu?«

Und nicht nur die Krieger, nein, überall in ganz Gallien, soweit früher die Herrschaft oder die Streifzüge der Barbaren sich erstreckt hatten, wehklagten die Einwohner, die Bauern, die Colonen, die Bürger in den Städten, die sich der wiedergewonnenen Sicherheit erfreut hatten, auf das bitterste. Nun sähen sie Leben, Freiheit, Habe wieder den rachefrohen Barbaren schutzlos preisgegeben.

Bei Paris angelangt, erfuhren nun die einzelnen Scharen, sowie sie eintrafen, die Wahrheit, die hier nicht mehr verborgen werden konnte.

Und jeder Haufen ward sofort angesteckt, ergriffen von der gärenden Erregung. Die Mitteilung ergrimmte die, welche sie hastig den Waffenbrüdern zuflüsterten, ja schon zuschrien, mit erneutem Zorn, und riß die Neulinge mit fort. Ja manche Reiter warfen sich aufs Roß und jagten auf den finstern Straßen zurück, den Heranziehenden schon unterwegs die empörende Nachricht entgegenzutragen. Die Leute, obwohl übermüdet durch die Eilmärsche, fanden in dieser Nacht keinen Schlaf: Der Lärm, die Erregung stieg von Stunde zu Stunde. Laut erklärten gar viele, sie würden nicht gehorchen. Ergraute Krieger warfen zornig die Waffen auf die Erde. Verwünschungen gegen den Imperator, Drohrufe auch gegen den Cäsar wurden laut.

Sobald es hell geworden, sprengte Julian, umgeben von einer kleinen Zahl seiner Leibwächter, aus dem Palatium (dem heutigen Palais des Thermes), die Legionenstraße (die heutige Rue Saint Jacques) hinan in die nördliche Vorstadt und auf das vor ihr liegende, vom Wald entblößte weite Blachfeld, wo die Pariser Ackerbürger ihr Korn bauten, und wo nun die Truppen lagerten.

Bei seinem Erscheinen ward er mit Freude, mit Hoffnung, mit Zuversicht begrüßt. Die zornigen Rufe verstummten, einer der abgesessenen Panzerreiter sprang vom kalten Strohlager auf, lief auf ihn zu, und, ihm treuherzig die Hand hinhaltend, rief er mit lauter Stimme: »Nun seid getrost, ihr Waffenbrüder! Da ist er, der Cäsar Julian! Gedenkt ihr noch, wie er uns gerettet hat dort bei Straßburg, da Darandanes gefallen war und wir dachten, alles sei verloren? Getrost, er wird uns auch aus dieser Gefahr erretten.«

Gerührt schüttelte ihm Julian die Rechte, aber doch nur gepreßt, verlegen, im Bewußtsein der Unfähigkeit, ihre Wünsche zu erfüllen, antwortete er: »Wackerer Maurus! Du ...« — »Er kennt mich noch!« rief der Mann erfreut.

»Gewiß! Du warst ja in der Reihe der Fliehenden der erste, der auf meine Mahnung die Fassung und sich selber wiederfand und kehrtmachte gegen den Feind. Du wirst auch heute wieder vor andern das Rechte finden. Und siehe da, du Garizo, langer Markomanne mit der goldtreuen Seele, du Centurio der Cornuti, was macht der Fuß? Ein schwerer Wagen ging dir drüber — nach dem Sieg? Und du, Hippokrenikos, heißblütiger Fahnenträger der Primani damals? Und du, Sigiboto, blonder Friese, und du, zorngemuter Ekkard, narbenreicher Sohn des Gaugrafen der Quaden, da ist ja das ›Kleeblatt‹ vollständig! Nun willkommen alle vier! Wo so wackere Krieger beisammen sind, muß auch das Wackere geschehen.«

Und er ritt weiter. Aber das war den Unzufriedenen doch allzu wenig. Von ihm hatten sie Abhilfe bestimmt erwartet; sollte sie ausbleiben? Die freudigen Zurufe verstummten, in den hinteren Reihen begann das Murren aufs neue.

Jedoch nun schlug die Stimmung rasch wieder um, liebten sie ihn doch und hatten sie doch auf ihn alle Hoffnung gesetzt, als er allen Befehlshabern und Anführern gebot, auf das große Viereck in der Mitte des Lagers — das Prätorium — vorzutreten, und als er sie hier alle — mehr als tausend Köpfe — als seine Gäste zu der Hauptmahlzeit — um die sechste Stunde nach Mittag — in das Palatium einlud, indem er beifügte, dort solle jeder freimütig ihm eine Bitte vortragen. Er werde sie gern erfüllen, wenn er könne. Brausender Beifall der Geladenen dankte ihm, aber alsbald auch der Mannschaften, sowie diese seine Worte erfuhren. Sie deuteten das zuversichtlich nach ihren Wünschen, und unter feurigen Nachrufen sprengte er zurück in die Stadt.

Freudige Zustimmung, ja begeisterter Jubel kehrte nun in dem Lager ein, in das der Cäsar zahlreiche Fuhren von Wein, Brot und Fleisch als sein »Gastgeschenk« sandte.

Hoch ging's nun her um die Fässer. Aus ihren Sturmhauben tranken die Germanen wieder den süffigen Wein, die kleineren Kelten und Römer mit den Ellbogen, auch wohl mit Faustschlag und Speerschaft zurückdrängend und unermüdlich schreiend: »Heil, hoher Held! Jubelt und jauchzet Julian!« — »Oho«, schalt da erbittert ein gallischer Bogenschütze aus Nantes, »ihr groben Germanen! Nun, Garizo, hast du noch immer nicht genug? Aber freilich, in deinen sieben Fuß langen Leib geht Unendliches hinein, bis er voll ist.« Die andern Gallier lachten; sie lachten gar gern über jeden Witz, ob gut, ob schlecht. Langsam, gemächlich — es eilte ihm selten — wandte sich der Lange zu dem Spötter und sprach, tief zu ihm hinunter, bedächtig: »Kleiner, sei still, sonst trag ich dich auf diesem Arm ins Bettchen. Übrigens — da — trink!« — »Mag nichts von dir geschenkt. Und euer Cäsar? Traut ihm nur nicht zuviel! Ich glaub's nicht, daß er uns hilft. Was meinst du, Bojorix?« — »Ich glaub's auch nicht«, rief sein Clangenosse. »Obwohl er uns beeidet hat. Aber bricht er den Eid ... Vetter Mandubrates, beim großen Teutates, mit diesem Speer erstech ich ihn.« — »So nahe kommst du ihm gar nicht hinter seinen Leibwächtern! Doch mein Pfeil! Ich treff die Fledermaus im Schwirreflug. Sollen wir verderben, gegen seinen Schwur — fern vom lieben Heimatgau, fern von den heiligen Misteln auf den Eichen —, bei Hesus und Epona! Er soll nicht leben!«


Vierzigstes Kapitel

Alle Räume des Palatiums, auch die recht ansehnlichen (heute noch erhaltenen) der Kalt- und Warmbäder waren in Anspruch genommen für Julians zahlreiche Gäste, die zum Teil nach antiker Sitte lagen, zum Teil nach barbarischer saßen an den Speisetischen.

Mit bezaubernder Liebenswürdigkeit machte der Cäsar den Wirt. Sie kam ihm vom Herzen. Er wollte alles aufwenden, die erregten Gemüter zu besänftigen, sie seine Versprechungen vergessen oder deren Verletzung verzeihen zu machen, sie im Gehorsam gegen den Willen des Imperators zu erhalten. Es war ihm ein Bedürfnis der Seele, sie zu gewinnen.

Und er hatte die Gabe, durch Worte zu gewinnen, durch liebenswürdige, witzige Einfälle, durch ein freundliches Lächeln des feingeschnittenen Mundes. Und er wußte, daß er diese Gabe besaß. Und es freute ihn, sie zu verwerten: heute wie noch nie. Galt es doch, nicht weniger als alles zu retten.

Er lag zu Tische mit den obersten Anführern in dem geschmackvoll geschmückten, geräumigen Speisesaal. Der Vater des großen Constantin hatte noch in den Reliefs der Wände aus schönem gelben, numidischen Marmor Göttergestalten geduldet. So sahen denn Bacchus, Demeter, Pomona, Abundantia, weinfrohe Satyren und nicht allzu spröde Nymphen hernieder auf die Gäste, welche an Wodan, an Teutates, an Jupiter, an Zeus, an Osiris, jedoch größtenteils an Christus glaubten.

Julians Rede stockte nie; er scherzte, er witzelte, manchmal ein wenig gesucht, so daß es die ungelehrten Feldhauptleute nicht verstanden. Aber sie ließen sich's nicht anmerken und lachten laut, trank er ihnen so freundlich zu.

Doch er sprang auch gar oft auf, nahm selbst einem Sklaven die Silberschüssel mit dem Bratfleisch aus der Hand und schob einem bevorzugten Gast einen guten Bissen zu. Ja, zuletzt, kurz bevor die Tische abgetragen wurden, schritt er an jede Tafel heran, sprach mit jedem seiner Gäste, erkundigte sich — er wußte fast aller Namen — nach ihrem Ergehen seit ihrer letzten Begegnung, forderte sie auf, ihre persönlichen Wünsche vorzutragen, und versprach meist schleunige Erfüllung. So schritt er, hoch die efeubekränzte Schale hebend, auf einen Tisch zu, an dem das ›Kleeblatt‹ saß.

»Nun, Ekkard, Grafensproß, seit dem letzten Hieb auf den Kopf dort in Toxandria keinen mehr?« — »Hat keiner mehr Raum, mein Feldherr. Aber für dich laß ich ihn mir spalten.« — »Behalt ihn hübsch beisammen; ist besser für uns beide. — Und du, Sigiboto, freier Friese, Urlaub erbatest du, endlich die blonde Braut heimzuführen in eurem Nebelland da im Norden. Schwer miß ich dein tapfer Schwert. Aber ... es eilt wohl sehr?« — »Wüßtest du, wie schön Elna ist, du würdest nicht fragen, mein Herzog.« — »Nun so geh. Und da, bring ihr als Julians Hochzeitsgeschenk hier diesen Ring. Es ist eine schöne Heidengöttin da auf der Gemme, Heras, der Ehegöttin edles Haupt. Stört es dich? Bist du Christ?« — »Heide bin ich vom Wirbel bis zur Sohle. Und deshalb treu. Und ich gehe nicht in Urlaub; jetzt, da du, so scheint es fast, der Treuen alsbald sehr bedürfen wirst.« Julian winkte ihm, zu schweigen, und schritt weiter zu einem Tisch, um welchen ältere Führer römischer Abstammung auf Triklinien lagen. Als aber hier Severus, der Oberste im Befehl nach dem Cäsar, den er gutmütig wieder in Gnaden aufgenommen hatte, sich einfallen ließ, auszusprechen, was sie alle erfüllte, als er anhub: »Du fragst gütevoll nach den Wünschen einzelner, o Cäsar; aber es ist ein Wunsch, ein Verlangen, das uns alle erfüllt, nicht nur uns, die Führer, nein, die Zehntausend, die da draußen ...« Da flüsterte ihm Julian rasch ins Ohr: »Schweig, oder ich schicke dich in einen Wald.« Verblüfft, verschämt verstummte sofort der Wortführer des allgemeinen Wunsches.

Julian aber rief mit lauttönender Stimme: »Der allgemeine Wunsch des ganzen Heeres ist (das wollte der Treffliche sagen): Heil dem Imperator Constantius! Heil ihm, Sieg und langes Leben! Und vor allem: treu gehorsame Kriegsleute. Ihr seid entlassen, tapfere Herren und Freunde.« Und rasch war der Wirt spurlos verschwunden in seinen innern Gemächern. Berung, der Alemanne, verriegelte hurtig hinter ihm die Türe; er hatte keine Antwort abgewartet, auch nicht den Heilruf für den Imperator.

Dieser Ruf — er blieb aus. Keine Stimme erhob sich. Schweigend, kopfschüttelnd brachen die Gäste auf und gingen oder ritten durch die Winternacht in das Lager.

Sklaven des Wirtes und hierzu befehligte Mannschaften leuchteten mit Pechfackeln, deren rotes Licht ein dichter Nebel größtenteils verschlang; auch der Mond vermochte nicht, das graue Gewoge zu durchdringen.

Die Anführer waren traurig enttäuscht. Freilich hatte keiner einen bestimmten Ausweg gefunden aus dem unlösbar scheinenden Widerstreit: Keiner hatte Julian einen Rat zu erteilen vermocht. Aber dafür war er ja der Cäsar! Das war seine Sache. Ganz zuversichtlich hatten sie erwartet, er werde bei jenem Mahle eine überraschende Lösung vorschlagen. Wozu sonst hatte er sie geladen? In welchem Sinne sie aufgefordert, »freimütig« zu wünschen?

Schweren Herzens näherten sie sich dem Lager Julians und den neu errichteten Zelten und Holzhütten. Da loderten nun zahlreiche Feuer, die Frierenden in dem naßkalten Nebel zu erwärmen; nur glanzlos schimmerten sie durch den grauen Dunst der Nacht. Aber schon eine gute Strecke vor dem Lager fluteten den heimkehrenden Führern aufgeregte Haufen entgegen, ohne Ordnung, durcheinander, gemischt aus allen Kohorten, Geschwadern und Legionen.

»Was bringt ihr? Nun, was ist's?« — »Was habt ihr durchgesetzt?« — »Was hat er vorgeschlagen?« — »Wann dürfen wir zurück?« — »Hat er's eingesehen?« — »Habt ihr an seinen Eid gemahnt?« — »Was geschieht?« — »Redet!«

Und sie hingen sich an die Pferde der Reiter, sie hielten die zu Fuß gehenden an den Schultern fest, sie leuchteten ihnen, ungeduldig der Antwort, mit brennenden Scheiten in die Gesichter.

So wälzte von Süden her sich der Zug der Heimkehrenden und der sie Empfangenden dahin, bei jedem Schritt anschwellend, durch die Porta decumana auf die via media des Lagers. Aus jeder Zeltgasse strömten neue hinzu, in jedem Zelt, auch in jedem Holzverschlag, erwachten die Schläfer bei dem tausendstimmigen Lärm, und unvermeidlich ergoß sich der ganze Haufen auf dem einzigen breiten Wege — der Legionenstraße — in den viereckigen Mittelraum des Lagers, wo die meisten Feuer brannten. Die Antworten der hartbedrängten Führer kamen so verhalten, so knapp, so ausweichend wie möglich, sie fühlten ein furchtbares Gewitter aufsteigen; ein einziges unvorsichtiges Wort konnte es entfesseln. Jeder hütete sich, dies Wort zu sprechen.

Allein, nun auf dem großen freien Platz, dem Prätorium des Lagers, angelangt, von der fragenden, schreienden, tobenden Menge umgeben, eingeschlossen, unfähig, sich zu entziehen, gerieten die Armen in die äußerste Not.

»Rede«, schrie ein halbbetrunkener Sarmate den bestürzten Severus an und hielt ihn fest am langen grauen Bart. »Sprich! Du bist der nächste nach ihm. Du mußt's wissen! Was geschieht? Rede, oder ...« Und er hob die Eichenkeule.

Aber Severus schwieg. Vor dem germanischen Urwald hatte er sich gefürchtet: vor nichts anderem. Er schüttelte schweigend den Kopf. Da sprang, behend wie eine Katze auf eine hohe Leiter, die an einem im Bau begriffenen Haus lehnte, eine kleine bewegliche Gestalt. So hoch wie möglich kletterte der Mann hinan. Auf dieser Erhöhung ward er weithin sichtbar. Bojorix war's, der Aremoricaner. Gellend, kreischend drang seine helle, dünne Keltenstimme durch das dumpfe Gebrause der andern, von denen jeder nur mit sich oder mit seinem Nachbarn schalt. »Hört, Waffenbrüder! Hört mich! Verrat! Verrat! Verrat! Verkauft sind wir für Geld von Julian an Constantius, verkauft und verraten! Glaubt mir, dem Ohrenzeugen! Während ihr hier sofft oder schlieft oder schimpftet, lief ich rasch hinein, flink wie ein Wiesel, in die Stadt, mischte mich unter die Menge der Aufwärter, drang, Schüsseln und Krüge tragend, bis in den Hauptsaal, wo der Verräter tafelte mit den großen, den hohen Heergötzen! Alles hab ich mit angehört. Alles was gesagt wurde, und die Hauptsache, auch was nicht gesagt wurde. Dieser dicke Severus da, beim Belenus! Er ist dumm, aber nicht mit Fleiß ...« Schallendes Gelächter der Gallier unterbrach den Landsmann. »Er tut es nicht aus Bosheit.« Noch lauteres Gelächter der Kelten sollte zeigen, daß sie auch so gescheit und witzeverstehend waren, wie der Kluge da auf der Leiter.

»Gleich reiß ich ihn herunter«, drohte leise Garizo, sich nur ein wenig reckend. Aber der Redner fuhr fort, von dem Beifall immer mehr erhitzt, berauscht, über sich selbst hinaus fortgerissen: »Also dieser Gutmann von einem Severus da faßte sich wirklich das Herz und fragte den Cäsar — oh, was tat der schön mit allen! —, ob er nicht den Wunsch unser aller erfüllen werde.« — »Nun, und?« — »Was sagte er?« — »Rasch heraus damit!« — »Was soll geschehen?« — »Nichts soll geschehen. Nichts sagte er! Das eben ist's! Alles bleibt bei dem Befehl des Constantius! Ihm sollten wir gehorchen, mahnte der Eidbrüchige, der Verräter! Geld hat er genommen von Constantius. Viele Millionen Solidi. Verrat, Verrat! Nieder mit dem Verräter!« — »Nieder mit dem Verräter!« wiederholten viele Stimmen der Gallier.

Aber nicht alle. Und unter den Germanen, den Römern wurden andere, zornig verneinende Rufe laut. »Der Cäsar ist kein Verräter!« rief eine frische Stimme; das war Ekkard der Grafensohn. »Aber du bist ein gallischer Krähhahn!« drohte Garizo, die geballte Faust erhebend gegen die Leiter. »Dem man den Hals umdrehen muß!« schrie, feuerrot im Gesicht, der hitzige Hippokrenikos und machte Miene, seinen Rat selbst zu befolgen.

Jedoch da sprang Sigiboto der Friese auf den nächsten Zechtisch, und, mit dröhnender Stimme den Streit, den Lärm übertönend, rief er: »Halt! Waffenbrüder! Wer den Cäsar Verräter schimpft, ist ein Neiding, ein undankbarer. Habt ihr den Tag von Straßburg schon vergessen? Habt ihr vergessen, wie er Tag und Nacht für uns gesorgt hat, wie für Brüder? Seine Herzensgüte? Seine Freundlichkeit? Wie er diesen Ekkard da, als er verwundet lag in Köln, gepflegt hat mit eigener Hand! Seid doch nicht so töricht! Was kann der Cäsar dafür, daß der Imperator sein Wort nicht hält? Gewiß, Julian beklagt das so bitter, ja bitterer als wir. Aber was kann er machen? Er muß gehorchen! Ist er doch nicht Imperator. Ja, wäre er das! Wie anders stünde alles! Nicht Julian! — Constantius ist unser Feind! Ihm gilt mein Haß!«

»Ja, er hat recht! Recht hat er! Constantius allein ist schuld! Nieder, nieder mit Constantius.«

»Ja«, fuhr Ekkard fort, zu dem Freund auf den Tisch springend. »Ja, nieder mit Constantius! Aber dies Wort, Freunde, dies Wort kostet uns alle die Köpfe, wenn Constantius Imperator bleibt.« — »Er soll's nicht bleiben! Wir brauchen keinen Imperator!« schrien die germanischen Söldner. »Doch, doch!« mahnte Hippokrenikos, der Römer-Grieche, als dritter auf den Tisch springend. »Das Römerreich braucht einen Imperator. Aber nicht den Feigling Constantius — einen Helden.« — »Und wir haben einen solchen, wir brauchen ihn nicht erst zu suchen«, schloß der lange Garizo, auf die vierte Ecke der langen Tafel steigend. »Schon früher erscholl hier und da der leise Ruf nach ihm: Jetzt aber soll er laut ertönen durch dies ganze Heer, bald durch das ganze Reich: Julianus, nicht mehr Cäsar — nein ...«

»Julianus Imperator Augustus!« erscholl's da vieltausendstimmig auf dem Platz weithin; brausend, dröhnend, ohrzerreißend — furchtbar!

Alle Leidenschaften: Haß und Liebe, Zorn und Begeisterung, Rachsucht und Dank und die ganze, so lange Tage zurückgedämmte heiße Erregung machte sich, unwiderstehlich ausbrechend, Luft in diesem wilden Schrei, wie Gewitterschwüle im krachenden Donnergebrüll sich entlädt. Denn zugleich übertäubten sie damit das Gefühl der Schuld, der furchtbaren Verantwortung, die Empfindung des Ungeheuern, des Verhängnisvollen, das in dem Ausstoßen dieses Rufes lag. Sie alle waren nun verloren, sie samt ihrem Erkorenen, wenn sie nicht Constantius vernichteten.

Auf diesem Hauptplatz des Lagers waren die Fahnen aufgestellt, die Standarten der Reitergeschwader und des Fußvolks — nicht mehr die heidnischen Adler —, das Labarum, das heißt, über dem viereckigen kurzen Fahnentuch ragte statt der Speerspitze des Schaftes ein aus Silber oder Gold gefertigtes Zeichen, das die Anfangsbuchstaben des Namens »Jesus Christus, Sohn Gottes« zusammenfaßte. Manche dieser Feldzeichen trugen auch wohl statt des Labarums oben auf einem Querbrettlein den Kopf des jeweiligen Herrschers in Marmor oder Ton.

Jetzt, in diesem Augenblick wild entbrannter Leidenschaften, stürzte ein Fahnenträger der Braccati, ein hitziger Kelte, dem es Bedürfnis war, die innere Erregung in irgendeiner Handlung, wie auf der Bühne, schauspielerisch auszudrücken, auf die Feldzeichen zu, riß eines heraus, so daß alle andern auf die Erde krachten, schwang es im Kreis um seinen Kopf, sprang damit auf das nächste, hochlodernde Wachtfeuer und schmetterte mit mächtigem Streich die auf der Fahne ruhende Büste des Constantius durch die Flammen auf den Grund, daß der Ton in viele Stücke zersprang. Dann hob er das angebrannte Zeichen wieder und schrie: »Nieder! So nieder mit Constantius!« Tobender Beifall wiederholte den Ruf: Nieder! Nieder mit Constantius! »Das zwingt uns vorwärts«, sprach Severus zu seinem Nebenmanne. »Nie verzeiht das des Constantinus Sohn.« Und unaufhörlich wiederholten die Rasenden den Ruf; sie konnten sich dessen gar nicht ersättigen.

Plötzlich, nachdem die Tobenden viele Minuten lang immer und immer wieder dasselbe geschrien: »Julianus Imperator Augustus!«, trat Totenstille ein. Sie waren erschöpft, sie holten Atem, sie besannen sich: »Was nun?«

Aber nur einen Augenblick; dann brachen sie alle zusammen, die vielen Tausenden, wie auf ein Befehlswort wieder aus in einen einzigen Schrei: »In die Stadt! Ins Palatium! Zu Julian! Der Imperator muß den Purpur nehmen!«

Und nun setzte sich die ganze Menge, wie die Meerflut, die einem Windstoß folgen muß, in brausende Bewegung. Die Waffen wurden aus den Zelten, den Hütten geholt, nur wenige Reiter nahmen sich die Zeit, auf die ungesattelten Pferde zu springen, und schreiend, jauchzend, die Waffen schwingend, wogte und flutete das Heer auf der breiten Straße und links und rechts daneben über Stock und Stein nach Süden auf die Stadt zu. Viele stürzten, von den Nachdrängenden nach vorn gestoßen, zu Boden. Ober die Liegenden, Schreienden, Fluchenden hin wälzten sich ohne Halten, ohne Mitleid die Wogen der Nächsten. Nicht ein Mann blieb in dem Lager.

Die Befehlshaber waren fast ohne Ausnahme von demselben plötzlichen Rausch der Begeisterung ergriffen wie die Mannschaften. Die sehr wenigen, welche aus dem Gefühl der Treuepflicht gegen Constantius, vielleicht auch aus Neid, aus Eifersucht auf Julian innerlich widerstrebten, wurden so völlig ohne jede Möglichkeit des Widerstehens, des Aufhaltens mit fortgerissen, wie Schneeflocken vom Sturmwind.

»Wenn er nun aber nicht will?« fragte Bojorix, mitten im Laufen, atemlos seinen Clanvetter. »Er muß!« antwortete dieser drohend. »Er darf uns nicht im Stiche lassen vor Constantius, nach dem, was geschehen.« — »Wenn er uns nun aber verrät? Wenn er doch nicht annimmt?« — »Er muß, sag ich dir«, sprach Mandubrates, drohend den Langbogen erhebend. »Die Sonne sieht ihn als Imperator oder ... tot.«


Einundvierzigstes Kapitel

Nach Entlassung seiner Gäste war Julian, hoch erregt, in sein Schreibzimmer geeilt und hatte einen langen, ausführlichen Bericht an den Augustus zu verfassen begonnen, der ihm, ungeachtet seiner gepriesenen Raschheit im Denken und Gewandtheit im Ausdruck, schwere Mühe bereitete und viel Zeit kostete. Gar manchen Papyrusstreifen warf er halb beschrieben zur Seite.

Was sollte er schreiben? Die Wahrheit? Daß die Truppen dicht vor der Meuterei standen? Dafür würde er verantwortlich gemacht werden! Oder sollte er ihre Stimmung verschweigen? Dann übernahm er die Schuld eines plötzlichen Losbruches auf dem Marsch.

»Die Wahrheit«, schloß er. »Immer die Wahrheit, gebeut der Gott des Lichts. Mag er mich dann absetzen, weil ich die Leute nicht besser erzogen. Ich bin es müde, Unmögliches leisten zu sollen. Mein Gallien ist verloren. Aber ich will's nicht mit ansehen.«

Die Mitternacht war vorüber. Oribasius, der Arzt, wagte in das Schreibgemach zu dringen und seinen Herrn zu bitten, sich endlich zur Ruhe zu begeben: »Du fieberst, o Julian, deine Schläfen glühen, unheimlich glänzen die Augen. Deine Hände sind eiskalt. Ich flehe dich an, suche das Lager auf.« — »Glaubst du, ich kann jetzt schlafen?« lächelte Julian traurig. »Ach, und wenn ich in diesen letzten Nächten auf eine kleine Weile einschlief, dann quälten, dann beängstigten mich, zweifellos von den Göttern gesendet, furchtbare Träume.« — »Eben Fieberphantasien!«

»O nein, Oribasius! Inhaltvolle, schicksalsreiche, aber schwer zu deutende Mahnungen, Warnungen, ja Drohungen der Götter. Vernimm, du Vielgetreuer, die Qual, die mir die letzte Nacht ein Traumgesicht gebracht; ich zermartere mein Gehirn unablässig, und ich kann nicht ergrübeln, was es bedeutet. Höre.«

Er sprang auf von dem Schreibdiwan, warf die Rohrfeder weg und schritt hastig im Gemach hin und her.

»Höre nur. Mir erschien — längst ist er mir vertraut — der Genius Roms! So lebhaft sah ich ihn vor mir im goldenen Helm! Die Linke trug den Fahnenschaft des Adlers, der wie lebend die Schwingen hob und senkte und ungeduldig, wie es schien, zusammenschlug! Aber das schöne Antlitz des Genius war nicht freudig und freundlich mir zulächelnd, so wie er mir zuerst erschien vor meiner Erhebung zum Cäsar, nicht heiter und wohlwollend, so wie er mich in Zabern vorwärts trieb zur Alemannenschlacht.

Nein, hoher Ernst, Trauer, ja vorwurfsvoll schmerzlicher Zorn gegen mich lag auf den edlen Zügen, als er drohend die Rechte gegen mich erhob und feierlich mahnend sprach: ›Julianus, du mein auserkorener Liebling! Schon lange weile ich im Vorhof dieses Hauses, gewillt, dich zu erheben über alle Sterblichen empor. Immer hast du mich abgewiesen. Das aber wisse gewiß in des Geistes und Herzens Empfindung: Verschmähst du mich auch diesmal, überhörst du noch einmal meinen Ruf, werd ich dich verlassen auf immerdar. Gedenke der Götter! Gedenke des Reiches! Hörst du nicht meinen Ruf?‹ — Horch, was ist das?« schrie Julian und blieb erschrocken stehen.

Denn in diesem Augenblick schmetterte ein Ruf, ein eherner, ein laut tönender Ruf, von draußen her betäubend in beider Ohren. Es war der Ruf der römischen Tuba, die das Alarmzeichen gab. Aber so ungestüm, so alldurchdringend, so rasch näher und näher eilend scholl das Mahnzeichen, wie er's noch nie vernommen. Es scholl ihm wie der Ruf der Weltgeschichte. — Und er war's.

Denn schon wogte und wälzte sich das ganze empörte Heer gegen das Tor des Palastes, und gleichsam als dumpfer Untergrund, aus dem der Ton der hell schmetternden Trompete schwebte, drang jetzt auch schon das wirre Gebrause heran, das Durcheinanderrufen von vielen tausend Stimmen.

Als die dunkle Masse, in der nur wenige Fackelträger auftauchten, sich auf der Legionenstraße der Brücke näherte, die von der schmalen Insel auf die Nordseite des Flusses führte, sprengte der Führer der berittenen Leibwächter, denen die Obhut über die Brücke anvertraut war, mit einem Tubabläser der lärmend heranwogenden Menge entgegen: »Halt!« rief er. »Steht! Wer seid ihr? Und was wollt ihr?« — »Den Cäsar! Zum Cäsar wollen wir! Er muß uns hören!«

»Was wollt ihr von ihm? Ihn morden?« Er zog das Schwert. »Im Gegenteil!« rief Sigiboto lustig.

»Nicht in die Erde hinab, empor wollen wir ihn bringen. Hoch empor!« lachte Ekkard. »Zum Imperator haben wir ihn ausgerufen«, schloß Hippokrenikos. »Hast du vielleicht etwas dagegen?« — »Zum Imperator?« rief der Reiterführer und zog seine Zügel an. »Ei, das ist ja ganz vortrefflich! Jawohl! Heil Julian, dem Imperator! Kommt! Folgt mir nur nach! Ich führe euch zu ihm.« Und er wandte das Roß, befahl dem Tubabläser, Alarm zu blasen, und sprengte rasselnd mit seinem Geschwader über die erste Brücke zurück, dann über die zweite auf das Südufer, auf den Palast zu. Laut jubelnd folgte ihm die tobende Schar.

Aber in ihrer Ungeduld konnten die Nachrückenden es nicht erwarten, bis die Vorderen die enge zweite Brücke überschritten hatten, auf der es zu schrecklicher Stauung, zum Ringen mit Faust und Dolch kam. Viele Hintermänner ließen sich die Böschung der Legionenstraße hinuntergleiten an den Spiegel des fest gefrorenen Flusses und eilten über das Eis hin auf beiden Längsseiten der Brücke an das südliche Ufer. An manchen Stellen trug die Eisdecke nicht das Gewicht der Laufenden, Stampfenden, Drängenden, sie brach krachend. Aus dem dunklen Wasser ein Schrei, eine krampfhaft an die Eiszacken gekrallte Hand, ein stilles Versinken und Gurgeln unter dem Eise! Darüber hin, über den entdeckten Spalt, an dem Speerschaft in hohem Satz hinweg, sprangen die Folgenden. So hatten bald die Tausenden das Südufer erreicht und ergossen sich nun von allen Zugängen her, immer schreiend und jauchzend, gegen das ringsummauerte Palatium.

Alle Wachen, alle Posten, welche die unaufhaltsame Lawine auf ihrem Wege fand, wurden, willig oder widerwillig, mit fortgetragen. Die andern Tubabläser, da sie den neben dem Tribunen unablässig schmettern hörten, taten es ihm nach an Eifer und Geräusch. So schrien bald zwölf Trompeten den Kriegsruf durch die Nacht, als sollten die Toten auferstehen. Das drang durch den Garten, durch die Mauern, durch die Vorsäle, bis in die innersten Gemächer des Palatiums, bis zu Julian.

Auf diese Zeichen hin hatten die Wachen an dem einzigen Tor, ein halbes Dutzend Leibwächter zu Fuß, dieses schleunig von innen zugeworfen und verriegelt. Sie kletterten die Schmaltreppen hinauf, die auf die mit Zinnen bewehrte Mauerkrone führten, und sahen nun mit Staunen und Entsetzen auf die heranwogende, schreiende, brüllende Masse.

»Sie wollen ihn morden!« rief Berung, der zuerst hinaufgelangt war. »Ich warne ihn! Er muß fliehen! Sich verstecken!« Rasch hastete er die Stufen wieder hinab. »Das tut er nicht«, meinte Voconius, ihm folgend. »Ich muß anderes sinnen.«

Nun standen die Vordersten vor dem Tor.

»Auf, Auf! Aufgemacht! Oder wir erschlagen euch und ihn und alles! Auf mit dem Tor!« Die Wachen, erlesene Männer, taten ihre Schuldigkeit; sie verteidigten ihren Posten und ihren Herrn. Bei dem Schein der Fackeln der Angreifer konnten sie zielen auf die Vordersten, die sich vergeblich mühten, das festgefügte Tor zu sprengen. Die Verteidiger schleuderten die Wurfspeere; ein paar der Aufrührer fielen. Gellendes Wutgeschrei war die Antwort.

Die Stimmung der großen Menge schlug um. »Er läßt uns morden! Er will nicht! Er bricht uns den Eid! Nieder mit ihm! Nieder mit Julianus!« So scholl es vorn, da, wo die Toten lagen. Und rasch verbreitete sich das nach hinten: »Er läßt uns morden!«

»Blut ist geflossen!« — »Er mordet unsere Brüder!« — »Zwei Tote!« — »Zwanzig!« — »Zweihundert!« — »Er will nicht!« — »Nieder mit Constantius!« — »Nieder mit Julianus!«

Dem wütenden Ansturm von vielen Tausenden waren weder die hohen Mauern noch das feste Tor, noch die wenigen Wachen gewachsen.

Der Haufe entdeckte in einer Seitenstraße einen schweren Lastwagen mit langer eisenbeschlagener Deichsel. Im Augenblick spannten sich zwölf vor, an die Deichsel sich klammernd, acht schoben an den vier Rädern; mit eiligster Gewalt rammte die Deichsel gegen das Tor; krachend fiel es nach innen. Hinein fluteten die Sieger, brüllend vor Wut, vor Siegeslust!

Gleichzeitig — waren sie doch im Erklettern von Wällen geübt — sprangen je drei, vier, fünf Mann, entlang der ganzen Stirnseite der Gartenmauer, einander auf Rücken und Schultern, die obersten erstiegen die Krone, stießen die wenigen Wächter herunter; der Palast war erstürmt! Die Sieger eilten aus dem Garten und dem Vorhof die breiten Marmortreppen hinan in das Atrium. Nichts trennte sie mehr von Julian: ihrem Götzen — oder ihrem Opfer?


Zweiundvierzigstes Kapitel

Kurz vorher war Berung in das Schreibgemach gedrungen. Er hatte keinen andern Ruf als Drohrufe vernommen: »Rette dich!« schrie er, »flieh, Julianus! Hier, nimm diesen Soldatenmantel. Das Heer hat sich gegen dich empört. Sie wollen dich ermorden. Flieh, verstecke dich — in den Gewölben der Warmbäder.«

»Flieh, Herr«, bat Oribasius. »Ist die Hinterpforte noch frei?« — »Sie ist's. Aber eilt! Flieh! Verkleide dich!«

Mit einer hoheitsvollen Handbewegung wies der Cäsar den dargereichten Mantel zurück: »Ich bleibe«, sprach er. »Ich will doch sehen, ob sie Hand an mich legen.«

Hochaufgerichtet, auch das Schwert, das ihm Berung nun aufdrängen wollte, zurückweisend, ganz waffenlos, ruhig, schritt er aus dem Schreibgemach durch ein paar Gänge in den großen Speisesaal, der etwa fünfhundert Menschen faßte.

Als er eintrat, brach gerade der rasende Haufen vom Garten aus zu der entgegengesetzten Türe herein.

»Da ist er! Hier!« — »Hier ist er!« — »Haben wir dich?« — »Treuloser, Eidbrüchiger!« — »Unsere Brüder hast du draußen morden lassen!« — »Nieder Constantius!« — »Nieder mit Julianus!« — »Nein! Nein! Nein!« riefen da andere Stimmen, aber viel weiter hinten. »Hoch Julianus! Julianus Imperator Augustus!«

Da — als er diesen schicksalsreichen Ruf der Tausenden vernahm —, da erbleichte Julian. Er wankte zurück, er hielt sich mit der einen Hand an einer Hermessäule, die andere legte er auf die Schulter Berungs.

»Entsetzlich!« stammelte er, vor sich hinstarrend. »Ich bin verloren.«

»Nein! Gerettet bist du«, rief Severus, sich mit Gewalt Bahn brechend. »Gerettet, wenn du annimmst. Verloren, wenn du dich weigerst. Du hast mich gütevoll geschont, nun will ich dir's vergelten! Hör auf mich, Julianus. Erschlagen dich diese Wütenden jetzt nicht, nie verzeiht dir Constantius diese Stunde! Denk an Gallus, an Silvanus! Rette dich — und uns alle. Denn«, flüsterte er, »sie sind wahnsinnig. Erbarme dich unser! Sie zerreißen uns alle! Wir sterben!« — »So stirb, Alter! Hängst du noch so am Leben?« rief Julian laut. »Hast du, habt ihr alle euren Eid vergessen, den ihr Constantius geschworen?« Aber da scholl ihm ein wahres Wutgeheul entgegen: »Eid? Was Eid!« — »Er hat uns sein Wort gebrochen.« — »Er versprach, uns nicht aus Gallien zu führen.« — »Und du?« — »Du hast uns geschworen!« — »Hast du vergessen?« — »Da, schau her, auf dies mein Schwert hast du geschworen!« schrie ein grimmiger Quade. »Kannst du's leugnen?« — »Das Schwert, bei dem du falsch geschworen, soll dich durchbohren!« — »Stirb oder nimm den Purpur.« — »Du — du mußt uns schützen vor der Rache des Tyrannen!« — »Du mußt uns führen gegen Constantius!« — »Den Tod oder den Purpur! Wähle.«

Und schon drängten die Vordersten sich an ihn heran.

»Tu's nicht! Bleib treu!« warnte ihn da von hinten eine laute Stimme. Unwillig wandte sich Julian; es war Berung, der mit gezogenem Schwert hinter ihm stand. Der Cäsar furchte die Stirn: »Unnötige Mahnung«, zürnte er.

Und nun zu den Aufrührern gewendet: »Hört mich, Freunde, Waffenbrüder, auf den ihr oft gesehen und gehört im dunklen, lauten Wettersturm der Schlacht. Verlangt, was möglich ist, nicht das Unmögliche. Befleckt nicht den Glanz so vieler Siege durch Treuebruch! Weckt nicht den Bürgerkrieg! Mäßigt euch in eurem — ich geb's zu — gerechten Zorn!« — »Wir wollen nicht aus Gallien!« scholl es ihm entgegen. Einen Augenblick besann er sich, dann rief er: »Nun gut. Es sei! Euer Wille soll geschehen! Euer Recht soll euch werden. Ich nehm's auf mich bei dem Imperator. Er hat's versprochen, ich hab's beschworen; es muß gehalten werden. Ich weiß, es kostet mich Amt, Ehre, Leben. Aber es sei! Kehrt morgen schon zurück in eure Standlager. Nicht einen Fuß sollt ihr über die Alpen setzen! Ihr sollt in Gallien bleiben.« Nun hoffte Julian, den Sturm beschworen zu haben. Aber er irrte.

Eine kurze Weile entstand ein schwüles Schweigen, wie vor dem Losbruch eines zurückkehrenden Hochgewitters.

Aber plötzlich entlud es sich aufs neue. »Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!« — »Das ist nicht genug!« — »Jetzt nicht mehr!« — »Jetzt ist's zuwenig!« — »Zu spät!« — »Jetzt hilft's nicht mehr!« — »Wir sind verloren, bleibt Constantius Herr! Er verzeiht nie!« — »Und wir wollen seine Verzeihung nicht!« — »Du bist schuld an allem!« — »Ja du! Du!« — »Nur du hast uns zu neuem Dienstvertrag gebracht.« — »Nur dir haben wir vertraut.« — »Deinem Eid!« — »Du hast uns dahin gebracht, daß wir uns empören mußten!« — »Du mußt uns retten! Du mußt uns führen!« — »Ohne dich sind wir verloren!« — »Und du mit uns; schon vor uns!« — »Du mußt! Hörst du, du mußt, Julianus Imperator!« Und die Vordersten umringten ihn, faßten seine Hände, seine Schultern, zerrten ihn am Gewand.

Er wehrte sich nicht. Nur das Haupt schüttelte er, allen sichtbar, und rief laut: »Nein! Niemals! Tötet mich.«

»Das soll geschehen«, riefen zwei Stimmen auf einmal. Zu seiner Linken hob der betrunkene Sarmate die Streitkeule von Eichenholz und wollte sie auf sein Haupt schmettern. Berung sah's, fiel dem in den Arm und rang mit ihm. So konnte er nicht hindern, daß von rechts her Bojorix der Gallier seinen kurzen Speer dem Cäsar an die Kehle setzte und schrie: »So stirb!«

Julian rührte sich nicht. Die scharfe Spitze ritzte schon die Haut, sein Blut floß; nur die dunklen Augen, voll tiefsten Ausdrucks, richtete er auf den Mörder. Der stutzte, er konnte nicht zustoßen, er ließ den Speer fallen. »Dacht ich's doch«, rief fünf Schritte weiter hinten sein Clanvetter. »Bojorix scheut sein Auge. Aber mich sieht Julianus nicht.« Und er spannte den Langbogen, legte den reiherbeflügelten Rohrpfeil auf die Sehne, zielte und schoß.

Berung hatte einstweilen dem Sarmaten die Keule entrissen; er wandte sich, er sah den zielenden Bogen. Schon schwirrte der Pfeil, Berung warf sich vor Julian; das Geschoß traf das Herz des Alemannen: »Tu's nicht, Julian! Bleib treu.« Es war sein letztes Wort; er sank sterbend vor die Füße seines Herrn. Der beugte sich voll Trauer zu ihm nieder, achtlos jeder Gefahr.

Aber diese Gefahr war vorüber. Aus dem Inneren des Hauses brach durch die Saaltür eine starke, wohlbewaffnete Schar, geführt von Voconius.

Dieser hatte in Eile alle Sklaven und Freigelassenen des Palastes bewaffnet, alle verstreuten, fliehenden Leibwächter an sich gerafft und durch Zufall das »Kleeblatt« getroffen, das, da der Eingang aus dem Garten in den Saal durch Tausende undurchdringbar versperrt war, durch ein Fenster in den einen der Seitengänge geklettert war. »Kommt mit, ihr vier! Helft mir ihn retten, wenn's noch möglich ist«, rief er ihnen zu. »Ihr habt ihn ja auch geliebt.« — »Das will ich meinen, Alter«, rief Hippokrenikos. »Aber es tut ihm niemand was zuleide. Wir wollen ihn ja...« — »Hörst du! Hörst du?« unterbrach der Adlerträger. »Nieder mit Julian! Er sterbe! Tod Julian!« scholl es aus dem Saal.

»Vorwärts!« rief Sigiboto und sprang voran. »Zu Hilfe. Zu Hilfe! Hierher, meine Markomannen!« rief Garizo zum Fenster hinaus, dann folgte er den Genossen. Und so kam denn die Hilfe gerade im rechten, im letzten Augenblick. Denn Julians Geistes- und Willenskräfte, mit denen er all die Zeit die Dränger abgehalten hatte, versagten; er fieberte schon lange, jetzt aber schwindelte ihm, er wankte.

Nun jedoch warf sich die tapfere Schar mit Schild und Speer zwischen ihn und die Aufrührer. »Was tut ihr hier, Gesindel?« schrie der hitzige Grieche. »Morden wollt ihr ihn, ihr gallischen Hunde?« fuhr der Grafensohn fort. »Habt ihr ihn nicht soeben zu eurem Imperator ausgerufen?« mahnte Sigiboto. »Hat's euch schon wieder gereut? Habt ihr ihn vergessen, euren Ruf ...« — »Julianus Imperator Augustus!« schrie da die ganze Schutzschar, und viele der bisherigen Angreifer stimmten mit ein.

Dieser Ruf schreckte den halb Ohnmächtigen empor. »Nein! Nein!« rief er, abwehrend beide Hände flehend gegen die nächsten ausstreckend.

»Ja! Gewiß und notwendig! Ja!« antwortete Severus. »Ich rede nicht von dir; du bist verurteilt, du bist ein toter Mann, schreitest du nicht als Imperator aus diesem Saal. Aber sei's um dich! Jedoch Gallien? Soll auch das verloren sein?« — »Mehr als Gallien! Das Abendland! Das Reich! Constantius kann es nicht verteidigen gegen die Barbaren!« rief der Samnite Voconius.

»Dich ruft das Reich!« rief, sich vordrängend, Maurus.

»Dich rufen die Götter!« mahnte Hippokrenikos.

Da taumelte Julian einen Schritt zurück. Er schloß die Augen, denn er sah nichts mehr vor sich als ein purpurnes Rot. Seine Pulse flogen, die Adern an seinen Schläfen pochten zum Springen, heiß schoß ihm das Blut in das Gehirn; er schlug beide Hände vor die Stirne. Und nun erscholl aus der Menge — man konnte nicht wahrnehmen und später nie ermitteln, von wem ausgestoßen — der laute Schrei. »Hörst du denn nicht? Julian? Dich ruft der Genius Roms! Willst du ihm noch nicht folgen?«

Da fuhr der Hocherregte auf aus seiner in sich gesunkenen Haltung. Er ließ die Hände von der Stirn gleiten, und mit leuchtendem Blick, der hoch über die lärmende, aber jetzt nicht mehr drohende, Menge in die Ferne drang, rief er. »Mein Traum! Mein Traum! Ja! Ich höre den Ruf. Ja, ich will ihm folgen. Ich rette das Reich und die Götter!«

Da brach ein Lärm los wie noch nie zuvor.

Die Begeisterung, der Jubel schwoll ins Grenzenlose, die lange, bange Spannung war gelöst, das dumpfe Gefühl, daß die ungeheure Tat die Strafe des Gesetzes herausfordere, ward verscheucht durch die Zuversicht, unter dieser Führung dem Rächer Constantius gewachsen, nein, überlegen zu sein. Entlastet von der Furcht vor Strafe, gehoben von der Hoffnung auf Sieg, auf Lohn, auf die Vorherrschaft im Reiche, jauchzten sie auf, die vielen Tausenden.

»Julianus Imperator Augustus! Macte Imperator!« dröhnte es donnernd durch den Saal. Und alle, Führer und Mannschaften, dieselben, die kurz vorher sein Leben bedroht hatten, ebenso wie die Erretter, drängten, stürmten, stürzten auf ihn zu, schüttelten seine Hände, warfen sich vor ihm nieder, umfaßten seine Knie und küßten sie.

»Halt!« rief Sigiboto. »Wir Germanen zuerst, zumeist haben ihn gekoren; wir wollen ihn auch auf Germanenart zu unserem Herzog erheben.« — »Jawohl! Jawohl! Heil unserm Herzog!« — »Hebt ihn auf den Schild!« — »Wo ist ein Schild?«

»Hier«, rief Garizo, »der meine. Der ist sehr lang und sehr fest«, und er kniete nieder, den flachen Schild mit beiden Armen über dem Stiernacken haltend.

Augenblicklich war Julian von Ekkard und Sigiboto auf diese ebene Fläche gestellt. Langsam erhob sich mit seiner Last der riesenstarke Markomanne, sechs andere Germanen stellten sich, stützend und hebend, darunter, und so trugen sie ihn, mit frohlockendem Geschrei, durch den Saal.

»Ein Schwert! Gebt ihm ein Schwert!« Zugleich reichten ihm Sigiboto sein Scramasachs, Hippokrenikos aber sein römisches Schwert dar. Julian wies die Germanenwaffe ab, ergriff die römische, führte sie an die Lippen und küßte sie. Mit donnerndem Jubel begrüßten das die Römer und Griechen, die es wahrgenommen.

»Recht so«, rief nun Maurus der Panzerreiter, dem Schweratmenden zu, der nach dem dritten Umzug von dem Schild herabgesprungen war. »Den Germanen ward ihr Lohn, sie haben ihn verdient; aber römischer Imperator bist du, nun nimm auch die Abzeichen römischer Herrschergewalt: das Diadem!«

»Jawohl, das Diadem! Das Diadem!« — »Jawohl, schon um Constantius zu zeigen, daß es uns bitterer Ernst ist«, sprach Severus. Und Voconius flüsterte er zu: »Und um ihn unwiderruflich von Constantius zu scheiden, an uns zu binden.«

»Dessen bedarf es nicht«, erwiderte der Alte. »Er weicht nicht zurück.« Aber Julianus erhob mahnend die Hand und schüttelte den Kopf: »Ein Diadem! Ich habe keines. Ich habe niemals eines besessen. Denn die — die guten Gewalten wissen es: Ich habe nie an Empörung gedacht.« — »Wir glauben's! Aber du mußt das Diadem tragen!« — »Hat nicht«, fragte ein Gallier, »deine Gattin ein Stirnband oder ein Halsband gehabt? Ich meine, ich sah an ihrem Nacken eine schöne Bernsteinkette ...«

Unwillig, schmerzlich getroffen, furchte Julian die Stirn: »Es schmückt die Tote. Weh, wer die frevlerische Hand an sie legt.« — »So nimm das hier!« rief Maurus. »Ein prachtvoller Pferdeschmuck, mit Gold und Silber geziert! Es wäre ein trefflich Diadem.« — »Was ein Tier geschmückt, soll meine Stirn nicht berühren.« — »Aber du mußt gekrönt sein! Wir wollen dich sehen im Diadem«, schrien sie. Da nahm Voconius die Ehrenkette von goldenen und silbernen Scheiben von seiner eigenen Brust: »Hier, Imperator! Du gabst mir als Fahnenträger der Cornuti dies stolze Ehrenzeichen am Abend nach der Straßburger Schlacht, es ist mein höchster Stolz und Lohn. Mich dünkt, das Ehrenzeichen eines römischen Fahnenträgers ...« — »Ist«, schloß Julian, »ein würdiges Diadem für einen römischen Imperator. Gib her die Kette. Sie ist ein Zeichen des Heldentums. Wohlan, nicht in dem Zeichen des Constantinus, nicht im Kreuz der Galiläer; in diesem Zeichen werd ich siegen!«

Und er nahm die Kette aus der Hand des Alten und schlang sie sich diademartig um Stirn und Haupt. »Macte Juliane Imperator Auguste!« dröhnte es noch einmal durch den Saal.

Da wankte der bleiche Mann mit dem abenteuerlichen Diadem aus dem Stegreif; er sank in die Arme des besorgten Arztes; die Sinne vergingen ihm.

»Oh«, hauchte er noch. »Meine Mutter! Wie vorwurfsvoll ... ihre Augen ...! Siehst du das, Freund Oribasius? Siehst du sie nicht? — Mutter, du bist ja in Sicherheit, in meinem Gallien. Ich konnte nicht anders! Ich mußte! Rom ... die Götter ... und der Ruhm!«

Ohnmächtig trugen sie den hoch Fiebernden auf sein Lager.


ENDE


Roy Glashan's Library
Non sibi sed omnibus
Go to Home Page
This work is out of copyright in countries with a copyright
period of 70 years or less, after the year of the author's death.
If it is under copyright in your country of residence,
do not download or redistribute this file.
Original content added by RGL (e.g., introductions, notes,
RGL covers) is proprietary and protected by copyright.